Links- und Rechtsextreme stehen wegen Raufereien vor dem Thuner Einzelrichter
«Mitgegangen, mitgehangen» – so umschrieb Einzelrichter Jürg Santschi gestern die Solidarhaftung von Links- und Rechtsextremen, die sich nach einer Demo geprügelt hatten.
Mireille Guggenbühler
Gegen den Waffenexport der Thuner Rüstungsfirma Ruag demonstrierten vor etwas mehr als einem Jahr Angehörige und Sympathisanten der Antifa-Szene vor dem Ruag-Gebäude an der Allmendstrasse in Thun. Anschliessend zogen einige der Demonstrationsteilnehmer Richtung Bahnhof. Plötzlich sei die Gruppe von «Glatzköpfen umringt gewesen», sagte gestern einer der Demonstrationsteilnehmer. Er stand sowohl als Privatkläger wie auch als Angeschuldigter wegen Raufhandels vor Einzelrichter Jürg Santschi. Einer aus der rechten Gruppe habe dann seinem Radiogerät, mit welchem sie Musik gehört hätten, einen Tritt versetzt. «Danach erhielt ich einen weiteren Schlag auf den Kopf, fiel zu Boden und war ohnmächtig.» Im Spital Thun stellte man eine Gehirnerschütterung, einen Haarriss am Schädelknochen sowie eine Rissquetschwunde fest.
Im Falle eines Raufhandels haben alle Beteiligten solidarisch zu haften, egal, ob sich jemand mit den Fäusten an einer Schlägerei beteiligt hat oder nur inmitten der Gruppe gestanden ist. «Mitgegangen, mitgehangen», sagte Santschi gestern. Der Demo-Teilnehmer wurde allerdings vom Vorwurf des Raufhandels freigesprochen, «weil alles blitzschnell gegangen ist und er offensichtlich keine Gegenwehr leisten konnte».
Verbotenes Waffentragen
Ebenfalls vor Gericht wegen desselben Raufhandels zu verantworten hatten sich gestern drei Sympathisanten und eine Sympathisantin der rechten Szene. In zwei Fällen waren die jungen Männer zudem wegen zusätzlicher Delikte wie verbotenes Waffentragen, Rassendiskriminierung oder Verletzung des Schriftgeheimnisses angeklagt. Die Angeklagten wurden einzeln und nicht im Beisein der anderen beurteilt.
Der erste und älteste der Angeklagten, ein 25-jähriger arbeitsloser Computerverkäufer und «der lokalen Rechtsextremenszene angehörend», wie Richter Santschi festhielt, dementierte seine Teilnahme am Raufhandel sowie weitere Delikte nicht. «Ich habe von der Demo gewusst. Wir wollten am Bahnhof nur Präsenz markieren und keine Schlägerei.» Die Linken hätten dann aber Sprüche gemacht, «mich angepöbelt». Er habe sich von ihnen «provoziert gefühlt». «Jemandem schlug ich dann ,fadegrad? ins Gesicht.»
Den Linken abgepasst habe man, weil diese eine unbewilligte Demo durchgeführt und Schäden in der Innenstadt verursacht hätten. «Das war Selbstjustiz, und das geht nicht», hielt Santschi fest. Wegen Raufhandels sowie weiterer fünf Delikte verurteilte Santschi den Angeschuldigten zu 14 Tagen Gefängnis und zur Übernahme der Gerichtskosten (400 Franken). Die Auslagen des Opfers wurden über einen Vergleich geregelt.
Die zweite Angeklagte, eine 20-jährige Frau und ehemalige Freundin eines der Angeklagten, sagte aus, damals im Auto geblieben zu sein. Die zurzeit schwangere junge Frau legte grossen Wert darauf, dass ihre Adresse nicht bekannt gegeben werde. Sie habe keine Beziehung mehr zu dieser Szene und zum Rechtsextremismus. Die Rolle der Frau während der Schlägerei blieb für den Einzelrichter so unklar, dass ihr Fall erst nach den Einvernahmen aller Angeschuldigten beurteilt werden wird.
Der dritte Angeklagte, ein 20-jähriger arbeitsloser Lagerist, dementierte seine Teilnahme am Raufhandel sowie weitere Delikte ebenfalls nicht. «Die Linken geprügelt habe ich aber nicht, nur dem Radio einen Fusstritt verpasst.» Als die Linken Pfefferspray eingesetzt hätten, habe er die Flucht ergriffen. Verurteilt wurde der 20-Jährige anschliessend wegen Raufhandels und drei weiterer Delikte zu einer zweimonatigen bedingten Gefängnisstrafe und zur Übernahme der Verfahrenskosten (460 Franken) sowie einer Busse (300 Franken). Die Auslagen des Opfers wurden über einen Vergleich geregelt.
Der vierte Angeklagte der rechten Szene, der kurz vor den Lehrabschlussprüfungen steht, dementierte seine Beteiligung am Raufhandel. Er habe nur zugeschaut, sei einige Meter daneben gestanden. «Hätte ich geschlagen, gäbe ich es zu. Zudem würde nicht nur einer im Spital landen, wenn ich zuschlage», hielt der gut gebaute 21-Jährige fest. Sein Fall wurde vertagt und eine zweiwöchige Beweismittelfrist angesetzt. Am Freitag müssen sich weitere Demonstrationsteilnehmer vor dem Einzelgericht verantworten.