Gewaltexperte Dieter Bongers über Rechtsextremismus, Antisemitismus und Jugendgewalt.
Patrick Moser
Gewaltexperte Dieter Bongers über Rechtsextremismus, Jugendgewalt, mangelnde Zivilcourage und staatliche Repression.
Herr Bongers, gibt es die Rechtsextremen-Szene eigentlich noch?
Dieter Bongers: Nach den Höhepunkten 2003/2004 mit dem Überfall auf den Coop-Pronto-Shop und diversen Schlägereien bei Dorffesten sind die Fälle deutlich zurückgegangen. Im Moment gibt es keine organisierte Szene wie damals im Raum Sissach-Gelterkinden. Die Szene hat sich ins Mittelland und vor allem in den Aargau verlagert.
Aber?
Bongers: Es gibt zwei Aber. Noch immer gibt es einige Personen, die Ausstiegshilfe benötigen. Die Rückkehr in die Normalität der Gesellschaft braucht ihre Zeit. Das verhält sich ähnlich wie bei Sekten: Während langem haben sich sämtliche Kontakte auf die Szene konzentriert. Wenn jemand herauswill, darf man ihn nicht zu schnell allein lassen.
Und das zweite Aber?
Bongers: Sorgen machen mir rassistische und antijüdische Äusserungen wie zum Beispiel beim FCB-Spiel in Luzern vergangenes Jahr, als die Fans sangen, sie wollten eine U-Bahn nach Auschwitz bauen. Oder wenn an Oberbaselbieter Schulen plötzlich antisemitische Sprüche auftauchen, obwohl die Kinder keine Verbindungen zu Juden haben. Hier muss man sich fragen: Wo ist der Bodensatz? Sprüche gegen Albaner und «Jugos» findet man überall. Die sind zwar auch nicht gut, aber man weiss wenigstens, woher sie kommen.
Was den Antisemitismus anbelangt: Ist das Zeitalter angebrochen, in dem Hitlers Judenverfolgung von der jüngeren Generation «vergessen» wird?
Bongers: Tatsächlich ist der Holocaust für viele schon weit weg. Aber das Bewusstsein, dass man damit Aufsehen erregen kann, ist da. Das habe ich schon bei den Skins beobachtet: Es ging ums Dagegensein, den Protest, das Auffallen. Mit Albaner-Witzen gelingt das kaum, die sind fast schon gesellschaftsfähig. Kürzlich war sogar am Schweizer Fernsehen eine «Jugo»-Nummer zu sehen ? plattester Rassismus im Abendprogramm. Antisemitische Sprüche rufen dagegen Reaktionen auf den Plan ? und darum gehts ja.
Gerade in letzter Zeit hat die Jugendgewalt in der Region vermehrt von sich reden gemacht: In der «Grün 80» und an einer Basler Schule wurden Jugendliche spitalreif geschlagen. Muss einen das beunruhigen?
Bongers: Als Vater zweier halbwüchsiger Söhne mag ich nicht, wenn man «die Jugend» pauschalisiert. Jugendliche sind hohen Anforderungen ausgesetzt und 90 Prozent verhalten sich korrekt. Ein Rest von vielleicht 5 Prozent überschreitet die Grenzen. Nicht nur mit Gewalt. Eine Amok-Drohung an einer Schule zum Beispiel ist kein Scherz mehr. Oder kürzlich kam es im nahen Aargau zu einem Molotow-Cocktail-Anschlag auf ein Asylbewerberheim. Werden Menschenleben gefährdet, muss das beunruhigen! Beim Fall der Schule in Basel finde ich schlimm, dass bei der Prügelei etliche Schüler zugeschaut haben. Niemand mischte sich ein. Es wäre zu erwarten, das einer Zivilcourage zeigt und dazwischengeht. Stattdessen zieht man sich das «Spektakel» rein. Den Trend gibts auch bei Erwachsenen.
Die Politik reagiert mit repressiven Vorschlägen wie Ausgangssperren, etc. auf Probleme mit der Jugend.
Bongers: Teilweise ist es Ausdrucksweise einer gewissen Hilflosigkeit. Einzelnes wie das Wegweisungsrecht in Basel ist vernünftig. Man muss ja nicht immer warten, bis etwas geschieht. Das Wegschalten gewisser Homepages an Schulen wäre technisch machbar, aber eher keine grundsätzliche Lösung, weil es die Seiten vielleicht noch interessanter macht. Ich halte Prävention für sehr wichtig.