Wie und wo Rassismus, Antisemitismus und Holocaust-Leugnungen keimen und blühen – das war Thema einer Tagung, welche die Christlich-Jüdische Arbeitsgemeinschaft Basel (CJA) im Zusammenhang mit dem Antisemitismusbericht auf dem Leuenberg durchgeführt hat.
Hölstein. Die vor allem seit 1996 geführten Diskussionen über die Schweiz im Zweiten Weltkrieg, über Raubgold, nachrichtenlose Konten und das Verhalten insbesondere gegenüber jüdischen Flüchtlingen haben sehr unterschiedliche Reaktionen gezeigt.
Einerseits gibt es zahlreiche Bestrebungen, die vorhandenen Probleme historisch zu klären, gerechtfertigte materielle Ansprüche zu befriedigen, Kompensationen für Unrecht zu leisten und Antisemitismus und HolocaustLeugnung mit den Mitteln der Aufklärung und des Strafrechts entgegenzuwirken. Andererseits ist es zu – in der jüngeren Vergangenheit nicht mehr gekannten – antisemitischen Reaktionen gekommen.
Der Journalist Hans Stutz, der sich ausgiebig mit der Thematik beschäftigt, betonte anlässlich der Tagung, die unter dem Titel «Antisemitismus und Holocaust-Leugnung in der Schweiz heute» auf dem Leuenberg durchgeführt wurde, dass der Antisemitismus in der Schweiz nicht erst seit Delamuraz‘ bekannten Äusserungen zum Jahreswechsel 1996/97 und den darauf folgenden Reaktionen in den Medien geweckt worden sei. Unabhängig von den Diskussionen über die nachrichtenlosen Vermögen, Raubgold und antisemitisch inspirierter Flüchtlingspolitik habe sich in der Schweiz schon vor 1995 eine Zunahme antisemitischer Tendenzen feststellen lassen. Und dies keineswegs nur in rechtsextremen Kreisen, sondern vor allem auch im esoterischen Umfeld. Stutz nannte hierzu etwa die Veröffentlichungen eines Jan van Helsing (Pseudonym für Jan Udo Holey), die in esoterischen Buchhandlungen geführt werden und in einschlägigen Bestsellerlisten vertreten sind.
Antisemitische Botschaften vermittelt auch die Universale Kirche beziehungsweise ihr Patriarch, Peter Leach Lewis. Im weiteren nannte Stutz auch den Präsidenten des Vereins gegen Tierfabriken, Erwin Kessler. Mehrere Bestseller der esoterischen Subkultur enthielten, so Stutz, haarsträubende antisemitische Aussagen, seien meist abgehoben parlierend, doch unkritisch gegenüber rassistischen, antisemitischen, auch nazistischen Ideologiefragmenten. Die Zahl der Holocaust-Leugner in der Schweiz sei klein geblieben. Zugenommen habe jedoch ihre Ausstrahlung: Ihre Geschichtslügen fänden etwa bei den Skinheads offene Ohren. Der führende Kopf sei Jürgen Graf, der es innerhalb weniger Jahre geschafft habe, in einschlägigen Kreisen weltweit wahrgenommen zu werden.
Grundrechte und ihre Schranken
Peter Liatowitsch, Advokat und Notar aus Basel, erläuterte einige rechtliche Aspekte des Antirassismusartikels 261bis des Schweizerischen Strafgesetzbuches. Im Vorfeld der damaligen Abstimmung sei etwa zu hören gewesen, dass «wir nicht schon wieder ein neues Gesetz» bräuchten. Behauptet wurde auch, dass es keine Antirassismus-Norm brauche, da die Straftatbestände vollständig ausreichen würden oder dass sie einen Angriff auf die Meinungs- und Redefreiheit darstelle. Wesentlich in diesem Zusammenhang sei jedoch, dass alle Grundrechte ihre Schranken hätten: «Das schweizerische Rechtsverständnis kennt keine schrankenlosen Grundrechte», sagte Liatowitsch.
Verlorene Zeit
Der Basler Historiker und Präsident der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus, Georg Kreis, unterschied die Reaktionen auf den im November vergangenen Jahres veröffentlichten Antisemitismusbericht in die Kategorien Einverständnis, Missverständnis und Unverständnis. Die Gruppe der Gleichgesinnten müsse man kaum belehren, sie sollte jedoch in ihrer Haltung bestärkt werden. Zur Gruppe der Gleichgesinnten gehörten übrigens die meisten Medienschaffenden. «Unsere Kommission hat in ihnen», so Kreis, «so etwas wie <objektive Verbündete>, die sich für die gleichen Zielsetzungen engagieren…»
In der Gegnergruppe befänden sich klar rassistische und antisemitische Überzeugungstäter, die sich durch nichts erschüttern liessen. Der Kampf gegen antisemitische Dogmatiker mit Aufklärung sei verlorene Zeit. Denn diese seien Argumenten nicht zugänglich und liessen sich ihre auf die Bestätigung negativer Vorurteile programmierte Wahrnehmung nicht nehmen: «Bei ihrer täglichen Zeitungslektüre begegnen sie noch und noch evidenten Signalen, die ihre Weltsicht bestätigen. Sie haben das Bedürfnis, ihre Lesefrüchte (…) ihren Kontrahenten zuzustellen.»
Wohlmeinende und Indifferente
Zwischen diesen beiden Gruppen liegen, so Kreis, die Gruppe der Wohlmeinenden, die eine gute Einstellung zu den Juden zu haben glauben, sowie die Gruppe der Indifferenten, deren Haltung darin besteht, keine Haltung zu haben. Die Gruppe der Wohlmeinenden sei vielleicht die schwierigste Gruppe, weil sie Antisemitismen transportiere und zugleich meine, frei von Antisemitismus zu sein: «Sie hat Verständnis für das, was Antisemitismus im Kern ist und im banalen Alltag sein kann.»
Die Indifferenten nähmen hingegen im besten Fall von ferne den Disput zwischen den beiden entgegengesetzten Positionen der Antisemiten und «Anti-Antisemiten» wahr. Damit Antisemitismus von Nichtjuden als ein auch sie betreffendes Problem betrachtet werde, müssten abstrakte Argumentationen bemüht werden: Man müsse erklären, dass Antisemitismus den sozialen Friede störe, dass Antisemitismus der Demokratie schade usw.
Diese Argumentation «halte ich allerdings für problematisch, weil utilitaristisch und nicht prinzipiell argumentiert wird», sagte Kreis. Ausserdem werde hierbei die Gesellschaft als Ganzes und nicht der einzelne Mensch ins Zentrum gestellt.