Liechtensteiner Vaterland vom 3.11.2009
Eine gestern präsentierte Studie zum Rechtsextremismus in Liechtenstein zeigt Massnahmen auf, mit denen Regierung und Gewaltschutzkommission einer Ausbreitung der Szene entgegenwirken können.Heribert Beck
Die rechte Szene tritt in Liechtenstein im Vergleich mit anderen Ländern eher dezent auf. Gewaltausbrüche sind selten. Dennoch kommt es hin und wieder zu aufsehenerregenden Vorfällen. In Erinnerung geblieben sind vor allem die Massenschlägerei am Monsterkonzert 2004 in Schaan, bei der Oi-Skins aus dem Raum Zürich sich mit Einheimischen aus dem rechten Spektrum prügelten, und die Auseinandersetzungen am Oktoberfest 2008 in Mauren. «Darüber hinaus war in den letzten Jahren die Tendenz eines Erstarkens der Szene festzustellen, was sich in einem selbstbewussteren Auftreten von Szeneangehörigen in der Öffentlichkeit äusserte», schreibt die Regierung in einer gestern veröffentlichten Pressemitteilung.
Liechtensteiner Sicht des Phänomens
Der Wunsch nach konkreten Handlungskonzepten gegen rechts habe die Regierung veranlasst, eine Studie mit dem Titel «Rechtsextremismus in Liechtenstein» bei der Fachhochschule Nordwestschweiz in Auftrag zu geben. Das Ziel der Studie sollte es sein, das soziale Phänomen Rechtsextremismus im liechtensteinischen Kontext zu beleuchten und die Motive und Beweggründe von rechts orientierten jungen Menschen zu eruieren. Die Ergebnisse konnten Innenminister Hugo Quaderer und Jules Hoch, der Vorsitzende der Gewaltschutzkommission, zusammen mit Myriam Eser Davolio von der Fachhochschule Nordwestschweiz gestern der Öffentlichkeit präsentieren.
In einem Methoden-Mix hatte das Forscherteam zuvor zur Datenerhebung Interviews mit Fachpersonen und Angehörigen der rechten Szene durchgeführt. Im Sinne einer Kontextstudie untersuchten die Experten ausserdem die Situation in Eschen und Triesenberg. Des Weiteren wurden zwei Diskussionsabende mit Jugendlichen sowie Expertenworkshops durchgeführt.
Moderates Verhalten im Inland
«Der Rechtsextremismus in Liechtenstein ist ein Phänomen in Wellenbewegungen», sagte Miryam Eser Davolio an der gestrigen Medienorientierung. Die Einschätzungen der Fachpersonen zeigten, dass Rechtsextremismus in Liechtenstein zwar im Rückblick weniger massiv und sichtbar in Erscheinung tritt, als dies noch vor wenigen Jahren der Fall war. Die Einschätzungen zeigten aber auch, dass es in unregelmässigen Abständen zu Vorfällen mit manifester Gewaltanwendung kommt. «Dies zeigt, dass die rechtsextreme Szene in Liechtenstein keinesfalls verschwindet, sondern sich sporadisch in der Öffentlichkeit präsentiert.»
Die Szeneangehörigen seien mit dem deutschsprachigen Ausland gut verknüpft – dort fielen Liechtensteiner zuweilen an Anlässen auch durch ihr Verhalten auf. Im Land selbst achte die Szene allerdings darauf, sich moderat zu verhalten, um die vermeintliche oder tatsächliche Akzeptanz in der Bevölkerung nicht zu verspielen. Bezüglich dieser Akzeptanz haben die Forscher ambivalente Aussagen zusammengetragen. «Einem Grossteil der Bevölkerung wird eine ablehnende Haltung gegenüber Rechtsextremismus attestiert», so Eser Davolio. Allerdings komme es auch zu Sympathiebekundungen.
Zu diesem moderaten Verhalten im Inland beigetragen haben auch die Repressionsmassnahmen. Als Beispiel nannte Eser Davolio die schnelle Aburteilung der Hauptbeteiligten an den Ausschreitungen am Maurer Oktoberfest. «In anderen Ländern ginge dies sehr viel länger.»
Die nationale Identität als Motiv
Die Szeneangehörigen selbst seien im Unterschied zum benachbarten Ausland beruflich und sozial meist gut integriert und hätten nicht zwingend konkrete soziale Benachteiligungen erfahren. Als wesentliche Motive für ihre Haltung konnten ein starkes Heimatgefühl, verbunden mit der Angst, die nationale Identität und den sozialen Zusammenhalt durch Einwanderung und Überfremdung zu verlieren, festgestellt werden. Dies könne zusammen mit der ebenfalls vorhandenen Konfliktbereitschaft ausländischer Jugendlicher wiederum zu Auseinandersetzungen führen.
Repression und Prävention
Die Verfasser der Studie gaben schliesslich eine ganze Reihe von Empfehlungen ab, mit denen eine Ausbreitung der Szene verhindert werden soll. Sie reichen von einer verstärkten Sensibilisierung der Öffentlichkeit über eine verbesserte Zusammenarbeit von Schule, Jugendarbeit und Polizei bis hin zur Schaffung einer Anlaufstelle für die Szeneangehörigen und ihre Verwandten.
«Wir sind nun als Gewaltschutzkommission gefordert, der Regierung bis Ende März konkrete Handlungsmassnahmen vorzuschlagen, die in Liechtenstein Sinn ergeben und festzulegen, wer was machen soll», sagte Jules Hoch. Dabei gelte es, nicht nur auf Repression, sondern auch auf Prävention zu setzen und eine gesellschaftliche Diskussion zu lancieren – beispielsweise zu Themen wie der Zuwanderung oder der Globalisierung, welche der Bevölkerung Angst machen und den Rechten Zulauf verschaffen. Auch eine aktive Ausstiegshilfe hält Jules Hoch für möglich.
Keine ideologisch motivierte Gewalt
«Das Phänomen Rechtsextremismus macht leider auch vor unseren Grenzen nicht halt», sagte Innenminister Hugo Quaderer. Dieses Thema gelte es ernst zu nehmen und es nicht zu verharmlosen. «Wir sollten es allerdings auch nicht künstlich aufbauschen.»
Auf keinen Fall dürfe der Staat aber ideologisch motivierte Gewalt in irgendeiner Form tolerieren. «Wir müssen auf Prävention setzen und hart durchgreifen, wenn etwas vorfällt», sagte Regierungsrat Quaderer. Es sei ausserdem wichtig, das Phänomen immer wieder an die Öffentlichkeit zu tragen und für die menschlichen und demokratischen Grundwerte einzustehen. «Dazu bedarf es einer stetigen Sensibilisierung der Einwohner dafür, dass rechtsextremes Gedankengut in Liechtenstein tatsächlich existiert.» Denn wenn eine Gefahr früh genug erkannt werde, gelinge es auch viel eher, sie in den Griff zu bekommen