Mehr als die Hälfte mit Vorurteilen
Gut die Hälfte der Schwei zerinnen und Schweizer hat Vorurteile gegenüber Fremden. Dies zeigt ein Nationalfonds-Projekt.
BERN ? Nach Mitteilung des Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (SNF) vom Samstag liegen dem Monitoring-Instrument gut 3000 mündliche Interviews zu Grunde, die je rund 40 Minuten dauerten. Die Forscher unter der Leitung von Sandro Cattacin, Leiter des Soziologischen Instituts der Universität Genf, wollen damit eine Art Frühwarnsystem entwickeln, das Aufschluss über neue Tendenzen der Ausgrenzung zeigen und auch internationale Vergleiche ermöglichen soll.
Vier grössere Gruppen
Bei der Auswertung der ersten Umfrage machten die Forscher vier grössere Gruppen aus, die insgesamt 85 Prozent der Schweizer Bevölkerung repräsentieren. Eine erste Gruppe von 37 Prozent der Befragten wird als «kreative Klasse» bezeichnet: Sie sei gegen jede Art von fremden- und menschenfeindlicher Einstellung.
Ihre Angehörigen stünden politisch links, seien urban, gebildet und allgemein eher jung.
Die zweitgrösste Gruppe, von 23 Prozent der Befragten, wird als «konservative Nationalisten» definiert. Hier dominierten klar menschen- und fremdenfeindliche Einstellungen. Die Mitglieder dieser Gruppe stünden politisch rechts, sie seien meist weniger gut gebildet und betrachteten die Zukunft der Schweiz mit Sorge.
Als «liberale Unternehmer» und «desorientierte Traditionalisten» werden die restlichen beiden Gruppen bezeichnet, die 16 beziehungsweise neun Prozent der Befragten repräsentierten.
3,8 Prozent rechtsextrem
Die Umfrage ergab weiter, dass immerhin 3,8 Prozent der Bevölkerung dem rechtsextremen Umfeld zugeordnet werden müssen. Hinzu komme, dass fast ein Viertel der Befragten antisemitisch eingestellt seien. Cattacin sieht darin laut der Mitteilung eine Spätfolge der Debatte und der Forderungen im Zusammenhang mit den Holocaust-Geldern und dem Raubgold. Mehr als die Hälfte der Befragten muss laut dem Soziologen auch als fremdenfeindlich bezeichnet werden. «Knapp sieben Prozent der Bevölkerung denken extrem rechts und akzeptieren Gewalt, um ihre Ziele zu erreichen», sagte Cattacin in einem Interview der «Sonntags-Zeitung». Die übrige Bevölkerung sei zwar sehr demokratisch eingestellt, doch diese Gruppe schliesse sich selbst aus. «Das ist eine beunruhigende Tendenz», sagte der Genfer Soziologieprofessor weiter.
Unter dem Strich Toleranz
Unter dem Strich überwiege aber die Toleranz, lehnten doch 90 Prozent der Befragten Rechtsextremismus ausdrücklich ab. Und 85 Prozent seien für die strafrechtliche Verfolgung von rassistischer Hetze. 77 Prozent sprachen sich für die bessere Integration von Minderheiten in den politischen Prozess aus, 55 Prozent für eine erleichterte Einbürgerung. In dieser toleranten Haltung zeige sich die grosse Stabilität der Schweiz. Allerdings liessen sich die Vorurteile in der Bevölkerung mobilisieren, weshalb die Politik hier eine grosse Verantwortung trage.