«Die SVP beeinflusst Rechtsextreme »

Südostschweiz

Mit Alfred Donath sprach Gieri Cavelty

Herr Donath, in einem offenen Brief an die SVP kritisiert der Schweizerische Israelitische Gemeindebund (SIG) deren Plakate und Inserate mit den drei weissen und dem einen schwarzen Schaf, das getreten wird. Was genau stört Sie an diesem Bild?

Alfred Donath: Uns schockiert, dass das schwarze Schaf Verbrecher und Leute ohne Moral symbolisiert. Die schwarze Farbe spielt offensichtlich auf die Hautfarbe von Afrikanern an. Wir wehren uns gegen das Plakat, weil das schwarze Schaf ausschliesslich wegen seines Äusseren diskriminiert wird. Für uns Juden spielt der Fremde eine besondere Rolle. In den fünf Büchern Mose, der Tora, wird mehrfach gesagt, dass wir den Fremden respektieren und achten müssen.

Hat die SVP auf Ihr Schreiben reagiert?

Donath: Die Parteileitung hat uns zu einem Gespräch eingeladen. Wir haben auf dieses Gesprächsangebot positiv reagiert. Das Treffen dürfte aber kaum vor den Wahlen stattfinden.

Es wäre nicht Ihre erste Aussprache mit der SVP über eine ihrer Kampagnen. Die Partei hat ihre Aktivitäten trotzdem immer unbeirrt fortgesetzt.

Donath: Die SVP hat für ihre Politik andere Kriterien als der kleinen jüdischen Minderheit in der Schweiz zu gefallen. Es ist aber unsere Aufgabe, die SVP auf die Verbreitung von Rassismus und Antisemitismus in der Schweiz hinzuweisen. Laut einer im Frühjahr veröffentlichten Studie denken zehn Prozent der Schweizer Bevölkerung systematisch antisemitisch, besonders die Rechtsextremen . Weitere 28 Prozent neigen zu antijüdischen Vorurteilen.

Hat der Antisemitismus in den letzten Jahren zugenommen?

Donath: Bis 1996 war Antisemitismus in der Schweiz während Jahrzehnten kein Thema. Es hat zwar antisemitische Einstellungen gegeben, man hat sie aber nicht geäussert. Mit der Diskussion um die nachrichtenlosen Vermögen von Holocaust-Opfern bei Schweizer Banken hat sich das schlagartig geändert. Seither ist Antisemitismus wieder salonfähig.

Hat die SVP zu dieser Entwicklung beigetragen?

Donath: Die SVP politisiert an der Grenze dessen, was gerade noch erlaubt oder salonfähig ist. Wir sind sehr besorgt, wenn die Partei den Nationalismus emporstilisiert und als Schweizer nur gelten lässt, wer sozusagen ein direkter Nachkomme von Wilhelm Tell ist. Wir bekommen dadurch das Gefühl, nicht für vollwertige Mitbürger gehalten zu werden, obwohl wir Schweizer Bürger sind. Diese Rhetorik ermutigt Antisemiten, ihre judenfeindlichen Gefühle kundzugeben. In diesem Sinne ist es so, dass Rechtsextreme von der Haltung und Propaganda der SVP beeinflusst werden. Die erwähnte Studie über antisemitische Einstellungen hat allerdings auch gezeigt: Die zehn Prozent Antisemiten gehören nicht ausschliesslich dem rechtsextremen Umfeld an. Es gibt auch linke Antisemiten.

Dieser linke Antisemitismus steht im Zusammenhang mit der Nahost-Politik.

Donath: Ja. Die Linke kritisiert das Verhalten des Staates Israel gegenüber den Palästinensern und überträgt diese Meinung dann oft auf die Schweizer Juden. Solche Probleme besprechen wir regelmässig mit den Präsidenten von SP und Grünen. Mit den Grünen gibt es noch ein weiteres Problem, über das wir uns nach den Wahlen mit Parteipräsidentin Ruth Genner nochmals unterhalten werden.

Nämlich?

Donath: Im vergangenen Februar sind die beiden grünen Nationalräte Daniel Vischer und Geri Müller auf Einladung der iranischen Regierung in den Iran gereist. Nach ihrer Rückkehr haben sie erklärt, der Iran baue keine Atomwaffen. Es gehe dem Regime bloss um die zivile Nutzung der Atomenergie. Wir haben Frau Genner in einem Brief unser Erstaunen darüber mitgeteilt, dass die Grünen in der Schweiz gegen die Atomenergie kämpfen, im Iran aber kein Problem damit haben. Die beiden grünen Nationalräte stellen sich hinter ein klar antisemitisches Regime, das wiederholt erklärt hat, man solle den Staat Israel und die Juden überhaupt vernichten.

Sie haben vorhin auch Konflikte mit der SP erwähnt. Ich nehme an, hier geht es insbesondere um die Rolle von Aussenministerin Micheline Calmy-Rey.

Donath: Nicht nur. Der SP werfen wir vor, regelmässig für einen Boykott von Israel zu appellieren. Bundesrätin Calmy-Rey setzt sich für das Existenzrecht von Israel ein. Allerdings ist ihr Departement bei der Kritik im Nahost-Konflikt oft nicht sehr ausgewogen. Solche Stellungnahmen ermutigen die Antisemiten, vorstellig zu werden. Antisemitisch eingestellt ist aber keiner unserer sieben Bundesräte. Auch Christoph Blocher nicht. Er vertritt zwar eine xenophobe Haltung, er ist aber kein Antisemit.

Der Justizminister arbeitet ja an einer Abschaffung oder Änderung des Rassismus-Artikels.

Donath: Herr Blocher hat uns vor den Sommerferien zu einer Aussprache über die Strafnorm eingeladen. Seiner Meinung nach fördert diese den Antisemitismus. Ich bin nicht dieser Meinung. Ich denke vielmehr, dass es ohne Strafnorm häufiger zu antisemitischen Manifestationen käme. Blocher hat auch argumentiert, dass bei sehr vielen historischen Ereignissen umstritten sei, ob es sich dabei nun um einen Genozid handelt oder, wie er sagt, nur um ein Massaker. Auch gegen diese Haltung haben wir klar Stellung bezogen. Wir möchten nicht, dass es allein für die Leugnung der Shoa einen Artikel im Strafgesetzbuch geben soll.

Blocher hat Ihnen eine Art «Shoa-Artikel» angeboten?

Donath: Er hat so etwas als Möglichkeit in den Raum gestellt, doch wollen wir kein «Judengesetz».

Wie wird es Ihrer Meinung nach weitergehen mit der angekündigten Reform der Strafnorm?

Donath: Wir sind gegen jede Änderung dieser Strafnorm. Eine komplette Streichung zumindest wird im Parlament keine Chance haben. Das begrüsst ausser der SVP keine andere der grossen Parteien.

Sie zählen auf das Parlament. Eine andere Möglichkeit wäre die Abwahl von Blocher als Bundesrat. Wären Sie nicht froh, wenn sich das Problem auf diese Weise lösen würde?

Donath: Ich habe nicht das Gefühl, dass eine Abwahl von Herrn Blocher für die Minderheiten in diesem Land ein grosser Vorteil wäre. Ich halte es im Gegenteil fast für einen Vorteil, dass die SVP in der Regierung ist. In der Regierung ist Herr Blocher doch etwas gebunden; in der Opposition könnte er mit seinen Äusserungen viel weiter gehen.

Blocher sagt in der Regierung grosso modo doch das Gleiche wie vor seiner Wahl in den Bundesrat. Nur finden seine Aussagen jetzt mehr Beachtung.

Donath: Das stimmt. Ich glaube trotzdem nicht, dass die Situation für die Menschenrechte in der Schweiz besser wäre, wenn er nicht in der Regierung sässe.

Sie stellen sich mit dieser Zurückhaltung in die Tradition des SIG. Der Gemeindebund hat sich in seiner 100-jährigen Geschichte immer sehr zurückhaltend über die führenden Politiker des Landes geäussert.

Donath: Der SIG hatte in der Vergangenheit eine schwierige Rolle, besonders in den Kriegsjahren. Heute ist das aber nicht so. Der SIG ist integriert und er hat einen guten Ruf unter den Nichtjuden – eben weil er nicht extrem ist. Wir können und wollen auch nicht extrem sein, weil wir ein breites Spektrum von Mitgliedern haben. Es gibt vereinzelt sogar Juden, die SVP-Mitglieder sind.

Es ist aber doch auch so, dass Sie sich aus Furcht vor allfälligen negativen Auswirkungen nicht allzu weit aus dem politischen Fenster lehnen.

Donath: Es gibt Kämpfe, die wichtig sind, und solche, die es weniger sind. Und wenn man sich in einem Punkt zu sehr engagiert, muss man eventuell mit Konsequenzen rechnen. Vorläufig können wir mit der SVP und ihren Exponenten umgehen, auch wenn wir mit ihren Meinungen nicht einverstanden sind. Ausser was die Shoa betrifft, stehen wir für eine Meinungsfreiheit.

Im Fokus der SVP stehen heute ja nicht primär die Juden, sondern die Muslime. Exponenten der Partei haben eine Initiative gegen Minarette lanciert.

Donath: Diese Initiative lehnen wir ab. Wir sind offen für Minarette, sofern sie den Bauvorschriften entsprechen und den religiösen Frieden nicht stören. Wir sind auch für die bessere Integration der Ausländer, und das sind oft Muslime. So haben wir in Zürich einen Ort eingerichtet, wo ausländische Schulkinder unter der Betreuung pensionierter Lehrpersonen ihre Schulaufgaben erledigen können. Wir betrachten es als unsere Aufgabe, anderen zu helfen, die Emanzipation durchzumachen, die wir Juden selber hinter uns haben.

Wieviel Zeit wird vergehen, bis die Muslime in der Schweiz so gut integriert sind wie die Juden?

Donath: Bei uns hat der Emanzipationsprozess ja sehr lange gebraucht – von der französischen Revolution über die revidierte Bundesverfassung von 1874 und noch länger. Meiner Meinung nach drücken die Muslime zu sehr aufs Tempo.

Inwiefern?

Donath: Sie wollen praktisch alles und sofort. Die Muslime wollen ihre Moscheen bauen, in Bern wollten sie ein riesiges Kulturzentrum errichten. Die muslimischen Organisationen verlangen, dass man Rücksicht auf ihre Feiertage und ihren Ramadan nimmt. Umgekehrt setzten sie sich zu wenig dafür ein, dass die Imame hierzulande in einer der Landessprache predigen. Ebenfalls nicht nachvollziehen kann ich die Forderung, dass sich die Frauen in öffentlichen Stellungen, etwa der Schule, verschleiern dürfen. Ungelöst ist auch das Problem, dass einzelne muslimische Mädchen nicht am Schwimmunterricht teilnehmen.

Mit dem gemischtgeschlechtlichen Schwimmunterricht bekunden aber auch die orthodoxen Juden Mühe.

Donath: Das stimmt. Heute besuchen aber praktisch alle orthodoxen Kinder religiöse Tagesschulen; das Problem hat sich auf diese Weise gelöst. Diese Schulen sind aber auch nicht zu Beginn unserer Anwesenheit in der Schweiz gegründet worden, sondern erst im Verlauf der letzten 30 Jahre.

Sind Sie trotzdem zuversichtlich, dass es mit der Integration der Muslime in der Schweiz klappen wird?

Donath: Welche Folgen die zunehmende Migration von Muslimen nach Europa haben wird, lässt sich nicht sagen. Die muslimischen Extremisten greifen unsere Werte an. Ich sehe den Konflikt aber weniger in der Schweiz als in Ländern wie England, Belgien, den Niederlanden und Frankreich, wo viele Leute aus Nordafrika und Asien eingewandert sind. Unsere Muslime stammen eher aus Europa und der Türkei.

Muss man am Ende doch mit SVP-Härte durchgreifen und die Leute auf eine Leitkultur verpflichten?

Donath: Der Islam ist nicht zwangsläufig auf Konfrontation angelegt. Die grosse und schweigende Mehrheit ist apolitisch. Es ist gut möglich, dass der Islam in Zukunft nicht mehr so apodiktisch ist. Es kann aber auch sein, dass es in gewissen Ländern zu grösseren Konflikten kommen wird. Ich glaube aber nicht, dass Druck à la SVP etwas bringt. Mit Toleranz und Aufklärung kann man mehr erreichen.

Sind von der zunehmenden Migration aus muslimischen Ländern auch die Schweizer Juden betroffen? Ich denke da an den islamischen Antisemitismus.

Donath: In der Schweiz hat der islamische Antisemitismus keine grosse Bedeutung. Die Muslime, die in der Schweiz leben, haben mit dem Palästina-Konflikt kaum etwas zu tun. Sie stammen aus dem Kosovo und der Türkei. Das grössere Problem ist, dass im Zuge der Islam-Diskussion die Toleranz staatlicher Stellen gegenüber uns Juden abnimmt.

Nennen Sie ein Beispiel.

Donath: Bis vor kurzem gab es keinerlei Schwierigkeiten, wenn ein jüdischer Schüler oder Student ein Examen verschieben musste, weil der Termin auf einen jüdischen Feiertag fiel. Heute sind solche Ausnahmen plötzlich keine Selbstverständlichkeit mehr. Die Schulen und Universitäten argumentieren, dass man für die Muslime ebenfalls keine Ausnahme mache. Einem Universitäts-Studenten hat man unlängst beschieden, er solle doch nach Israel auswandern, wenn ihm die Gesetze hier nicht passten. Solche Töne hat man früher nicht gehört.

Alfred Donath …

… wurde 1932 als Sohn eines Rabbiners in Yverdon geboren. Er war Direktor der Radiologieabteilung des Universitätsspitals Genf, der erste vollamtliche Professor für Nuklearmedizin in der Schweiz und Vizerektor der Universität Genf. Seit dem Jahr 2000 ist er Präsident des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebundes (SIG); 2008 möchte er das Amt abgeben. Seine Frau, eine Jüdin aus dem Elsass, ist 1942 als Flüchtling in die Schweiz gekommen. Das Ehepaar lebt in Genf und hat fünf Kinder und zehn Enkelkinder.

Der SIG wurde 1904 als Dachverband verschiedener jüdischer Gemeinden zur Bekämpfung des Schächtverbotes gegründet. Er vertritt die rund 18 000 in der Schweiz lebenden Juden gegenüber den Behörden. Weitere Aufgaben sind unter anderem die Bekämpfung von Antisemitismus und Rassismus sowie die Stärkung der jüdischen Identität.