Gewalt wird nicht abnehmen
Links- und Rechtsextremismus Laut den Prognosen des Bundesamtes für Polizei ist in Zukunft vermehrt mit gewaltbereiten Anhängern beider Ideologien zu rechnen
Linksextreme waren 2005 gewalttätiger, besonders gegenüber Sicherheitskräften. Die Szene hat sich in kleinere Städte verlagert.
Corinna Hauri
«Die Hemmschwelle zur Gewaltanwendung sank in der linksextremen Szene weiter. Die Bereitschaft, Körperverletzungen zumindest in Kauf zu nehmen, stieg besonders gegenüber Sicherheitskräften. Vor allem so genannte Autonome suchten gezielt die Auseinandersetzung mit Rechtsextremen und mit der Polizei. Die Beteiligung apolitischer Mitläufer an Gewaltakten im Umfeld von Demonstrationen blieb weiterhin hoch», heisst es im Bericht 2005 Innere Sicherheit der Schweiz.
Beispiele solcher Gewaltakte erwähnt der Bericht mit dem 1. Mai 2005, wo rund 650 Linksextreme in Zürich, Aarau, Luzern, Winterthur, Bern, Solothurn und Basel demons-trierten. Am 1. August demons trierten in Luzern rund 800 Linksextreme, in Winterthur wurde die Stadtpolizei mit Feuerwerk angegriffen. Das Weltwirtschaftsforum (WEF) 2005 verlief hingegen so ruhig wie seit 1999 nicht mehr. Dies ist zurückzuführen auf die neue Doppelstrategie der linksextremen Szene: So wurde die Globalisierungskritik vor allem gegen das WEF nicht mehr nur am Anlass selbst, sondern das ganze Jahr hindurch thematisiert.
Andererseits werden vermehrt Themen wie der Kampf gegen den Faschismus und gegen Polizeirepression in den Vordergrund gerückt, um neue Aktivisten zu rekrutieren. Neu ist auch die Tendenz, dass sich die Aktivitäten von den grossen Ballungszentren in kleinere Ortschaften verlagern.
Zudem ist eine Isolation der gewaltbereiten Globalisierungskritiker durch die nicht gewaltbereite Mehrheit zu beobachten. Dies hat zu Richtungskämpfen geführt. Der Bericht sagt Konsequenzen für die Zukunft vorher: «Durch die Orientierungsschwierigkeiten innerhalb der globalisierungskritischen und das Taktieren der gewaltbereiten Kreise ist eine von zahlreichen Unsicherheiten geprägte Situation entstanden. Zugleich ist eine Radikalisierung der linksextremen Szene feststellbar, die sich besonders in der gehäuften Gewaltanwendung gegen die Polizei und ihre Institutionen offenbart. Generell hat die Gewaltbereitschaft des harten Kerns der linken Extremisten zugenommen. Eine Veränderung dieser Tendenz ist nicht zu erwarten. (. . .) Es ist wahrscheinlich, dass sowohl die Konfrontation mit den Sicherheitskräften wie auch den Anhängern der rechtsextremen Szene weiter zunimmt. Möglich ist auch ein Ansteigen der anlassbezogenen Vorfeld- und Begleitaktionen. (. . .) Die Zahl der spontanen, szeneeigenen Veranstaltungen dürfte weiter zunehmen. Gerade der zweifelhafte Erfolg durch den taktischen Wechsel hin zu konspirativ organisierten Anlässen dürfte die Szene zu weiteren derartigen Aktionen ermutigen und die Arbeit der Sicherheitsorgane künftig erheblich erschweren. Dabei sind zunehmend Sachbeschädigungen zu erwarten.»
Rechtsextreme suchten 2005 vermehrt den Einstieg in Institutionen, doch sie übten weiterhin Gewalt aus. Musik spielte eine grosse Rolle.
«Im Jahr 2005 kam es zu 111 Vorfällen mit rechtsextremem Hintergrund. Beachtlich zugenommen hat in den letzten Jahren vor allem die Anzahl Konzerte in der rechtsextremen Szene: 2003 fanden fünf, im Jahr darauf zwölf und im Berichtsjahr acht Konzerte statt. Festgestellt werden konnte, dass die Zahl der Mitglieder der rechtsextremen Szene um rund 200 auf 1200 Personen zugenommen hat. Zu diesem harten Kern stiessen hauptsächlich frühere Mitläufer und Sympathisanten, deren Zahl im Gegenzug von 700 auf 600 abnahm. Gesamthaft waren 2005 der rechtsextremen Szene und ihrem weiteren Umfeld in der Schweiz also rund 1800 Personen zuzurechnen. Insgesamt bestätigte sich die Entwicklung der letzten Jahre im rechtsextremen Bereich: Rechtsextreme suchten den Einstieg in die institutionelle Politik, übten aber immer noch Gewalt aus», heisst es im Bericht 2005 Innere Sicherheit der Schweiz.
Als Beispiele für diese Gewalt erwähnt der Bericht den 1. Mai 2005, an dem Rechtsextreme in Solothurn und Aarau aufmarschierten. Genannt wird auch die offizielle Nationalfeier am 1. August auf dem Rütli, an der rund 600 Rechtsextreme die Rede des damaligen Bundespräsidenten Samuel Schmid störten.
Das Skinheadkonzert vom 17. September 2005 bei Brig VS machte Schlagzeilen: Rund 400 Leute nahmen daran teil. Rechtsextreme Musik spielte 2005 eine grosse Rolle. So wurden Musik-CDs auf Pausenplätzen in den Kantonen Aargau, Luzern, Bern und Glarus verteilt. Damit sollten nicht zur Szene gehörende Jugendliche angesprochen und Interesse für die rechtsextreme Ideologie geweckt werden.
Eine grosse Rolle spielte auch das Internet. Die Behörden kontrollieren die Inhalte rechtsextremer Seiten ständig auf mögliche strafbare Inhalte. Die Seite der Partei National Orientierter Schweizer (Pnos) wurde vom Provider jedoch mehrmals freiwillig vom Netz genommen. In der Armee wurde rechtsradikalen Tendenzen Einhalt geboten: Je zwei Rekruten und Unteroffiziere wurden wegen rassistischer Äusserungen aus der Rekrutenschule in Isone entlassen.
Für die Zukunft ist laut Bericht mit mehr rassistischen Vorfällen zu rechnen: «Spannungen in der Schweizer Rechtsextremenszene zwischen einem gewaltbereiten Lager von vorwiegend Jugendlichen und einem auf die institutionelle Politik ausgerichteten Lager der schon älteren Generation sind nicht erkennbar. Durch die intensiven Rekrutierungsversuche von Rechsextremen über Musik zeichnet sich ein Anwachsen der Szene ab. Die Gefahr steigt damit, dass während des ganzen Jahres die Vorfälle zunehmen und dass es häufiger zu Gewalttaten insbesondere gegen Personen sowie zu Auseinandersetzungen zwischen Rechts- und Linksextremen kommt.»