Vom Antifa-Insider zum Pnos-Kader

SolothurnerZeitung

Radikalismus gebiert mitunter eigentümliche Karrieren: Parteichef der Oberländer Rechtsextremisten war Antifa-Autonomer in Bern

Vom Antifa-Genossen in Bern zum Pnos-«Volksgenossen» in Spiez: Der Leiter der im August gegründeten Sektion Oberland der rechtsradikalen Partei – ein Überläufer. Und: Erneut fliegen Neonazi-Liaisons auf, die das bürgerliche Bügelfalten-Image der Berner Pnos Lügen strafen. Die Kantonspolizei ermittelt.

rudolf gafner

Mario Friso sorgt im Raume Thun-Interlaken seit acht Wochen für öffentliches Aufsehen: Der 23-jährige Spiezer leitet die neue, rund 30-köpfige Sektion Oberland der Partei National Orientierter Schweizer (Pnos). Mit der in den Kantonen Bern, Solothurn, Freiburg, Aargau und Baselland aufgebauten Pnos ist es Schweizer Rechtsextremisten erstmals seit 1945 gelungen, mit einer Parteigründung Fuss zu fassen. Auch Friso fällt nicht erst seit jüngster Zeit rechtsextrem auf: Immerhin ist er einschlägig vorbestraft.

Antifa-Aktivist der ersten Stunde

Vor fünf Jahren jedoch war der stramme Rechtsaussen noch flammender Linksaussen – Mitstreiter der anarcho-autonomen Szene in der Bundesstadt, tätig vor allem im Antifa-Spektrum. Friso, der bis vor zwei Jahren in der Agglomeration Bern lebte, war Aktivist der ersten Stunde des 1999 gegründeten Antifa-Bündnisses «Alle gegen Rechts» (BAgR) und mit dabei, als Berns erster «Antifaschistischer Abendspaziergang» organisiert wurde. Den 800 linken Demonstranten traten damals 250 rechte Störer entgegen; Friso, wegen seiner Statur szeneintern «Der Lange» genannt, stand damals für die Linken an der Front.

Feuer im Dachstock beim BAgR

Diese Informationen, die der «Bund» unabhängig voneinander von zwei Berner Szenequellen erfahren hat, sind von Friso gestern auf Anfrage bestätigt worden. Weder bestätigt noch dementiert wurden sie vom BAgR: Man müsse sich zuerst «basisdemokratisch» intern besprechen, und im Übrigen «gibt das Bündnis eigentlich keine Informationen über angebliche oder tatsächliche (Ex-)Mitglieder weiter», so der Bescheid. Die Gruppe Antifa Bern ihrerseits bestätigte, dass «Friso sich vor rund fünf Jahren tatsächlich in der linken Szene tummelte». Der «atemberaubende Gesinnungswandel hin zum menschenverachtenden Neonazi» sei für Antifa «nicht nachvollziehbar».

«Querfrontisten» sondieren links

Wie er zum «sozialistischen Nationalisten» wurde, wollte Friso im «Bund»-Gespräch nicht detailliert erläutern; er misstraue Medien ohnehin. Nur so viel: Sein Wandel sei das Ergebnis «langer, eingehender Auseinandersetzung mit verschiedenen politischen Konzeptionen». Zu entlocken war Friso, dass er mit der so genannten Querfronten-Bewegung sympathisiert, einer Strömung der Neuen Rechten, die sich bemüht, (ehemalige) Linke als «sozialistisch-nationalistische Kader» zu werben. So pflegt Friso Kontakte zu «Querfrontisten» im Ausland, so zu Thomas Gerlach vom «Kampfbund Deutscher Sozialisten» – in dessen Führungsriege auch ein Ex-KPD-Funktionär sitzt. Gerlach war am 17. September Gast am Pnos-Parteitag in Wauwil (LU) – auf Einladung Frisos. Der Spiezer verhehlt auch nicht, dass er weiterhin Drähte nach links hat und dass dies «mit Querfronten-Interessen zu tun» habe: «Ich habe noch Kontakte zu autonom-sozialistischen Kräften.»

Antifa «hackt» Nazi-Connections

Damit nicht genug der Enthüllungen, mit denen sich die extreme Rechte im Kanton Bern dieser Tage konfrontiert sieht: Berner Computerhacker, die sich «Antifaschistisches Webkollektiv» nennen, haben Frisos Mail-Verkehr «gehackt» und die Daten diese Woche an Medienredaktionen gesandt. Die Interna – die nach «Bund»-Verifikation mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit authentisch sind – liefern neue Belege für Verfilzung von Pnos-Exponenten in eindeutig nazistische Liaisons. Nachdem am 9. September Hunderte Neonazis aus dem In- und Ausland für ein im Pnos-Umfeld organisiertes Skinhead-Konzert nach Lotzwil bei Langenthal anreisten, wird mit dem Hacking zum zweiten Mal innert Kürze klar, wie wenig vom bürgerlichen Image und dem Nette-Jungs-Getue zu halten ist, mit dem die Pnos kokettiert, seit sie im April zu den bernischen Grossratswahlen angetreten war. Aktuell kandidiert die Pnos für den Gemeinderat im oberaargauischen Roggwil.

«Koffer mit heiklem Material»

So legt eine Friso-Mail den Verdacht nahe, dass mutmasslich er es war, der bis Ende 2005 anonym im Internet die ultrarechte «Bund- Oberland»-Seite unterhielt und als «Nadine G.» indiziertes Agitationsmaterial anbot und versandte. Friso dazu: «Es gibt keinen Beweis. Die Mail beweist nur, dass von meinem PC aus gemailt wurde – aber nicht von wem.» Diese spitzfindige Erklärung kommt wohl kaum von ungefähr, ermittelt doch die Polizei seit Herbst 2005 gegen den «Bund Oberland», hat aber den Betreiber bislang nicht eruieren können. Wie Kantonspolizeisprecher Jürg Mosimann gestern sagte, wird weiter «aufwändig und zeitraubend» ermittelt. Entsprechend vorsichtig beugen Friso und Konsorten vor.

So mailte Friso kurz vor der Sektionsgründung dem Gitarristen der Pnos-nahen Skin-Rockband Indiziert, er müsse «einen Koffer mit heiklem Material», offensichtlich strafrechtlich relevantes Material also, nach Burgdorf auslagern: «Hefte, Broschüren, Fahnen, Armbinden und Weiteres» – «deutsche und Ami-Sachen, ausnahmslos alles» müsse er nun «so schnell wie möglich los werden». Dies bestritt Friso gestern nicht. Er habe vor der Pnos-Gründung eben reinen Tisch machen wollen, denn: «Als Parteiexponent macht es keine gute Falle, wenn – sagen wir mal bei einer Hausdurchsuchung – so ein Zeugs zum Vorschein kommen würde.»

Der Horst-Mahler-Effekt

Linke und Rechte sind sich spinnefeind, je extremer, desto mehr – bis hin zur Todfeindschaft. Und doch: So selten ist die Wandlung vom Genossen zum «Volksgenossen» auch nicht. Das zeigt ja schon die Historie – auch Italiens Faschistenführer Benito Mussolini war, als er 1904 in Bern als Maurer arbeitete, Linkssozialist. Auch gibt es historische Beispiele für den Umkehrschluss: Der Pressechef des «Gaues Bern» der faschistisch-nazistischen Nationalen Front (NF) der 1930er-Jahre etwa, der für Mussolini schwärmte und Adolf Hitler 1938 gar persönlich traf, bezeichnet sich heute – nun mit 97 Jahren der letzte lebende NF-Funktionär – als SP wählender Sozialist, Antimilitarist und begeisterter Jean-Ziegler-Leser (siehe dazu «Bund» vom 4. März 2006).

68er: Vom RAF-Terror zur NPD

Auch die 68er-Generation kennt schwindelerregende Fälle von Seiten- und Frontenwechsel: Erinnert sei nur an den deutschen Anwalt Horst Mahler, einst Mitbegründer der linksterroristischen RAF – und heute Mitglied der (programmatisch mit der schweizerischen Pnos vergleichbaren) deutschen NPD; zudem ist Mahler engagiert im Verteidigen von Holocaust-leugnenden oder -relativierenden Revisionisten. Auch im Bundesvorstand des rechten Kampfbundes Deutscher Sozialisten (siehe Haupttext) sitzt ein Veteran der so genannten «K-Gruppen»-Linken («KPD Ost»).

80er: Von AJZ-Punks zu Nazi-Skins

Je jugendlicher und subkulturell geprägter, desto durchlässiger sind Politszenen mitunter; der Fall Friso (siehe Haupttext) steht nicht allein – wie auch Beispiele aus bewegten 80er- und 90er-Zeiten zeigen. Unter Veteranen der Jugendkrawalle 1980-1982 etwa gibt es ein geläufiges Wort, demzufolge «die dümmsten AJZ-Punks die ersten Berner Nazi-Skins wurden» – wiewohl solche Punks ehedem Prügel bezogen hatten von «Faschos» (wobei als solche damals mangels echter Faschisten linkenfeindliche Rocker oder bürgerliche bis rechte Verbindungsstudenten tituliert wurden).

Echte «Faschos» folgten später – und ein seltsam dreistes Spiel trieb ein gewisser David Mulas, der sich im Jahre 2000 vermummt auf «Telebärn» als «Neofaschist M.» inszenierte und eine «Nationale Partei Schweiz» (NPS) gründete – was ihn damals nicht daran hinderte, sich ausgerechnet bei Berns linkem Alternativkanal Radio Rabe als Praktikant journalistisch zu versuchen.