Lebenslängliches Zuchthaus für einen «Fall von Overkilling»

BernerZeitung

Lebenslängliches Zuchthaus: Das Obergericht bestätigt das Strafmass für den Haupttäter im Mordfall Marcel von Allmen. Die «überaus qualvolle» Tötung des 19-jährigen Opfers rechtfertige die Höchststrafe.

Von zwei Polizisten flankiert, nimmt der 26-jährige Marcel M. das Urteil der II. Strafkammer des bernischen Obergerichts entgegen. Gefasst. Wie bereits am Dienstag trägt er einen Pullover der finnischen Okkult-Heavymetalband Nightwish (siehe Ausgabe von gestern), zur Urteilsverkündung verhüllt er aber den rot bedruckten schwarzen Pullover unter einer grauen Jacke. Zu lebenslänglichem Zuchthaus verurteilt ihn die Strafkammer – zur höchsten in der Schweiz möglichen Freiheitsstrafe. In der Praxis bedeutet dies, dass frühestens nach 15 Jahren Zuchthaus (von Amtes wegen) geprüft wird, ob allenfalls eine (bedingte) Entlassung des heute 26-Jährigen ins Auge gefasst werden könnte.

«Überaus qualvoll»

«Wenn in einem Fall von Overkilling gesprochen werden kann – dann in diesem», sagt Oberrichter Martin Räz in seiner mündlichen Urteilsbegründung. Die Tötung des 19-jährigen Marcel von Allmen am 27. Januar 2001 bei der Ruine Weissenau am Thunersee sei «überaus qualvoll» gewesen, Marcel M. habe die «Elimination» seines Opfers mit einem Stahlrohr trotz dessen Bitten um Gnade «knallhart durchgezogen». Als «Akt des Anstandes gegenüber dem Opfer» bezeichnet es Räz, dass er nicht auf weitere Einzelheiten der Tötung von Marcel von Allmen eingeht – zu grausam seien die Verletzungen, die der kriminaltechnische Dienst und die Rechtsmediziner in einem Fotodossier dokumentiert hätten.

Kein perfekter Mord

Mit «überaus menschenverachtender Gesinnung» hätten Marcel M. (und seine rechtskräftig zu je 16 Jahren Zuchthaus verurteilten Mittäter Renato S. und Michael S. sowie der vom Jugendgericht zu einer Vollzugsmassnahme in einem Erziehungsheim verurteilten Alexis T.) ihr Opfer «diszipliniert, weil Marcel von Allmen auf dem Bödeli über den «Orden der arischen Ritter» herumplauderte und so zu einem Sicherheitsrisiko wurde», sagte Räz weiter.

Dass die Tat zu «keinem perfekten Verbrechen» wurde, sei übrigens einem lokalen Fahnder zu verdanken, der «einer Eingebung gefolgt» sei und die Klippen bei den Beatushöhlen nach allfälligen Spuren des 26 Tage lang vermissten Marcel von Allmen abgesucht habe. Prompt habe der Fahnder einen Turnschuh gefunden – aber der darauf folgende Leichenfund sei «Zufall» gewesen. Nachdem nämlich Marcel M. und seine Mittäter ihr Opfer – in Plastiksäcke verpackt und mit Gewichten beschwert – in die Tiefe geworfen hätten, habe sich die Leiche an einem Felsvorsprung verheddert – und sei so nicht in die Tiefe gesunken.

«Ausgeprägt skrupellos»

Doch nicht erst bei der Tötung Marcel von Allmens habe Marcel M. «ausgeprägte Skrupellosigkeit» an den Tag gelegt, sondern auch bei weiteren Taten, für welche die Vorinstanz Schuldsprüche ausgefällt habe – Schuldsprüche wegen unvollendet versuchten Mordes (an einem 18-jährigen Jugoslawen und an Marcel von Allmen einen Tag vor dem vollendeten Mord), wegen mindestens fünffachen strafbaren Vorbereitungshandlungen zu Mord (an einem 19-jährigen Schweizer). Zudem sei Marcel M. vorbestraft, begründete Oberrichter Räz die Bestätigung der erstinstanzlichen lebenslänglichen Zuchthausstrafe weiter. Wegen vier Schüssen auf einen Polizisten in Zivil beim Interlakner Westbahnhof sei Marcel M. im Mai 2000 zu 18 Monaten Gefängnis bedingt verurteilt worden. Wegen «versuchter vorsätzlicher Tötung im Putativnotwehr-Exzess». «Doch auch dieses Urteil liess Marcel M. nicht davon abhalten, weitere schwere Delikte zu begehen», sagt Oberrichter Räz. Die Verbrechensserie und die Vorstrafe würden strafverschärfend ins Gewicht fallen.

Voll zurechnungsfähig

«Zu Recht» werfe die Verteidigung von Marcel M. die Frage nach der Zurechnungsfähigkeit als Strafmilderungsgrund auf – aber: Der psychiatrische Gutachter Volker Dittmann habe bei Marcel M. keinerlei Hinweise für «Persönlichkeitsstörungen mit Krankheitswert» oder andere psychische Störungen gefunden. Auch von einer feindlichen Einstellung des deutschen Psychiaters gegenüber dem rechtsextrem[100] gesinnten Marcel M. könne «keine Rede sein». Und dass Dittmann – wie von der Verteidigung gerügt – die Begutachtung von Marcel M.s Mittätern an Mitarbeiter delegiert habe, ohne vom Untersuchungsrichter dazu ermächtigt gewesen zu sein, sei eine «formlose Delegation», die jahrelanger Praxis entspreche. Darin sei kein Verfahrensfehler zu sehen.

Das sieht der amtliche Verteidiger Marcel Grass anders: «Mit grösster Wahrscheinlichkeit werden wir in dieser Frage ans Bundesgericht gelangen», sagt Grass nach dem Urteil.