Das sind die Schläger von Lugano
VON SANDRO BROTZ,MARKUS STEUDLERUND EDNA LISAK
LUGANO – Eine Woche nach der Schandnacht von Lugano wird klar: DieRandalierer sind seit Jahren bekannt, doch der HC Lugano liess siegewähren – obwohl Sicherheitsexperten den Club warnten. Wie langeschaut HCL-Präsident Gaggini noch zu?
815 000 Zeugen. So viele sassen vor denTV-Bildschirmen, als es am Samstag voreiner Woche in der Resega krachte. Vorlaufenden Kameras kam es nach demEishockey-Finalspiel zwischen den ZSCLions und dem HC Lugano zur Schandnachtvon Lugano – mit 815 000 Zeugen. Sie allesahen: Wie die ZSC-Spieler mitFeuerwerkskörpern beschossen wurden undin die Kabine flüchten mussten. Wie sich wild gewordene Hooligans mitSicherheitsleuten prügelten und mit Bänkenum sich warfen. Wie Journalisten bedroht wurden und dieSF DRS-Reporterin ihre Siegerinterviews abbrechen musste.
Noch am Tag danach behauptete HC-Lugano-Präsident Fabio Gaggini: «Ichkenne diese Leute nicht. Das sind nicht unsere Fans.» Wirklich nicht, Herr Gaggini?
SonntagsBlick-Recherchen auf Grund umfangreichen Foto- undVideomaterials zeigen: Unter den Randalierern waren mehrere einschlägigbekannte Lugano-Fans. Zwei davon wurden schon vor Jahren mit einemStadionverbot belegt. «Sie warfen damals Bierdosen auf andere Fans undwurden mit Leuchtpatronenstiften erwischt», bestätigt der ehemaligeSicherheitschef des HC Lugano, Gino Staunovo. Er hat auf den Bildern jenerNacht mindestens acht Personen erkannt, die dem harten Kern derLugano-Fans zuzurechnen sind. Und der Ex-Präsident eines führendenLuganeser Fanclubs sagt: «Bei den Schlägereien nach dem Spiel waren fünfFans auf dem Eis, die regelmässig in der Curva Nord stehen – darunter auchein Mitglied der Vereinigung „Ragazzi della Nord“». Trotzdem behauptetenoch gestern Samstag ein anonymer Sprecher der «Ragazzi della Nord»:«Von uns wollten sich nur einzelne prügeln, doch wir haben siezurückgehalten. 70 Prozent der Randalierer haben wir noch nie gesehen, dierestlichen 30 Prozent wollten die Krawalle nur stoppen.» Doch selbst im Umfeld des HC-Lugano-Vorstands heisst es: «Wer behauptet,die Hooligans nicht zu kennen, der lügt.» Doch der gleiche Vorstand war esauch, der sich in der Vergangenheit immer wieder nachweislich gegenStadionverbote für Fans gewehrt hat. Ein Insider: «Es gab auch Verbote, dievom Vorstand einfach wieder aufgehoben wurden – obwohl es sich eindeutigum Hooligans handelte.» Darunter waren nach Informationen vonSonntagsBlick auch zwei der jetzt enttarnten Schläger.
Verstärkung bekommt die legendäre Curva Nord regelmässig aus Italien. «Unter den Schlägern in der Resega habe ich auch Mitglieder der Hooligan-Vereinigung „Milano Devils“ erkannt», erzählt eine langjährige Mitarbeiterin des Sicherheitsdienstes beim SC Bern. Und ein Hooligan-Aussteiger weiss: «Es waren einzelne aus Italien darunter. Diemeisten waren aber Lugano-Fans. Es waren alte Kollegen von mir dabei -darunter auch Skinheads». Auf der Internetseite einer SchweizerSkinhead-Gruppe prangt denn auch das Logo der «Ragazzi della Nord». Fürden ehemaligen Chef der Curva Nord, Mauro Medolago, ist klar: «DasProblem liegt in der Führung der Curva Nord – es gibt sie schlicht nicht.Niemand übernimmt die Verantwortung. So kann man sich denn auchherauswinden und behaupten, die Randalierer nicht zu kennen.» Das Fazitvon Hooligan-Experte Dölf Brack von der Stadtpolizei fällt ernüchternd aus:«Diese Leute sind bekannt. Ich glaube dem HC Lugano gar nichts mehr.»Was nun, Herr Gaggini? «Das sind Kriminelle», poltert der Präsident des HC Lugano nun plötzlich undhat diese Woche Anzeige gegen Unbekannt eingereicht. Sein technischerDirektor Beat Kaufmann gesteht ein: «Die Bilder sprechen eine deutlicheSprache.» Die Tessiner Staatsanwaltschaft hat bereits erste Hooliganseinvernommen, will sich aber nicht dazu äussern. AuchNationalliga-Präsident Franz A. Zölch schweigt vornehm: «Wir haben allesgesagt.» Doch Sicherheitsexperte Staunovo weiss: «Das Hooligan-Problemwurde unterschätzt – nicht nur bei uns in Lugano.»
Einzelrichter will Spieler vorladen
ZUG – In einer Woche soll das sportjuristische Urteil gegen den HC Lugano gefällt werden. «Ich will ein super faires und klares Verfahren», verspricht Einzelrichter Heinz Tännler. Nach Sichtung des Foto- und Videomaterials will er über Ostern den Beweisauflagenbeschluss fertig stellen. Darin wird festgehalten, welche Dokumente Tännler noch sehen und welche Zeugen er befragen will. Geplant sind rund ein Dutzend Befragungen. Welche Spieler aufgeboten werden, ist noch offen. Die Kompetenz von Tännler beim Strafmass reicht von einer Busse (bis 40 000 Franken) über Spiele unter Ausschluss der Öffentlichkeit bis zu einer Stadionsperre für ein Jahr.
Das sind die sichersten Stadien
Lugano/Zürich – Kurios: Eigentlich gilt die Resega als sicherstes Stadion der Schweiz. «Baulich sehe ich keine Verbesserungsmöglichkeiten», sagt Hooligan-Experte Dölf Brack. So ist beispielsweise für die Gäste-Fans ein eigener Sektor reserviert. «Es ist alles eine Frage des Sicherheitskonzepts», meint Brack. In der Schandnacht von Lugano gelang es Hooligans in der Curva Nord, eine Plexiglasscheibe zu zerstören – und damit den Sicherheitsdienst zu überrumpeln. So kamen die Randalierer auch bis zu den Spielerbänken und aufs Eis. Als sicher stuft Brack weiter das Hallenstadion in Zürich, den Schluefweg in Kloten und die Herti-Halle in Zug ein. Nicht mehr auf dem neuesten Stand sei die Arena St. Léonard in Fribourg. Und schlimm stehe es um die Valascia in Ambri: «Feuerpolizeilich eine Katastrophe.»