Das Kreuz mit dem Kreuz

OltenerTagblatt

Stefan Frech

Nazi-Symbole Kantonale IV-Stelle strich einem Mann zu Recht das Taggeld

Ein sehbehinderter Monteur wollte sich zum Masseur umschulen lassen. An seiner Praktikumsstelle wurde er jedoch aufgefordert, die auf seine Hand tätowierten Hakenkreuze abzudecken. Da der 49-Jährige sich weigerte und die Ausbildung abbrach, strich ihm die kantonale IV-Stelle das Taggeld – zu Recht, hat das Bundesgericht nun entschieden.

Der 49-jährige Schweizer G.* war als Freileitungsmonteur tätig, bevor er sich wegen einer Sehbehinderung eine neue Beschäftigung suchen musste. Die Invalidenversicherungs-Stelle des Kantons Solothurn half ihm dabei. Sie bezahlte ihm mehrere berufliche Massnahmen, unter anderem eine zweieinhalbjährige Umschulung zum medizinischen Masseur. Zur Ausbildung gehörte ein Praktikum. Als aber das Massage-Institut die Hakenkreuz-Tätowierungen auf der Hand und den Fingern des Praktikanten sah, verlangte es von ihm, diese Tattoos während der Arbeit mit einem Pflaster abzudecken.

G. weigerte sich. Auch suchte er sich keine neue Praktikumsstelle, wie das die IV-Stelle von ihm gefordert hatte. Die kantonale Behörde stellte deshalb ihre Taggeldzahlungen ein und lehnte weitere berufliche Massnahmen sowie die Ausrichtung einer IV- Rente ab. «Es wäre zumutbar gewesen, die Tätowierung während der Arbeit abzudecken», begründete die IV-Stelle ihren Entscheid.

Berufung auf Religionsfreiheit

G. wollte diesen Beschluss nicht auf sich sitzen lassen und legte beim Solothurner Versicherungsgericht Beschwerde ein. Dort blitzte er aber Ende März 2008 ab: Das Massage-Institut habe zu Recht verlangt, dass G. die Hakenkreuz-Tätowierungen abdecken müsse. «Jeder Patient wird sich überlegen, ob er sich von einer Person, die dieses Zeichen nach aussen sichtbar trägt und damit bewusst oder unbewusst einen bestimmten politischen Standpunkt dokumentiert, behandeln lassen will», so die Solothurner Richter. Obwohl das Tragen von Nazi-Symbolen in der Schweiz an sich erlaubt ist (siehe Artikel unten), darf ein Arbeitgeber grundsätzlich – und deshalb auch in diesem Fall – seinem Arbeitnehmer Vorschriften über das Tragen von Kleidern und anderen Gegenständen bei der Arbeit machen. G. liess aber nicht locker und zog den Fall vors Bundesgericht. Erstmals berief er sich nun auf die Religionsfreiheit. G. bestritt in seiner Beschwerde, dass die Hakenkreuz-Tätowierung Ausdruck seiner politischen Einstellung sei. Er gehöre vielmehr der Glaubensgemeinschaft des Jainismus an, einer in Indien beheimateten Religion, deren wichtigstes Zeichen die Swastika (das Hakenkreuz) sei. Dieses Argument liess das Bundesgericht zwar gelten, es nützte dem Schweizer aber nichts: Die Richter wiesen G.s Beschwerde mit Urteil vom 2. Juli 2008 ab. Das Abdecken der Tätowierungen während der Arbeitszeit sei «eine eher geringfügige Einschränkung der Religionsfreiheit». Es sei ja nicht Glaubenspflicht der Jainisten, Swastika-Tätowierungen auf der Hand zu tragen. Auch habe die kantonale IV-Stelle die Taggelder zu Recht eingestellt, weil G. keine neue Praktikumsstelle angetreten und somit die Ausbildung abgebrochen habe. Die Behörde habe also nicht das «Nichtabdecken» der Tätowierung sanktioniert, sondern das Nichtantreten eines Praktikumsplatzes.

«Wenn er sich bemüht, dann bezahlen wir»

Das Bundesgericht weist in seinem Urteil aber auch darauf hin, dass die IV-Stelle die Taggelder wieder auszahlen müsse, wenn G. doch noch einen Praktikumsplatz als Masseur finde. «Wenn er sich um eine Ausbildung bemüht, dann finanzieren wir diese auch», bestätigt Stefan Ritler, Geschäftsleiter der kantonalen IV-Stelle. Ob sich G. nach dem Bundesgerichtsurteil bereits bei der IV-Stelle gemeldet hat, kann Ritler aus Gründen des Datenschutzes nicht sagen.

* Name von der Redaktion geändert

Noch darf Hakenkreuz gezeigt werden

Im Gegensatz zu Deutschland und Österreich ist das öffentliche Tragen und die Verbreitung von nationalsozialistischen Symbolen in der Schweiz erlaubt. Seit acht Jahren beabsichtigt der Bundesrat, solche rassendiskriminierende Kennzeichen zu verbieten. Eine entsprechende Vernehmlassung wurde 2003 durchgeführt. Die meisten Kantone und Parteien begrüssten einen neuen Straftatbestand. Unter dem früheren Justizdirektor Christoph Blocher wurden aber die Arbeiten auf Eis gelegt. Und jetzt? «Es ist noch offen, wann der Bundesrat über ein allfälliges Verbot solcher Kennzeichen entscheidet», sagt André Riedo, wissenschaftlicher Berater im Fachbereich Strafrecht des Bundesamts für Justiz, auf Anfrage.