Holocaust-Leugner und Nazi-Ideologen sollen in der Schweiz straflos ausgehen. Die SVP will die Antirassismus-Strafnorm samt der dazugehörigen Kommission ersatzlos streichen.
Von Daniel Friedli
Bern. – Das Zusammenspiel funktioniert lehrbuchmässig: Bundesrat Christoph Blocher schlug im Oktober in Ankara den Steilpass, seine Partei legte einen Sprint hin und konnte gestern in Bern der Öffentlichkeit bereits ein neues Positionspapier zur umstrittenen Antirassismus-Strafnorm präsentieren. Viel Arbeit gab dies allerdings nicht, denn die SVP, welche die Einführung dieses Gesetzesartikels 1994 noch befürwortete, hat ihre Position schon seit längerem geändert: Auch im Auftrag ihrer Delegierten verlangt sie mittlerweile nichts weniger als die gänzliche Streichung dieser «juristischen Missgeburt».
Begründet wird diese Forderung mit dem Schutz der Meinungsfreiheit. «Jeder muss sagen können, was er denkt», lautet die Kernforderung des neuen Papiers. Die mündigen Bürger seien sehr wohl in der Lage, offensichtlichen Unsinn von politischen Ansichten zu unterscheiden, sagte SVP-Generalsekretär Gregor Rutz. Ausserdem kritisiert die SVP, dass die Strafnorm heute tiefer in die Privatsphäre eingreife, als urspünglich beabsichtigt, und dass sie zu politischen Zwecken missbraucht werde. Der Präsident der Solothurner SVP, Heinz Müller, illustrierte dies an einem eigenen Fall. Müller wurde selber von einem politischen Gegner wegen Rassendiskriminierung verzeigt, weil er in einem Zeitungsinterview die Gewaltbereitschaft von Kosovo-Albanern kritisiert hatte. Der Kantonsrat wurde zwar letztlich freigesprochen, er musste aber einen Anwalt einschalten und viel schlechte Presse erdulden. «Das Denunziantentum ist der grösste Effekt, den die AntirassismusStrafnorm gebracht hat», beklagte Müller im Rückblick. Aus Angst vor dem Gesetz wage es an Elternabenden niemand mehr, über gewalttätige ausländische Schüler zu sprechen.
«Kontraproduktive Wirkung»
Nicht zuletzt erachtet die SVP die Strafnorm auch als kontraproduktives Mittel im Kampf gegen den Rassismus. «Jeder Gerichtsauftritt macht aus Spinnern Märtyrer, die sich mit ihren absurden Behauptungen wichtig machen können», sagte Nationalrat Christoph Mörgeli. Der Zürcher SVP-Vordenker verband seine Kritik mit einem bösen Angriff auf die Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus (EKR). Das von Georg Kreis präsidierte Gremium gebärde sich als linke Umerziehungsbehörde und missbrauche seine Stellung dauernd zu Wahlkampfzwecken. Die Strafnorm und die EKR dienten der Linken als Vehikel, um missliebige Diskussionen über Einwanderungspolitik, Ausländerkriminalität oder Islamismus zu ersticken. Beide gehörten darum abgeschafft. Zudem soll sich die Schweiz aus der internationalen Rassismus-konvention zurückziehen, welche die Einführung der Antirassismus-Strafnorm überhaupt nötig machte.
Um ihr Anliegen durchzubringen, setzt die SVP vorderhand weiter auf das Parlament. Es sei nicht auszuschliessen, dass die Räte in einer anderen Konstellation dereinst der Abschaffung zustimmten, sagte Parteipräsident Ueli Maurer. Im Moment ist daran aber nicht zu denken, wie die übrigen Bundesratsparteien und auch der Bundesrat bereits nach Christoph Blochers Coup in Ankara klar gemacht haben. Und selbst der Justizminister, in dessen Department die Strafnorm derzeit überprüft wird, will nicht so weit gehen. Eine gänzliche Streichung ist für ihn kein Thema. Lediglich für die Leugnung von Völkermorden strebt er eine liberalere Regelung an.
Ein Beitrag an die Menschenwürde
Bern. – Die Eidgenössische Kommission gegen Rassismus (EKR) hat gestern in einer Stellungnahme die Notwendigkeit der AntirassismusStrafnorm betont. Die Strafnorm stelle nur bestimmte rassistische Äusserungen und Handlungen unter Strafe. Und zwar jene, mit denen Menschen in der Öffentlichkeit wegen ihrer Rasse, Ethnie oder Religion ausdrücklich oder implizit das gleichberechtigte Dasein abgesprochen oder gar das Existenzrecht verweigert werde. Die Strafnorm leiste damit einen wesentlichen Beitrag an die Gewährleistung der Gleichheit und Würde aller Menschen in der Schweiz, hielt die Kommission an die Adresse der SVP fest.
Der Schweizerische Israelitische Gemeindebund (SIG) verteidigte die Strafnorm ebenfalls. Diese sei ein unerlässlicher Schutz für Minderheiten in prekärer Lage. Sie diene der Gerechtigkeit und damit dem gesellschaftlichen Frieden in der Schweiz.