Der 1.-August-Aufmarsch von Rechtsextremen in Brunnen und auf der Rütliwiese verlief ohne Zwischenfälle
Rund 400 Rechtsradikale hatten ihre eigene 1.-August-Feier auf dem Rütli. Die Tell-Spiele verliefen ungestört. Und auch in Brunnen und in der Stadt Luzern kam es nicht zu den befürchteten Zusammenstössen mit Antifaschisten.
Ueli Bachmann, Brunnen
Männer mit kahlgeschoren Köpfen, schwarzen Hosen und Leibchen mit einschlägigen Emblemen, Frauen in roten T-Shirts mit Schweizer Kreuz und Kampfstiefeln ? und alle mit erhobener Schwurhand: An dieses Bild auf dem Rütli muss man sich erst noch gewöhnen. 400 Personen aus dem rechtsradikalen Umfeld waren dem Aufruf der rechtsextremen Partei National Orientierter Schweizer (Pnos) auf die Rütliwiese gefolgt.
Gedenkminute und Ansprachen
Dort kam es zur 1.-August-Feier der Rechtsradikalen, der ersten auf dem Rütli. Mit Schweizer- und Kantonsfahnen liessen sie sich auf der Wiese nieder. Ab 13 Uhr gab es das bekannte Strammstehen beim gemeinsamen Rezitieren vom «ein einzig Volk von Brüdern», eine Gedenkminute für alle verstorbenen «Helden, die das Vaterland gerettet haben», dazu ein Versuch des gemeinsamen Singens mehrerer Strophen der (alten) Nationalhymne («Heil dir Helvetia»). Auch fehlte eine eigentliche 1.-August-Ansprache nicht. Wenn der Redner durchs Megafon die Heimat-Parolen schrie, dann war ihm begeisterter Applaus gewiss.
Gesittete Rechtsradikale
Insgesamt gaben sich die Rechtsradikalen gesittet, selbst dem Aufruf des Pnos-Sprechers, den Abfall richtig zu entsorgen, wurde Beachtung geschenkt. Einen Zwischenfall gab es einzig am Vormittag in Brunnen, bei der Einstiegskontrolle zum Schiff aufs Rütli: Als die Schwyzer Polizei einem Skin das Megafon abnahm, kam es zu einer kurzen Rauferei. Ein Schläger wurde festgenommen, aber kurze Zeit später per Polizeiboot zu den Kollegen aufs Rütli gebracht.Anders erging es am Vorabend in Brunnen sechs teils jugendlichen Personen aus dem linken Lager: Drei Frauen und drei Männer im Alter zwischen 17 und 28 Jahren wurden verhaftet, weil sie an mehreren Gebäude und Einrichtungen Parolen gegen den rechtsextremen Aufmarsch gesprayt hatten. Sie wurden wieder auf freien Fuss gesetzt.Der Zutritt aufs Rütli ohne Eintrittskarte fürs Tell-Freilichtspiel war bis 12 Uhr gestattet. Die Urner Polizei gab sich auch hier kulant und liess die Rechtsradikalen zwei Stunden länger gewähren. Die Polizei stellte nun auch das Megafon für die Feier zur Verfügung. Die Deeskalationsstrategie war insofern erfolgreich, als nach einer halben Stunde der Spuk vorbei war und die Rechtsradikalen das Rütli verliessen. In Brunnen zogen die Skins durchs Dorf, skandierten nationalistische Parolen und schwenkten Fahnen. Dann löste sich die Kundgebung auf.Auch die rund 100 Rechtsradikalen, die ein Ticket für das Tellspiel gelöst hatten, verhielten sich während der Vorstellung ruhig. Judith Stamm, Präsidentin der Rütlikommission, konnte ihre Rede zur kurzen offiziellen 1.-August-Feier zum Auftakt des Tellspiels ungestört vor den 2500 Zuschauern halten.
Polizei zufrieden
Die Behörden von Schwyz und Uri zeigten sich zwar erfreut, dass sich die Rechtsradikalen an die Aushandlungen gehalten hätten und es zu keinen Ausschreitungen gekommen sei. Nachdem die Polizei eine Feier der rechten Szene auf dem Rütli toleriert habe, hätten die rund 400 Teilnehmer den Platz geräumt und seien nach Brunnen zurückgekehrt. Dennoch bedauerten viele den erneuten Aufmarsch der Rechtsradikalen. «Es ist doch sehr schade, dass solche Bilder hier zu sehen sind», sagte der Schwyzer Regierungsrat Alois Hüppin.
Kommentar: Kläffer am Rande
Der 1. August als Spielwiese der politischen Extremisten: Der gestrige Sonntag bot exzellenten Anschauungsunterricht zur Demonstrationskultur der Militanten in der Schweiz. Zeitgleich demonstrierten in Brunnen die Rechts- und in Luzern die Linksextremen. Es ist wohl eher ein Zufall, dass die beiden Gruppierungen auf der Heimreise nicht aufeinander gestossen sind.
Die Ausgangslage war reichlich seltsam: Die nationalistische Rechte protestiert gegen die Aufführung des Nationalepos «Wilhelm Tell» auf der Rütliwiese ? gesponsert von SVP-Bundesrat Blocher. Am Nationalfeiertag bildungsbürgerliche Erbauung statt vaterländischem Schwur: Das geht Skinheads nicht in den Kopf. «Kultur ist nicht käuflich», verkündeten sie in Brunnen. Das könnten auch Linke sagen.Gleichzeitig in Luzern: Die Linksextremen, hier in Gestalt des Schwarzen Blocks, blasen zum antifaschistischen (Gegen-) Marsch. Die Autonomen wollen gegen die Neonazis am 1. August, gegen den Staat und die Wirtschaft und gegen den Rest der Welt demonstrieren. Eine linke Demo am 1. August: Das ist eine politische Premiere.Deshalb hatte Urs von Däniken, der oberste Staatsschützer, ein hohes Konfliktpotenzial geortet und entsprechende Massnahmen der Polizei in die Wege geleitet. Der 1.-August-Sonntag blieb indes weitgehend ruhig. In Brunnen bemühte sich die rechte Szene unter der Führung der Partei national orientierter Schweizer (Pnos) um Zurückhaltung. Und in Luzern ist den martialisch gekleideten Autonomen die Lust auf Randale weggeschmolzen wie das Softeis in der Sonne.Dafür hat der gestrige Sonntag eine Gemeinsamkeit der beiden Extreme zutage gefördert. Auch wenn die Öffentlichkeit noch so gerne hinschaut, wenn Minderheiten ihren Auftritt haben: Skinheads wie Autonome agieren im politischen Vakuum. Uniformierte Kleidung und schematisches Denken stehen dem Kontakt nach aussen im Weg.Und damit ist der 1. August auch 2004 das geworden, was er für die meisten Menschen in diesem Lande ist: ein arbeitsfreier, heisser Sommertag. Da können die am politischen Rande so laut kläffen wie sie wollen.
Christian Pauli
«Sind das die Rechtsextremen?»
Über der Stadt lag brütend die Mittagshitze, als sich auf dem Luzerner Theaterplatz zwischen 500 und 700 vorwiegend Vermummte und schwarz Gekleidete versammelten, um «gegen Faschismus und für eine grenzenlose Welt» zu demonstrieren. Wegen der hochsommerlichen Hitze hatten sich neben den Demonstrantinnen und Demonstranten fast nur Touristengruppen auf die Strasse gewagt. Diese wussten nicht recht, ob sie das Geschehen nun als weitere Attraktion im Angebot der Innerschweizer Metropole begreifen sollten. Die Digitalkamera im Anschlag, unsicher ob sie nun gezückt werden soll oder nicht, flanierten die ausländischen Gäste an der jugendlichen Demonstrationsmenge vorbei Richtung Reussbrücke.
Auch die wenigen Einheimischen hatten Mühe mit der politischen Einordnung: «Sind das jetzt die Rechtsextremen?» fragte eine ältere Dame ihren Begleiter. «Ich glaube, es sind die Linksextremen», antwortete dieser, worauf die Dame nachhakte: «Meinst Du jene, die die Fäuste hochstrecken?»«Hoch die anti-nationale Solidarität»: Slogans brüllend bewegte sich der Demonstrationszug Richtung Altstadt. Feuerwerk knallte. Kampfbereit montierte Schutzbrillen und übers Gesicht gezogene Strümpfe, schwere Schuhe und steife Handschuhe liessen Ungutes erahnen. Doch Fehlalarm. Die Polizei liess sich an diesem drückend heissen Nachmittag ebenso wenig blicken wie der Feind am anderen Ende des politischen Spektrums. Zurück am Bahnhof wurde der antifaschistische Demonstrationszug anstandslos vom üblichen Reiseverkehr aufgesogen.