Intolerant, aber nicht rassistisch
Genfer Studie beleuchtet Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus
Über die Hälfte der Schweizer Bevölkerung hat Vorurteile gegenüber Fremden. Jeder Vierte denkt antisemitisch, vier Prozent sind als Rechtsextreme zu betrachten. Dies zeigt eine breit angelegte Nationalfondsstudie.
Marius Hasenböhler
Die Meldung liess aufhorchen: Im aargauischen Freiamt gelang es der Polizei am Wochenende nur mit einem Grosseinsatz, ein Treffen von rund 150 Rechtsextremen aufzulösen und den 19-jährigen Organisator der Veranstaltung zu verhaften. Diese Manifestationen von Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit bleiben zwar auf Einzelfälle beschränkt, doch das zugrunde liegende Gedankengut scheint weit verbreitet, wie eine neue Untersuchung zeigt.
Gegen Juden und Moslems
Im Rahmen des nationalen Forschungsprogramms «Rechtsextremismus ? Ursachen und Gegenmassnahmen» ? wurden über 3000 Personen rund 40 Minuten lang zu ihrer Haltung gegenüber Rechtsextremismus und ihrer Einstellung zu Minderheiten befragt. Die über 80-seitige, in englisch verfasste Studie des soziologischen Instituts der Universität Genf, kommt zu teils beunruhigenden Ergebnissen:
? 3,8 Prozent der Bevölkerung sind dem rechtsextremen Umfeld zuzuordnen. Sie sind auch bereit für die Erreichung ihrer Ziele Gewalt einzusetzen.
? Weit verbreitet ist eine antisemitische Haltung: 18 Prozent der Befragten finden, dass die jüdische Bevölkerung in der Schweiz zu viel Einfluss besässe, 24 Prozent glauben, die Juden seien an ihrer Verfolgung während des Zweiten Weltkriegs mitschuldig. Laut der Forscher hat die Raubgold-Debatte diese Ansichten verstärkt.
? 36 Prozent verneinen ein Recht der Moslems, in der Schweiz nach ihren religiösen Regeln zu leben.
? 59 Prozent der Schweizer glauben, dass das Boot voll ist. Mehr Ausländer würden zu grossen gesellschaftlichen Problemen führen. 54 Prozent sind der Ansicht, dass Ausländer das System der Sozialleistungen missbräuchten. Ebenso viele wollen, dass Ausländer ohne Aufenthaltsbewilligung konsequent ausgeschafft werden. 43 Prozent sind überzeugt, dass die vielen Ausländerkinder in den Schulen eine gute Ausbildung der Schweizer Kinder verhindere.
Vielfalt als Chance
Trotz der verbreiteten Intoleranz gegenüber Ausländern und Minderheiten stellen diese für viele Schweizerinnen und Schweizer nicht einfach nur ein Problem, sondern auch eine Chance dar. 69 Prozent der Befragen sind der Überzeugung, die Vielfalt von Nationalitäten, Religionen und Kulturen sei mit ein Grund für unseren Wohlstand.
Trotz der Vorurteile und des Unbehagens gegenüber Fremden lehnen 90 Prozent der Befragten den Rechtsextremismus explizit ab. 85 Prozent sind zudem für strafrechtliche Verfolgung rassistischer Hetze. 65 Prozent sind damit einverstanden, dass Ausländer mit gültigen Papieren ihre Familie nachholen können, 55 Prozent sagen Ja zu einer erleichterten Einbürgerung. 90 Prozent wollen die Chancengleichheit in der Gesellschaft verbessern.
Schule als Wertevermittler
Über die Bekämpfung fremdenfeindlicher und rechtsextremer Haltungen äussert sich die Studie nur knapp. Der Schule wird von den meisten Befragten eine grosse Bedeutung in der Erziehung der Kinder zu Respekt und Toleranz beigemessen. Eine Mehrheit befürwortet zudem eine verbesserte Integration von Minderheiten im politischen Prozess.
Die Studie ist veröffentlicht unter: www.unige.ch/ses/socio