«Hinstehen und auf die Hütte losballern»

Der Bund

«SOLTERPOLTER»-PROZESS / Gut 14 Monate nach den Schüssen auf die alte Soltermann-Schlosserei im Marzili beginnt am Montag der Prozess gegen drei Jugendliche aus der Region Bern. Sie hatten die Tat bereits nach ihrer Verhaftung vor einem Jahr gestanden. Ihr Anschlag richtete sich gegen die linksalternativen «Solterpolter»-Bewohner.

* HEIDI GMÜR

Noch heute zeugen die zahlreichen Einschusslöcher vom Gewaltakt, der in der Nacht vom 9. auf den 10. Juli letztes Jahr die Marzili-Anwohner aus dem Schlaf gerissen und fünf «Solterpolter»-Bewohner in Angst und Schrecken versetzt hatte. Es war kurz nach halb drei Uhr nachts, als an jenem Montag unzählige Schüsse durchs Quartier hallten: Eine unbekannte Täterschaft hatte mehrere Gewehrsalven auf die ehemalige Bauschlosserei Soltermann an der Marzilistrasse 3 abgefeuert, die seit einigen Jahren von jungen Linksaktivisten und Linksaktivistinnen bewohnt wird. Wie durch ein Wunder blieben sie unverletzt -unter dem Kugelhagel waren Fenster geborsten, an Schiebetor und Mauerwerk sicherte die Berner Stadtpolizei Dutzende Durchschuss- und Einschlagspuren, auf der Strasse fand sie über 100 Patronenhülsen, die von Sturmgewehrmunition (GP 90) stammten.

Der Anschlag war der Höhepunkt mehrerer Attacken auf die Wohngemeinschaft unterhalb der Marzilibahn-Talstation.

Drei Jugendliche verhaftet

Bereits einige Stunden nach der Tat verhaftete die Polizei in Ittigen einen Jugendlichen. Der damals 22-jährige Velomechaniker gestand denn auch, an der Schiesserei beteiligt gewesen zu sein. In seiner Wohnung fand die Polizei nicht nur das persönliche Sturmgewehr des Ittigers, sondern überdies rechtsradikale Literatur. Fünf Tage später informierte die Polizei über zwei weitere Festnahmen: In Wabern hatte sie am 13. Juli einen 19-jährigen Metallbauschlosserlehrling gestoppt, der mit dem gesuchten Geländefahrzeug mit Blachenverdeck unterwegs war – er war geständig, beteuerte indes, selbst nicht geschossen, sondern lediglich den bereits verhafteten Schützen zum Tatort gefahren zu haben. Und auch der 19-Jährige bewegte sich laut Polizei «im Umkreis» der rechtsradikalen Szene. Am gleichen Tag nahm die Kantonspolizei Wallis auf Antrag der Stadtpolizei einen weiteren Verdächtigen, einen 20-jährigen Koch aus Bern, fest. Im Laufe der Ermittlungen gab dieser schliesslich zu, gemeinsam mit dem 22-jährigen Ittiger auf die Soltermann-Schlosserei geschossen zu haben.

«Abneigung gegen Linke»

Anfang August wurde zudem bekannt, dass der 19-jährige Fahrer als Jungschütze eines der beiden verwendeten Sturmgewehre und die Munition beschafft hatte. Als Motiv für die Tat gaben die drei Jugendlichen – alle hatten Kontakte zur rechtsextremen Szene – ihre «Abneigung gegen Linke» an.

Ab Montag vor Gericht

Ab Montag müssen sie sich nun im Berner Amthaus vor dem Kreisgericht Bern-Laupen verantworten. Vorgeworfen wird ihnen insbesondere ein so genannt vollendeter Versuch der vorsätzlichen Tötung sowie Sachbeschädigung, Widerhandlungen gegen das Waffengesetz, missbräuchliche Verwendung von Armeematerial und Gefährdung der öffentlichen Sicherheit mit Waffen.

Sie «riefen ,Sieg Heil’»

Laut Überweisungsbeschluss hätten die drei «gemeinsam den Entschluss» gefasst, den «Solterpolter»-Bewohnern durch «Hinstehen und auf die Hütte Losballern» einen «Denkzettel» zu verpassen. Hierzu hätten sie in jener Nacht im Juli mit einem Jeep Suzuki beim 22-Jährigen in Ittigen dessen Sturmgewehr geholt, bevor sie im Schiessstand Schliern-Platten «unbefugt ein weiteres Sturmgewehr, Magazine und ca. 110 Schuss Munition behändigten». Danach habe sie der 19-jährige Jungschütze ins Marzili-Quartier gefahren, wo die beiden älteren Angeschuldigten «sich vor dem Areal mit den Sturmgewehren aufstellten, ,Sieg Heil‘ riefen, und zusammen gesamthaft ca. 110 Schuss in Einzel- und Seriefeuer auf die Front des Gebäudes, hauptsächlich auf die Schiebetüre, abgaben». Mit den Durchschüssen und Querschlägen hätten sie die anwesenden, teils schlafenden fünf Bewohner und Bewohnerinnen «konkret an Leib und Leben» bedroht -«wobei es nur grossem Zufall zu verdanken ist, dass keine der Personen durch den Kugelhagel getroffen wurde».

Involviert in weitere Vorfälle

Den drei Jugendlichen werden weitere Delikte zur Last gelegt. So sollen sie beispielsweise einen Monat vor der Schiesserei mit «blauer Farbe Fassade und Sitzbänke des Bahnhofs Köniz» besprayt haben -unter anderem mit «SS»-Zeichen, Hakenkreuzen und Parolen wie «Heil Hitler», «Sieg Heil» und «Juden RAUS». Die Anklagepunkte: Sachbeschädigung und Rassendiskriminierung. Aufs Konto von zwei der drei Angeschuldigten gehen laut Untersuchungsbehörden ausserdem rechtsextreme Zeichen beim SVB-Wartehäuschen Bachmätteli.

Schliesslich soll der 22-jährige Ittiger in Münchenbuchsee andere Jugendliche verprügelt haben und an der letztjährigen Solätte in Burgdorf am gewalttätigen Übergriff von Skins auf andere Jugendliche beteiligt gewesen sein (siehe unten). Er befindet sich zurzeit im vorzeitigen Strafantritt in der Strafanstalt Witzwil. Derweil waren die beiden jüngeren Angeschuldigten nach 37 respektive 141 Tagen Untersuchungshaft «mangels Haftgrund» wieder auf freien Fuss gesetzt worden.

Fünftägiger Prozess

Am Montag werden die drei Angeschuldigten zu ihren persönlichen Verhältnissen und zu den Vorwürfen befragt. Für den Dienstag ist ein Augenschein am Tatort vorgesehen, einvernommen werden zudem ein Sachbearbeiter der Stadtpolizei und ein Waffenexperte des Kriminaltechnischen Dienstes. Am Mittwoch folgen die Plädoyers, bevor sich das Gericht zur geheimen Urteilsberatung zurückzieht und voraussichtlich am Freitag das Urteil verkündet.

Geprügelt an der Solätte in Burgdorf?

PROZESS / Einer der Angeschuldigten soll auch in Burgdorf und Münchenbuchsee in Schlägereien verwickelt gewesen sein.

gmü.Vor allem im Jahr 2000 gerieten Burgdorf und Münchenbuchsee immer wieder in die Negativschlagzeilen. Grund war eine Häufung von Vorfällen, in die Rechtsextreme involviert waren. So kam es beispielsweise am 26. Juni 2000 in Burgdorf im Anschluss an die Solätte zu gewalttätigen Übergriffen von rechten auf linke Jugendliche, mindestens zwei Personen wurden verletzt. Bereits im April dieses Jahres wurde in diesem Zusammenhang ein 19-jähriger Skinhead wegen Raufhandels und weiterer Delikte zu einer Busse von 1000 Franken verurteilt (der «Bund» berichtete).

Und auch der 22-jährige Solterpolter-Schütze aus Ittigen soll damals am «Raufhandel» auf der Gebrüder-Schnell-Terrasse beteiligt gewesen sein, wie dem Überweisungsbeschluss zu entnehmen ist. Der Angeschuldigte gab gegenüber den Untersuchungsbehörden an, er sei an jenem Tag «von verschiedenen Punks provoziert» worden, worauf er telefonisch einen Kollegen in Bern orientiert und um Hilfe gebeten habe. So sei eine Gruppe von mindestens zehn Skinheads nach Burgdorf zusammengerufen worden, um dort «Linke zu verprügeln», schreiben die Untersuchungsbehörden. Der 22-Jährige ist der letzte Beteiligte, der sich in dieser Sache zu verantworten hat. Wie die zuständige Untersuchungsrichterin Céline Jordi gestern auf Anfrage sagte, hätten alle anderen Fälle abgeschlossen werden können – zumeist mit einem Strafmandat, also ohne Gerichtsverhandlung.

Und in Münchenbuchsee…

Schliesslich wird dem 22-Jährigen auch ein «Angriff» auf Jugendliche in Münchenbuchsee vorgeworfen. Der Vorfall ereignete sich am 20. Mai 2000. Gemeinsam mit anderen ist er damals laut Überweisungsbeschluss zu einer Gruppe Jugendlicher hinzugetreten, die bei den Sitzbänken im «Uedeli» sassen. Sie hätten gefragt, wer Schläge beziehen wolle, um dann «ohne Vorwarnung» auf sie loszuschlagen und zu treten. Der Ittiger habe dabei unter anderem einem Jugendlichen einen Fusstritt an den Kopf verpasst und einem anderen einen Faustschlag gegen das Kinn.