Wider die «Verlockungen»

Der Bund

RECHTSEXTREME / Die zunehmende jugendliche Gewaltbereitschaft bereitet der Stadtregierung Sorgen, wie sie in der Antwort auf einen SD-Stadtratsvorstoss schreibt. Augenmerk und Prävention seien klar auf die rechte Szene zu richten, betont der Gemeinderat.

* SUSANNE WENGER

Samstag, 22. Januar 2000: 800 Personen ziehen anlässlich des «1. Antifaschistischen Abendspaziergangs» durch Bern, mobilisiert vom linken Bündnis «Alle gegen rechts». Die Stadtpolizei nimmt 100 von 250 aufmarschierten rechten Störern fest und verhindert so Zusammenstösse. Denn im Vorfeld hatte sich die Stimmung hochgeschaukelt, es war, wie der Chef des stadtpolizeilichen Nachrichtendienstes, Fritz Schlüchter, damals im «Bund» sagte, ein «Hassklima» zwischen linksautonomen Jugendlichen aus dem Umfeld der Antifa Bern und rechtsextremen Skinheads entstanden. Die beiden Gruppierungen waren sich mehrmals gewaltbereit im Bahnhof gegenüber gestanden. Eine Woche vor der Demonstration hatten Politiker der Schweizer Demokraten (SD) die Aufregung zusätzlich gesteigert:In einem Communiqué erklärten sie, von «Linkschaoten» persönlich bedroht zu werden. Unter dem Eindruck dieser Ereignisse reichten die SD-Stadtratsmitglieder Peter Bühler und Lydia Riesen Ende Januar 2000 einen Vorstoss ein. «Die Gewaltspirale zwischen ,linken‘ und ,rechten‘ Jugendlichen dreht sich in der Bundesstadt immer mehr gegen oben», heisst es in der Interpellation. Dabei unterschieden sich die «oft blutjungen Jugendlichen vielfach nur durch ihr Äusseres». Tagespolitik sei meist sekundär, «einzig in der Ausländerpolitik scheiden sich die Geister», schreiben die beiden – um dann die Stadtregierung zu fragen, ob sie Möglichkeiten sehe, «den Dialog zwischen Skins auf der einen sowie Punks und Antifas auf der anderen Seite zu fördern». Nach mehr als einem Jahr liegt nun die Antwort des Gemeinderats auf die SD-Interpellation vor – es ist das erste Mal, dass sich die Stadtregierung ausführlich zu diesem Problemkreis äussert.

«Dramatische Formen»

«Gewaltbereitschaft und Gewalthandlungen haben zugenommen», schreibt die Exekutive: «In letzter Zeit treten sie auch in dramatischen Formen auf, die dem Gemeinderat Anlass zu Sorge geben.» Indes: Die Einschätzung der Interpellanten, dass «Gewaltbereitschaft und Präsenz der ,linken‘ und der ,rechten‘ Szene sich die Waage halten», teilt die Stadtregierung nicht – «weil sie nicht den Tatsachen entspricht». Übergriffe auf «Linke, Fremde oder Schwache» gingen von rechtsextremen Gruppen aus, betont der Gemeinderat. Er verurteile Gewalt von jeder Seite, «aber höchste Aufmerksamkeit von Polizei, Behörden und Gesellschaft erfordert der Rechtsextremismus» – so der Standpunkt der Stadtregierung. Es ist wortwörtlich auch jener von Kurt Niederhauser, Kommandant der Kantonspolizei: «Die Lage erfordert höchste Aufmerksamkeit von Polizei, Behörden und Gesellschaft», sagte Niederhauser letzten Februar. Damals vermeldete die Kapo, dass die Zahl der Rechtsextremisten im Kanton um 50 Prozent auf 180 gestiegen sei. Gleichzeitig hätten sich Übergriffe gehäuft – beispielsweise griffen Skinheads im Sommer 2000 mit Sturmgewehren die Wohngemeinschaft Solterpolter im Marziliquartier an. Einen inszenierten Dialog zwischen den beiden Gruppen, wie ihn die SD-Interpellanten anregen, lehnt der Gemeinderat ab: «Zu unversöhnlich stehen die beiden Lager einander gegenüber.» Stattdessen setzt die Stadt auf die Prävention nach dem Grundsatz, «alle Jugendlichen ungeachtet ihrer sozialen oder ethnischen Herkunft in unsere Gesellschaft zu integrieren». Integrierte Jugendliche widerstünden «Verlockungen» durch extreme Gruppen, denen sie sich häufig aus einer persönlichen Krise heraus anschlössen. Es gebe Anzeichen, dass in städtischen Schulen auf der Sekundarstufe II «ein Teil der Jugendlichen sich mit dem Gedankengut des Rechtsextremismus näher befasst». Präventiv seien Jugendamt, Gesundheitsdienst und Schulamt aktiv, etwa mit einem Projekt, in dem Schüler Konfliktsituationen üben können. Oder mit dem «Nischenarbeitsfonds», der Jugendlichen in ihren Treffs eine Beschäftigungsmöglichkeit anbietet. Zudem setzte der Gemeinderat eine direktionsübergreifende «Koordinationsgruppe gegen Rechtsextremismus» ein.

Ruhe im Wankdorf

Gewaltprävention in den Sportstadien hingegen sei «in erster Linie Sache der Sportvereine», erklärt die Regierung. Im Allmendstadion sei gemäss Bericht des Schlittschuhclubs Bern die linke Szene nicht militant vorhanden, «während sich die Rechtsextremen mit 30 Personen regelmässig bemerkbar» machten. Wer rassistische Aktionen starte, werde vom Stadion weggewiesen. Der BSCYoung Boys stelle «keine militante Szene im Stadion» fest. Die Lage habe sich beruhigt, so der Gemeinderat. Vor zwei Jahren noch hatte Urs Frieden, Initiator des YB-Fanprojekts «Gemeinsam gegen Rassismus», 30 Skinheads ausgemacht, die regelmässig in der Fankurve anzutreffen seien.