Lange Zeit war es ruhig um die rechtsextreme Szene der Region – bis sie sich mit dem Überfall auf den Pronto-Shop zurückgemeldet hat. Sogar Experten glaubten, die Szene sei kaum noch aktiv. Nach wie vor schweigen sich die Behörden über die Hintergründe der Tat aus.
Liestal/Basel. «Wir haben keine Hinweise auf Aktivitäten in der rechtsextremen Szene»: Dies sagte noch vor zwei Monaten Barbara Umiker, die Informationsbeauftragte in der Baselbieter Justiz- und Polizeidirektion. Der Rechtsextremismus in der Region sei wegen den Gegenmassnahmen der beiden Basel zurückgegangen.
«In den letzten eineinhalb Jahren gab es kaum auffallende Aktionen – viele dachten, die früheren Vorkommnisse seien bloss Episoden gewesen», bestätigt Dieter Bongers, Leiter der Anlauf- und Beratungsstelle für Rechtsextremismus Baselland. So hat sich denn auch die Arbeitsgruppe «Rechtsextremismus» aus Experten beider Basel, die die Verbreitung des Rechtsextremismus analysieren soll, seit längerem nicht mehr getroffen. Seit dem Überfall auf den Coop-Pronto-Shop am Bahnhof Liestal, der viele ausländische Mitarbeiter beschäftigt, ist alles anders. Gestern machte die BaZ publik, dass die Polizei gegen Rechtsextreme aus Basel ermittelt.
Krisensitzung einberufen
«In den letzten Tagen erhielt ich Anrufe besorgter Eltern, deren Kinder in die Aktionen verwickelt waren», bestätigt Bongers. Der Leiter der Rechtsextremismus-Anlaufstelle zeigt sich «betroffen» vom Überfall auf Einkaufende im Coop-Laden: «Das ist eine neue Qualität von Gewalt.»
Offenbar aufgeschreckt durch den BaZ-Bericht hat sich die zuständige Regierungsrätin Sabine Pegoraro gestern Nachmittag mit Dieter Bongers und Polizeisprecher Meinrad Stöcklin zu einer Krisensitzung getroffen. Über die Ergebnisse hüllten sich die Beteiligten in Schweigen, wobei sie auf die laufenden Ermittlungen verweisen. «Wir werden die Öffentlichkeit zeitgerecht und in geeigneter Weise informieren, wenn wir gesicherte Erkenntnisse besitzen», sagte die Informationsbeauftragte Barbara Umiker.
Anwohnern und aufmerksamen Passanten ist der Liestaler Bahnhof seit geraumer Zeit als Sammelpunkt von rechtsgerichteten Jugendlichen bekannt. So beobachtet eine Anwohnerin schon seit mehreren Monaten, wie sich Rechtsextreme aus der ganzen Region vor allem an den Wochenenden in einem Pub beim Bahnhofplatz versammeln. Nach ihren Angaben handelt es sich um rund zwanzig junge Männer mit einschlägigen Emblemen und Kampfhunden. Zu ihnen hätten sich häufig zwei oder drei Männer gesellt, die um die 40 Jahre alt sein müssten, erzählt die Anwohnerin. Zugleich habe sich beim Bahnhof eine «multikulturelle» Ausländerszene gebildet. Bei beiden Gruppen sei eine «hohe Gewaltbereitschaft» festzustellen. Weil sich die Gewalt lange Zeit vorwiegend gegen andere Jugendliche richtete, bekam die Öffentlichkeit davon wenig mit.
Ein Teil der rechtsgesinnten Jugendlichen reist offenbar aus Basel an. In der Stadt seien die Rechtsextremen «präsent geblieben», weiss der Journalist Hans Stutz, ein ausgewiesener Kenner der braunen Szene. Einige dieser jungen Männer stammten aus den Hooligan-Kreisen um den FC Basel. Die anderen gehörten der «Partei national orientierter Schweizer» (PNOS) an, die nach wie vor aktiv sei.
«Es geht um Action»
Der Basler Jugendanwalt Beat Burkhardt allerdings schätzt die rechtsextreme Basler Szene auf gerade mal fünf bis zehn Personen. Auch macht er ein dickes Fragezeichen hinter die Bezeichnung «Rechtsextreme»: «Das sind frustrierte Jungs, denen jeder Grund recht ist, um dreinzuschlagen.» Dies bestätigt der Soziologe Ueli Mäder, der Forschungsprojekte über rechtsextreme Gewalttäter leitet: «Es geht um Bier, Musik und Action.» Die Bemühungen von Ideologen, in der zersplitterten Szene Anhänger zu rekrutieren, seien kaum erfolgreich.
Auch seien die meisten Kahlköpfe, die provokative Sprüche klopften, nicht gewalttätig, so Bongers: «Oft geht es um Abgrenzung in der Pubertät.» Und auch Gewalttäter sind laut Mäder trotz ihrer brutalen Taten «zugängliche Menschen, mit denen sich etwas machen lässt.» Dieser Überzeugung ist man auch in Liestal: Die Stadt will mit einigen Nachbargemeinden zwei Streetworker einsetzen, die sich ein 50-Prozent-Pensum teilen.