«Ich will auf dem Rütli ke ine Revolte auslösen»
NATIONALFEIERTAG Bis zum Frühjahr war er Swisscom-Präsident und Teil der Wirtschaftselite, jetzt engagiert er sich gegen das verschärfte Asylgesetz: Am 1. August spricht Markus Rauh (66) auf dem Rütli – und polarisiert wie kaum ein Redner vor ihm.
INTERVIEW: CHRISTIAN DORER UND SUSANNE MÜHLEMANN
Haben Sie Angst vor Rechtsextremen?
Markus Rauh: Ich, Angst? Überhaupt nicht!
Was werden Sie tun, wenn Sie bei Ihrer Rede auf dem Rütli unterbrochen werden?
Ich habe um eine leistungsstarke Lautsprecheranlage gebeten. So kann ich sagen, was ich zu sagen habe. Ich gehe davon aus, dass es eine normale Rede mit ein paar Zwischenrufen wird.
Und wenn es mehr als ein paar Zwischenrufe sind?
Ich hoffe, dass die Polizei ihre Arbeit verrichtet und dass ich nicht in die Geschichte eingehen werde als einer, der auf dem Rütli eine Revolte ausgelöst hat.
Sollte man die Rütli-Feier abschaffen, wenn die Störungen nicht aufhören?
Auf keinen Fall, das wäre eine Kapitulation des Staates vor der rechten Szene. Die Extremisten würden triumphieren und das Rütli für sich einnehmen.
Welche Beziehung haben Sie persönlich zum Rütli?
Ich hänge sehr an diesem Staat, seinen Grundideen und seiner humanitären Tradition. Das Rütli ist die Keimzelle dieses Gedankenguts, es bedeutet mir deshalb viel.
Was werden Sie in Ihrer Rede sagen?
Das hören Sie dann am 1. August.
Rechte Politiker befürchten, Sie könnten eine Brandrede gegen das Asylgesetz halten.
Ich werde das Rütli sicher nicht für eine Abstimmungskampagne benützen. Aber ich werde sagen, was ich für richtig halte – auch zum Asylgesetz. Ich stehe zu meinen Überzeugungen, und daran kann mich niemand hindern.
Das Asylgesetz kommt also in Ihrer Rede vor.
Als kleiner Bestandteil. In einer klaren Sprache, wie man sie von mir gewohnt ist.
Was erleben Sie als neuer Robin Hood der Asylbewerber?
Halt, halt, so sehe ich mich gar nicht! Ich bin kein Linker, ich zähle mich zur staatstragenden Mitte. Ich bin nicht Parteimitglied, gehöre aber zu den Freunden der FDP.
Die Linken feiern Sie trotzdem als Vorzeigekämpfer.
Das ist mir fast peinlich. Ich werde auf dem Rütli auch Dinge sagen, die den Linken gar nicht passen.
Warum engagieren Sie sich eigentlich als Bürgerlicher gegen das Asylgesetz und setzen sich ins Wespennest?
Ich kann es nicht verantworten, in einem Staat zu leben, im dem um Mitternacht bewaffnete Polizisten in eine Wohnung eindringen, Frau und Kinder aus dem Bett holen, abführen und ausschaffen. Da hab ich gewisse Analogien vor Augen.
Welche?
Das möchte ich nicht ausdrücken, weil es politisch unkorrekt wäre. Wenn man 60 Jahre zurückblickt, erkennt man, was ich meine.
Viele Bürger haben das Gefühl, man müsse die Schraube anziehen, weil immer mehr kommen.
Das ist nun wirklich hässliche Propaganda. Vor drei Jahren hatten wir 20 000 Gesuche, vergangenes Jahr waren es noch 10 000. Wir haben ja bereits verschärft.
Dennoch gibt es Menschen, die unser Asylgesetz missbrauchen.
Richtig. Aber das müssen wir in Kauf nehmen, um die echten Flüchtlinge zu schützen.
Und warum sollen wir Abgewiesene unterstützen – sie sind ja illegal hier?
Weil sie das Land nicht verlassen können, auch wenn sie wollen. Sie haben weder Pass noch Geld. Wir sprechen hier von einer Gruppe von etwa 2000 Menschen. Sie verursachen Kosten von weniger als zwei Franken pro Schweizer Einwohner und Jahr. Und da kommt der Staat und haut mit seiner Keule auf die Schwächsten ein. Das ist ein Angriff auf eine Minderheit, der auch ein Angriff auf unsere Demokratie ist. Das kann ich nicht mittragen.
Wenn das Gesetz angenommen wird, ist es doch demokratisch legitimiert.
Unsere Demokratie wird durchlöchert, wenn wir Minderheiten nicht mehr schützen. Einige Punkte des revidierten Gesetzes verletzen unsere Verfassung, das haben Staatsrechtler festgestellt.
Warum sind dann CVP, FDP und SVP für die Verschärfungen?
Erstens aus taktischen Überlegungen: Die SVP erhofft sich Stimmen, indem sie gegen Ausländer herzieht, und die Bürgerlichen steigen mit ins Boot, weil sie das Feld nicht der SVP überlassen wollen.
Und zweitens?
Es ist wie in der Schule: Da gehen die Kinder auch auf die Schwächsten los. Und wenn man keine Grenze setzt, gehen sie immer weiter. Es ist einfach, auf Flüchtlinge loszugehen, die niemand vertritt, niemand schützt, die keinen Einfluss haben, die sich nicht wehren können.
Warum sind Sie fast der einzige Bürgerliche, der sich engagiert?
Warten Sie ab: Am Donnerstag wird das bürgerliche Komitee, in dem ich mich engagiere, eine Liste mit 70 Personen präsentieren, die gegen das Gesetz antreten.
Haben Sie sich schon mal mit Ihrem Kontrahenten, Bundesrat Blocher, ausgesprochen?
Ich bin ihm bisher nicht über den Weg gelaufen und sehe auch keinen Grund, den Kontakt zu suchen. Aber wenn er ein Gespräch möchte – bitte.
Würden Sie in einem Streitgespräch gegen ihn antreten?
Aber sicher. Allerdings wird er kaum mitmachen, da die SVP ja einen Maulkorb für Bundesräte verlangt.
Warum tragen eigentlich die meisten Wirtschaftsführer freiwillig einen Maulkorb und engagieren sich nur, wenn ihr Geschäft betroffen ist?
Wer eingebunden ist, muss auf Kunden, Mitarbeiter und Aktionäre Rücksicht nehmen und will sich nicht exponieren. Das war bei mir auch so.
Welche Reaktionen erhalten Sie jetzt?
Ich habe 1200 Briefe und E-Mails bekommen, die meisten positiv. Natürlich gab es auch Beschimpfungen und Bedrohungen in einer Tonalität, die für mich ungewohnt ist. Aber ein Freund hat mir kürzlich gesagt, ich sei nun einmal auf die politische Bühne gestiegen und müsse auch damit leben.
Was sagt Ihre Familie?
Nun, sie steht voll hinter mir, macht sich aber ein wenig Sorgen, ob ein solcher Abstimmungskampf für mich das Richtige ist – und ob ich das kann. Ich war noch nie politisch aktiv.
Woher kommt Ihr soziales Engagement?
Ich habe in meinem Leben genug Geld verdient. Als ich bei Leica ausschied, sagte ich mir: Fortan wende ich ein Drittel meiner Zeit für Nonprofit-Organisationen auf. Das hat mit meiner Erziehung und meinem familiären Hintergrund zu tun – und damit, wie ich die Welt sehe.
Mangelt es unserer Gesellschaft an Zivilcourage?
Unser Wohlfahrtsstaat gibt vielen das Gefühl, sie seien von jeglichem Engagement entbunden, weil sie ja bereits Steuern zahlen. Wir haben immer mehr Aufgaben dem Staat übertragen, und deshalb schrauben viele Leute ihren Einsatz zurück.
Sie gehen häufig zu Flüchtlingen oder in die Gassenküche. Empfehlen Sie das allen Menschen?
Nur offenen Geistern. Solchen, die akzeptieren, dass es andere Welten gibt. Man muss sich auch einmal an einen Tisch setzen können, wo es nicht wie bei uns riecht. Leuten, denen es abstellt, wenn sie einen Schwarzen nur schon sehen, denen würde ich keinen Besuch empfehlen. Sie würden in ihren Angstgefühlen und in ihrer Ausländerfeindlichkeit nur bestärkt. Christoph Blocher würde ich nicht empfehlen, ein Asylzentrum zu besuchen.
Ein Drittel seiner Zeit widmet Markus Rauh Nonprofit- Organisationen – zum Beispiel als Präsident von «Konzert und Theater St. Gallen».
Markus Rauh zeigt den Redaktoren Mühlemann und Dorer (r.) die Lokremise St. Gallen, wo neue Säle für das Theater geplant sind.
zur person
Markus Rauh war von 1997 bis 2006 Präsident der Swisscom. Zuvor arbeitete er u. a. bei Unaxis, Leica und Philips. Er engagiert sich sozial und kulturell, hilft in der Gassenküche aus. Im Januar sorgte sein Leserbrief landesweit für Aufsehen: «Ich schäme mich», schrieb er zum verschärften Asylgesetz. Rauh wohnt in Mörschwil SG, ist verheiratet und Vater von drei erwachsenen Kindern.