VADUZ. Offene Fremdenfeindlichkeit existiert in Liechtenstein kaum. Dennoch betreibt die Regierung eine aktive Integrationspolitik für fremdsprachige Zuwanderer.
GÜNTHER MEIER
Liechtensteins Bevölkerung besteht zu einem wesentlichen Teil aus Menschen, die zugewandert sind. Unter der Gesamtbevölkerung von rund 35 000 Einwohnern leben etwas über 12 000 Ausländer. War seit 1964 die Ausländerpolitik dominiert von Begrenzungsmassnahmen, um die sogenannte Überfremdung einzugrenzen, steht heute die Politik der Integration der ausländischen Bevölkerung im Zentrum der politischen Erklärungen.
Diese Schwerpunktverlagerung der Ausländerpolitik hat ihre Ursache in der Tatsache, dass die Zahl der fremdsprachigen Ausländer in den vergangenen Jahren deutlich angestiegen ist. Die Regierung veröffentlichte deshalb im Frühjahr 2007 ein Grundsatzpapier zur Integrationspolitik mit dem Leitgedanken: Integration ist nicht nur für individuelles Wohlbefinden und tragfähige Lebenspläne von Einzelnen entscheidend, sie ist auch für die allgemeine Wohlfahrt und den sozialen Frieden von herausragender Bedeutung.
Magische Marke nicht tangiert
Die Zahl der Ausländer stieg in den letzten drei Jahrzehnten ständig an, doch die Beschränkung auf einen Drittel der Gesamteinwohnerzahl konnte mit restriktiver Zulassungspolitik und mit erleichterten Verfahren zur Einbürgerung eingehalten werden. «Liechtenstein befindet sich in der eigentümlichen Situation, dass ein vergleichsweise hoher Ausländeranteil vorhanden ist, ohne dass dies zu einer ausgeprägten Ausländerfeindlichkeit geführt hätte», fasst das Liechtenstein-Institut die Ergebnisse einer Studie über die Ausländer- und Integrationspolitik zusammen. Einer der Hauptgründe für die Integration ist der Umstand, dass ein Grossteil der Ausländer aus dem deutschsprachigen Raum stammt und daher die Integrationshürden im Vergleich mit fremdsprachigen Ausländern tiefer liegen. Auch der vergangene Woche von Aussenministerin Rita Kieber-Beck vorgestellte Bericht über die Integration der ausländischen Bevölkerung kommt zum Schluss, dass die liechtensteinische Gesellschaft im Vergleich mit den Nachbarländern eine grössere Offenheit bei der Integration von Zuwanderern zeige. Dennoch hat es in den letzten Jahren vereinzelte fremdenfeindliche Tendenzen gegeben. Ein relativ kleiner Kreis von 20 bis 30 Rechtsextremen ist der Polizei bekannt, der aber politisch wenig organisiert und mehr durch die Teilnahme an rechtsextremen Veranstaltungen im Ausland als durch Aktionen im Inland aufgefallen. Seit der im Jahr 2000 erfolgten Einführung einer Anti-Rassismus-Strafnorm sind drei Anzeigen bei der Staatsanwaltschaft eingegangen, wovon zwei zu einer Verurteilung der Täter geführt haben.
Indirekte Diskriminierungen
Diskriminierungen bestehen allerdings innerhalb der ausländischen Wohnbevölkerung. Während deutschsprachige Ausländer, die gut 85 Prozent der Ausländerbevölkerung ausmachen, in der Regel gut ausgebildet sind, einen mit der liechtensteinischen Bevölkerung vergleichbaren Lebensstandard besitzen und kaum Ausgrenzungen erfahren, sieht die Situation beim fremdsprachigen Teil anders aus: Vor allem wenn diese Ausländer noch aus einem anderen Kulturkreis kommen, verfügen sie über tendenziell unterdurchschnittliche Qualifikationen, sind damit einem höheren Armutsrisiko ausgesetzt und häufiger von latenter oder offener Diskriminierung betroffen. Die Studie über die Integration, die zu dieser Schlussfolgerung gelangt, sieht hier Handlungsbedarf, um Chancengleichheit unter den Ausländern und gegenüber den Einheimischen zu erreichen.
Liechtensteins Integrationspolitik folgt vor diesem Hintergrund der Devise «Fördern und fordern». Der Staat fördert Massnahmen zum Erwerb der deutschen Sprache, für die berufliche Eingliederung und für den gleichberechtigten Zugang zu den Sozialsystemen, zur Bildung und der Gesundheitsvorsorge. Im Gegenzug zur Schaffung geeigneter Rahmenbedingungen für eine verbesserte Teilnahme der Migranten am gesellschaftlichen Leben fordert die Regierung aktive Bemühungen zur Erlernung der Landessprache sowie die Anerkennung der gesellschaftlichen Grundordnung, insbesondere die Gleichstellung von Mann und Frau. Unter den Massnahmen, die von staatlicher Seite ergriffen wurden, befinden sich Beiträge für den Besuch von Deutschkursen, ein Pilotprojekt für Religionsunterricht für Kinder moslemischer Migranten sowie die Berücksichtigung kultureller Unterschiede im Schulalltag.
Vom Henker bis zum Landvogt
Liechtensteins Geschichte zeigt, dass Zuwanderer aus den umliegenden Ländern, aber auch aus weiter entfernten Gebieten immer schon Aufnahme im kleinen Fürstentum gefunden haben. Teilweise war diese Zuwanderung notwendig, um dem kleinen Staatswesen politisch und wirtschaftlich das Überleben zu sichern. In den vergangenen drei Jahrzehnten wurde eine restriktive Zulassungspolitik verfolgt, um den Ausländeranteil nicht über ein Drittel der Bevölkerung ansteigen zu lassen. Bis zur Erlangung der Souveränität 1806 war sie sehr liberal: Jeder Fremde erhielt gegen einen kleinen Geldbetrag eine Aufenthaltsbewilligung. Kanzleidiener und Boten, Nachtwächter und Zöllner wurden immer wieder aus dem benachbarten Vorarlberg rekrutiert. Geistliche und Lehrer, aber auch Ärzte und gelernte Handwerker stammten zum überwiegenden Teil aus dem Ausland.
Auch das Amt des Henkers überliessen die Liechtensteiner in früheren Zeiten jeweils einem Ausländer.