Wegen der Verdoppelung rechtsradikaler Übergriffe will der Bund ein nationales

SonntagsZeitung

Notruf-Netz auf die Beine stellen

Zürich – Die Übergriffe von Rechtsextremen haben sich gegenüber 1999 verdoppelt.Über 100 Vorfälle registrierten die Behörden dieses Jahr gemäss einer bisherunveröffentlichten Statistik der Bundespolizei. Die Prävention soll nun deutlichverstärkt werden.

Die Bundespolizei zählt rund 800 Personen zum braunen Sumpf – Tendenz steigend.Die Mehrheit von ihnen, zwischen 16 und 22 Jahre alte Jugendliche, schliessen sichin unzähligen kleinen Gruppen zusammen. Rütli-Anführer Pascal Lobsiger will dieSzene in der «Nationalen Aufbau-Organisation» (NAO) vereinen – neben den beidenkonkurrenzierenden Dachorganisationen, den Schweizerischen Hammerskins undder Gruppe Blood & Honour.

«Auch wenn wir in diesen Wochen nach aussen weniger Aktivitäten feststellen,wissen wir, dass die NAO zurzeit sehr aktiv ist. Wir beobachten dies mit Sorge»,erklärt der stellvertretende Chef der Bundespolizei, Jürg Bühler, derSonntagsZeitung. Die Szene ist gewaltbereit wie noch nie, was die 105 registriertenVorfälle bis Dezember belegen – ein Rekord (siehe Grafik).

Darum macht jetzt auch die Eidgenössische Kommission gegen Rassismus mobil:Sie will eine nationale Hotline initiieren, eine Art Nummer 117 für Rassismusopfer.Der Sekretär der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus, Michele Galizia:«Ziel ist, dass Teams aus verschiedenen kantonalen Verwaltungsstellen, aber auchaus nichtstaatlichen Hilfs-und Präventionsstellen ein nationales Netz bilden. DieseTeams bilden eine Art Katastrophenhilfekorps gegen Rassismus.» In Frankreichwurde im Mai dieses Jahres ein ähnliches Projekt lanciert. «Die nationale Hotline fürRassismusopfer war dort ein Riesenerfolg», weiss Galizia.

Schon Anfang nächsten Jahres soll ein Pilotprojekt lanciert werden
Diese Anlaufstelle in der Schweiz soll Hilfsangebote in der Region der Anrufendenvermitteln. Als erstes will darum die Kommission abklären, «wo für die Schaffungdieses nationalen Netzes noch Lücken bestehen». Eine Studie soll darlegen, wieeine solche Organisation am effizientesten aufgebaut werden kann. Schon Anfangnächsten Jahres soll in einem noch nicht bestimmten Kanton ein Pilotprojekt lanciertwerden: «Wo das sein sein wird, entscheiden wir erst nach Abschluss der Studie»,sagt Galizia.

Erste Erfahrungen mit einer Hotline hat die Romandie gesammelt. SOS Racisme istunter der Gratisnummer 0800 55 44 43 seit 1995 erreichbar. Die von der Associationcontre le Racisme betriebene Hotline hat bis jetzt bewusst darauf verzichtet, dieNummer breit bekannt zu machen. Sekretär Karl Grünberg: «Wir haben dieses Jahrbereits 160 Dossiers eröffnet. Wenn wir intensiv Werbung machen, hätten wirzehnmal mehr Fälle – das sprengt unsere Möglichkeiten.»

Die Romands setzen vor allem auf Vermittlung zwischen Täter und Opfer. Nur rundzwei Prozent der Fälle enden mit einer Strafanzeige. «In 98 Prozent der Fälle bringenwir Täter und Opfer an einen Tisch», erklärt Grünberg, der die nationale Initiativebegrüsst: «Eine nationale Vernetzung aller Hilfsangebote ist dringend notwendig.Angesichts der wachsenden Szene müssen wir jetzt reagieren.»

Dass Handlungsbedarf besteht, hatte im September die von Bundesrätin RuthMetzler eingesetzte Arbeitsgruppe Rechtsextremismus dargelegt. Ausgehend vom60 Seiten starken Lagebericht überprüft eine interdepartementale Arbeitsgruppeunter dem Vorsitz von Bundespolizei-Chef Urs von Daeniken derzeit Massnahmenwie ein Verbot von rechtsradikalen Gesten, eine Verschärfung der Zollgesetzgebungoder die Schaffung einer nationalen Datenbank für Hooliganismus. Ein erstesTreffen findet im Januar statt.

Gewaltbereit wie noch nie zuvor: Rechtsextremisten bei einem Treffen in MüllheimTG im Juli dieses Jahres Foto: Michael Würtenberg

Zehn Millionen für Projekte gegen Rassismus
Das Eidgenössische Departement des Innern (EDI) hat sich in den Kampf gegenRechtsextremismus eingeschaltet.

– Der Bundesrat hat nach dem Bergier-Bericht beschlossen, dass in den nächstenfünf Jahren rund zehn Millionen Franken für die Unterstützung von Projekten gegenRassismus und Rechtsextremismus zur Verfügung gestellt werden sollen. Eineinterdepartementale Arbeitsgruppe wird dem Bundesrat im Januar konkreteVorschläge unterbreiten. EDI-Generalsekretärin Claudia Kaufmann präsidiert dieseArbeitsgruppe: «Wir haben eine sehr breit angelegte Umfrage bei rund 450Organisationen, Hilfswerken, kirchlichen und religiösen Organisationen sowie beiden Kantonen gemacht. Wir haben rund 150 Rückmeldungen bekommen. ErsteResultate zeigen die hohe Qualität vieler Projekte gegen Rechtsextremismus unddas grosse Bedürfnis nach finanzieller Unterstützung», erklärt Claudia Kaufmann.

– Bei der Ursachenforschung zum Rechtsextremismus sollen die bestehendenLücken gestopft werden. Das EDI hat eine Machbarkeitsstudie in Auftrag gegeben.Der Bundesrat wird ebenfalls im Januar über die Ergebnisse orientiert.

– Überprüft werden verwaltungsinterne Reformen. EDI-Generalsekretärin ClaudiaKaufmann: «Wir prüfen unter anderem die Schaffung einer verwaltungsinternenKoordinationsstelle gegen Rassismus und Rechtsextremismus. Dort würden alleFäden zusammenlaufen.» Erste Entscheide fallen im Januar.