Keine Schranken für rechtsextreme

BaslerZeitung

Musik im Internet

Von Mathieu von Rohr

Die Internet-Musikbörse «Napster» macht denKampf gegen Neonazi-Musik unmöglich

Seit Wochen steht die MP3-Börse Napster, die denweltweiten und kostenlosen Austausch von Musikdateienermöglicht, wegen Verstössen gegen Urheberrechte imRampenlicht. Doch das Konzept des verhältnismässigneuen Dienstes birgt noch viel schwerwiegendereProbleme als die Frage, ob hier Beihilfe zumRaubkopierertum geleistet werde. Denn so schnell wiedie Software den Zugang zu allen Werken von Madonna,Metallica und Mozart eröffnet, ermöglicht sie auch dasAuffinden von rechtsextremer Musik. Ob «DJ Adolf feat.Adolf Hitler», die Skinhead-Band «Landser» oder die«Zillertaler Türkenjäger» – Napster hat sie ebenso wiedas «Horst-Wessel-Lied» (die Hymne der SS) undhistorische Ansprachen Hitlers.

Dass Neonazis das Internet für Propagandazwecke undzur Vernetzung der Szene missbrauchen, ist keine neueEntwicklung: Auf Tausenden Seiten im Internet wirdRassenhass gepredigt und der Nationalsozialismusverherrlicht. Meistens befinden sich diese Rechner inden USA, wo eine aus europäischer Sicht sehr extensiveAuslegung der Meinungsfreiheit herrscht undrassistische Hetze in der Öffentlichkeit, anders als inder Schweiz, nicht unter Strafe steht. Während rechtsextreme Musik bisher aber nur aufspeziellen Webseiten und passwortgeschütztenFTP-Servern verfügbar war, erleichtern so genannte«Peer-to-Peer»-Programme wie Napster den Vertriebder Nazi-Musik enorm – gleichzeitig wird eineStrafverfolgung praktisch verunmöglicht. Anders als beieinem Webserver sind die MP3-Musikdateien hiernämlich nicht an einem zentralen Ort gespeichert, dendie Behörden ins Visier nehmen könnten. Vielmehr bietetjeder Benutzer des Dienstes allen anderen, diegleichzeitig online sind, seine Lieder an.

Vereinfachung der Verbreitung
Napster indexiert nur die momentan verfügbarenDateien und bietet eine Suchfunktion an, die anzeigt,welche Lieder von wo auf den eigenen Computerruntergeladen werden können. So ist jeder Benutzergleichzeitig Anbieter und Nachfrager – nur die FirmaNapster selbst hat die Übersicht, wer was anbietet undwer was runterlädt. Doch die – das zeigt der Prozess, dendie Plattenindustrie angestrengt hat, um den Tausch vonurheberrechtlich geschütztem Material über dasProgramm zu verhindern – scheint nicht gewillt,Filterungen durchzuführen oder gar mit Behörden zukooperieren. Die Bitte der BaZ um Stellungnahme indieser Angelegenheit liess das Unternehmen bisherunbeantwortet.
Was den Tausch rechtsradikaler Musik über diesen Kanalbesonders bedenklich macht: Bei Napster handelt es sichnicht länger um eine dunkle Ecke des Internets, sondernum einen seiner populärsten Dienste. 20 MillionenMenschen benutzen ihn laut Napster Inc. täglich, um sichdie neuesten Hits auf Platte zu holen, ein Grossteil derBenutzer ist unter zwanzig Jahre alt. Dass diese Nähe brauner Hassmusik zu fröhlichenPopklängen und Teenagern, denen der Sinn gewiss nichtnach Liedern wie «Sieg Heil, unser Deutschland!» von«DJ Adolf» steht, eine Rekrutierungswirkung für dierechtsradikale Szene haben könnte, ist indes sehrunwahrscheinlich. «Es braucht mehr als die leichteVerfügbarkeit dieser Musik, damit sich jemandrechtsradikalen Kreisen anschliesst», meint Hans Stutz,ein langjähriger Kenner der braunen Szene. «Jemandmuss schon vorher für die Werte und Ziele derRechtsextremisten empfänglich sein.» Das eigentlicheProblem ist denn auch vielmehr die vereinfachteVerbreitung der Musik innerhalb des braunen Netzwerksselbst.

Funktion der Musik
Unbestritten ist allerdings, dass Musik für dieNeonazi-Szene eine entscheidende Rolle spielt. Konzertevon Skinhead-Bands wirken häufig als «Einstiegsdroge»für neue Mitglieder, so Jürg Bühler, stellvertretenderChef der Bundespolizei (Bupo). Konzerte und Musikbilden nach einer Untersuchung des deutschenVerfassungsschutzes ein wichtiges Element derIdentifikation in der noch wenig strukturierten Szeneund stärken das Gemeinschaftsgefühl. Skinhead-Musikähnelt mit ihren harten, aggressiven Rhythmen demHeavy Metal.
Die Liedtexte propagieren Rassismus, Antisemitismus,einen völkischen Nationalismus und rufen oft zuGewalttaten gegen Ausländer, Juden oder politischeGegner auf. Ein besonders ekelerregendes Beispiel ist dieeigentliche Neonazi-Hymne «Judenstaat», deren Textaus den 20er Jahren stammt und in der unter anderemdazu aufgerufen wird, «auf dem Bürgersteig, (…)Messer flutschen (zu lassen) in den Judenleib».Dass die Verbreitung solcher zutiefstmenschenverachtender und volksverhetzenderMachwerke in der Schweiz dem Antirassismusgesetz(ARG) untersteht und verfolgt werden muss, darüberbesteht im Grunde nicht der geringste Zweifel. In der Praxis sieht es dann allerdings schon wieder ganzanders aus: Längst nicht alle rechtsextremen Musikeräussern sich so explizit. «Skinheads gehen zum Teil sehrgeschickt mit den Strafbestimmungen um», erklärtMarcel Niggli, Strafrechtsprofessor in Freiburg undExperte für das ARG. «Man weiss zwar oft, was mit denTexten eigentlich gemeint ist, aber es ist manchmal sehrschwierig, das auch zu beweisen.»

Verschleierung der Aussage
Ein gutes Beispiel dafür ist der deutscheNazischlager-Sänger Frank Rennicke, der – eintrauriges Kapitel – auf MP3.com die «GermanTraditional Charts» mit seinen Liedern vollkommenbeherrscht. Auf Platz eins steht derzeit «Nürnberg1946 – Rudolf Hess», alle anderen Lieder in den Top 10sind ebenfalls von ihm.
Rennickes Texte strotzen zwar vor tiefbraunemGedankengut, selbst bezeichnet er sich als«systemkritischer Sänger und Integrationsfigur derOpposition im besetzten Restdeutschland» – selten nurlässt sich ihm daraus aber ein juristischer Strickdrehen: Denn der «Patrick Lindner für Ewiggestrige»(«Spiegel Online») verschleiert die eigentliche Aussageseiner Texte zum Schluss jeweils mit einer aufgesetztenkabarettistischen Pirouette, um sich die Behörden vomLeibe zu halten.
Das Hauptproblem bei der Verfolgung vonrechtsextremer Musik sind aber die zahlreichenRechtsunsicherheiten, die es in diesem Bereich zu gebenscheint – und von denen die Skinhead-Szene profitiert.Man habe das Problem dieser Art von Musik schon langeerkannt und auch im Staatsschutzbericht daraufhingewiesen, so Bupo-Vize Jürg Bühler. Im Bereich desVertriebs von rechtsextremen CDs könne man aber kaummehr tätig werden, seit der Bundesrat wegenverfassungsrechtlicher Bedenken vor zwei Jahren denPropagandabeschluss von 1948 aufgehoben habe.

Ohnmacht der Behörden
Dieser hatte während des Kalten Krieges dieBeschlagnahmung von Propagandamaterial ermöglicht.Es liegt also in der Verantwortung der Kantone, insolchen Fällen tätig zu werden. Doch dieKantonspolizisten tun sich selbst beiSkinhead-Konzerten oft schwer damit, einzuschreiten.«Trotz 140 oder mehr Besuchern heisst es dann, eshandle sich um eine private Veranstaltung und mankönne nichts machen», kritisiert Hans Stutz. Noch viel schwieriger wird es, wenn das Internet insSpiel kommt. «Was das Internet angeht», so MarcelNiggli, «ist heute leider keineswegs klar, wer wofürverantwortlich ist. Uns fehlt ein Teledienstgesetz, dasentsprechende Klarheit schafft.» Eine Expertise aus demJustizdepartement hält zwar fest, dass dieZugangsprovider in gewissen Fällen für Inhalteverantwortlich gemacht werden könnten. Diese wurden von der Bundespolizei auch tatsächlichschon aufgefordert, gewisse Seiten zu sperren. Da beiNapster und anderen «Peer-to-Peer»-Diensten einAusfiltern strafrechtlich relevanter Inhalte für dieProvider mit unvertretbar hohem Aufwand verbundensei, könne man dies jedoch kaum verlangen, sagt JürgBühler. Auch eine Sperrung des ganzen Napster-Diensteszieht die Bupo nicht in Betracht. Das sei vom Aufwandher unverhältnismässig angesichts des relativ kleinenProzentsatzes, den Skinhead-Musik darin ausmache.

Ausweitung der Strafnorm?
Was kann man denn überhaupt machen? «Eine gewisseOhnmacht besteht natürlich», räumt Bühler ein. «DieBundespolizei», konstatiert auch Marcel Niggli, «hatwenig Handhabe.» Es seien neue gesetzliche Grundlagenim Bereich des Datenverkehrs gefragt, um eine solcheSperrung auch durchsetzen zu können. Eine Ausweitungder ARG-Strafnorm vom Öffentlichen ins Private, wievon ihm bereits letzte Woche im «Blick» vorgeschlagen,würde den Behörden zudem mehr Möglichkeiten in dieHände geben, rechtsextremes Material zu bekämpfen. Denn der Besitz von rechtsradikaler Musik allein istheute nicht strafbar, bloss die öffentliche Verbreitung.Trotzdem weiss Marcel Niggli: «Die Gesellschaft kannman über das Strafrecht nicht steuern. Man kann blossgewisse bestehende Wertvorstellungen stabilisieren.»Von seinem Vorschlag erhofft er sich eine Diskussiondarüber, ob die Gesellschaft den Rechtsextremismusüberhaupt bekämpfen will. «Denn wenn man gewisseLeserbriefe zu dem Vorfall auf dem Rütli liest, kommeneinem Zweifel, ob unsere Gesellschaft wirklich so striktgegen Neonazitum ist.»

Mathieu von Rohr