Die Bilder der glatzköpfigen Neonazis, die auf der Gründerstätte der Eidgenossenschaft die Hand mit drei gespreitztenFingern zum Kühnengruss erhoben, sorgten für eine hitzige Diskussion unter Politikern, Juristen undExtremismus-Experten. Die Gefahr ist erkannt, doch über die Massnahmen herrscht weitgehende Ratlosigkeit.
Nach dem Vorfall bei der Staatsfeier steht für Strafrechtsprofessor Marcel Niggli von der Universität Fribourg fest, „dasProblem des Rechtsextremismus in der Schweiz ist von Politikern und der Öffentlichkeit zu lange unterschätzt worden“.Und Justizministerin Ruth Metzler äusserte in einem Interview mit der Tageszeitung „Blick“, sie sei ob der momentanenSituation sehr besorgt.
Auch die Statistik spricht eine deutliche Sprache. Gemäss dem Staatsschutzbericht der Bundespolizei wurden 1999insgesamt elf rechtsextremistisch motivierte Zwischenfälle bei Asylbewerberheimen verzeichnet, gegenüber dreien im Jahr1998. Die Anzahl der gerichtlichen Urteile im Zusammenhang mit Rechtsextremismus hatte sich im Berichtsjahr miteinem Anstieg auf 44 von 28 gegenüber dem Vorjahr fast verdoppelt.
Uneinig sind sich Politiker, Juristen und Extremismus-Experten bis anhin über die zu treffenden Massnahmen.Strafrechtler Niggli tritt entschieden für eine Ergänzung der Anfang 1995 in Kraft getretenen Antirassismus-Strafnorm ein.Seiner Ansicht nach soll die Norm, die in der jetzigen Fassung nur öffentliche rassistische Handlungen verbietet, auf denprivaten Bereich ausgedehnt werden. Damit könnten als „private Feiern“ getarnte rechtsextreme Versammlungen oderKonzerte strafrechtlich verfolgt werden, erklärte Niggli. „Dass Skinheads ungestört grosse Feiern abhalten können,empfinde ich als stossend“.
Justizministerin Metzler will den Vorschlag Nigglis nun aufgreifen. Sie wolle überprüfen lassen, ob dieAntirassismus-Strafnorm verschärft werden solle, sagte sie gegenüber „Blick“. Die Grenze zu ziehen zwischenöffentlichem und privatem Bereich sei aber oft sehr schwierig. Dies bestätigte auch Walter Haller, Staatsrechtsprofessor ander Universität Zürich. „Ich bin mir des Problems privater Versammlungen von Neonazis bewusst. Jedoch stellt sich dieFrage, inwiefern alles was im privaten Bereich sittlich verwerflich ist, unter Strafe gestellt werden kann“, sagte Haller.
Derweil fordert der Chef der Bundespolizei Urs von Daeniken mehr personelle Ressourcen für den Kampf gegenRechtsextremismus. Zuwenig Leute könnten sich bei der Bundespolizei mit dem Problem auseinandersetzen, erklärte vonDaeniken.
Gar nichts von polizeilich oder juristisch einschränkenden Massnahmen hält der Publizist und Verfasser der Chronologie“Rassistische Vorfälle in der Schweiz“ Hans Stutz. „Ein gesellschaftliches Problem kann man nicht einfach mit mehrRepression lösen“, erklärte der profunder Kenner der braunen Szene. Viel wichtiger sei eine Verringerung der sozialenGegensätze in der Schweiz und eine konsequente Informationspolitik. Stutz plädiert in diesem Zusammenhang für dieEinrichtung eines Informationsarchivs, das mit einer umfassenden Sammlung zum Thema Rechtsextremismus derAllgemeinheit zur Verfügung stehe.