Prügelnder Nazi-Sympathisant mit sechs Jahren bestraft

 

Tages-Anzeiger vom 4.11.2009

26-Jähriger hat laut Gericht einen «primitiv-dreisten Hang zu Gewalttätigkeiten».

 

Thomas Hasler

Natürlich hat man ihn sich ganz anders vorgestellt: beispielsweise mit Sprin-gerstiefeln, kahl rasiertem Schädel, schwarzer Bomberjacke. Doch der 26-jährige Schweizer kommt nicht aus der nächsten Beiz, sondern direkt aus dem vorzeitigen Strafvollzug. Gekleidet in Pullover und Hose, macht der gross gewachsene Mann mit der unauffälligen Kurzhaarfrisur den Eindruck, als sei er auf dem Weg ins Internat einer Klosterschule an einem Ort, an dem die Welt noch in Ordnung scheint.

Dass der junge Mann aus einer Welt kommt, die für ihn kaum je in Ordnung war, zeigt der Blick in die Anklageschrift. Die darin dokumentierten Delikte sind «Ausdruck einer betonten Rücksichtslosigkeit» und eines «primitiv-dreisten Hangs zu Gewalttätigkeiten», wie das Obergericht am Dienstag betonte. Sie zeigen aber auch, dass es die Zeit von Springerstiefeln, Glatze und Bomberjacke, von Kollegen in der Hooligan- und Rechtsextremen-Szene in unerwünscht intensivem Ausmass tatsächlich gegeben hat.

«Es spricht der Führer»

Das schwerste der ihm zur Last gelegten Delikte ist die versuchte schwere Körperverletzung im August 2006 beim Bahnhof Oerlikon. Er hatte einen etwa gleichaltrigen Kollegen, der sich aus der Hooligan-Szene zurückgezogen hatte, zuerst mit Fäusten zu Boden geschlagen. Dem wehrlos daliegenden Opfer trat er dann mit den mit Stahlkappen verstärkten Kampfstiefeln noch mehrmals gegen Körper und Kopf. Die folgenden drei Wochen verbrachte das Opfer auf der Gesichtschirurgie. Es war Glück und ärztliche Kunst, dass keine Lebensgefahr bestand und keine bleibenden Schäden zurückblieben.

Aber auch schon davor und danach hatte er Menschen attackiert und verletzt, die nichts anderes getan hatten, als sich dummerweise zur gleichen Zeit am gleichen Ort wie der Angeklagte aufzuhalten. Im Bahnhofrestaurant Les Arcades schlug er einem Mann mit einer Flasche gegen den Kopf, versetzte ihm einen Faustschlag und versuchte, mit einem Stuhl auf den Geschädigten einzuschlagen. Einem anderen schlug er vor dem Eingang zum Bonnie Prince Pub mehrere Male mit der Faust gegen den Kopf. In der Brasserie Federal im Hauptbahnhof knallte er einem Opfer ein Bierglas gegen den Kopf, an der Tramhaltestelle Zoo kassierte ein anderer Mann einen sogenannten Schwedenkuss, was zu einem Nasenbeinbruch führte.

Gemeinsames Merkmal aller Opfer: Der 26-Jährige hatte die Geschädigten vor den Übergriffen gar nicht gekannt. Das war offenbar auch nicht nötig. Er habe, meinte das Gericht, Situationen regelrecht provoziert, in denen er einfach dreinschlagen konnte. Den Opfern «war es praktisch unmöglich, sich den Übergriffen zu entziehen».

Auf seinem Handy fanden die Behörden zudem ein Video, das zeigte, wie eine Geisel mit einer Machete geköpft wurde – ein laut Gericht «ganz abstossendes, widerliches und übles Machwerk». Sie entdeckten auch ein selbst aufgenommenes Video einer Fahrt im 4er-Tram. Der damals noch kahl geschorene und mit einer Nazi-Binde am Arm bekleidete Angeklagte rief in die Runde: «Es spricht der Führer: Seit5.45 Uhr wird zurückgeschossen.» Auf seine Aufforderung hin («und Eva Braun spricht») rief eine Kollegin: «Rottet die Juden aus», was die Gruppe mehrmals mit «Sieg Heil» quittierte.

Therapeutin abgelehnt

Und was hat der Angeklagte dazu zu sagen? Das mit Hitler sei «aus einer Dummheit heraus» passiert. Aber gewisse Sachen seien bei Hitler schon gut gewesen. Bei den schwersten Gewaltdelikten bestritt er, obwohl klar identifiziert, die Täterschaft. Seine Kindheit hatte er vorwiegend in Heimen verbracht, weil er schon «als kleiner Goof schnell aggressiv geworden» sei. Woher die hohe Gewaltbereitschaft kommt, «wüsste ich auch gerne». Doch wirklich wissen will er es nicht. Die Zusammenarbeit mit der Psychiaterin verweigert er. Die Frau ist dunkelhäutig, und «mit solchen habe ich ein Problem».

Mit der sechsjährigen Freiheitsstrafe machte das Obergericht vor allem eines klar: Wer auf einen wehrlos am Boden liegenden Menschen – ob mit oder ohne Springerstiefel – weiter einschlägt, nimmt nicht bloss eine einfache, sondern eine schwere Körperverletzung in Kauf. Der Unterschied ist spürbar: Im einen Fall ist die Höchststrafe drei Jahre, im anderen Fall droht eine Freiheitsstrafe von bis zu zehn Jahren.