Liechtensteiner Vaterland vom 26.11.2009
Woher kommt das rechte Gedankengut, das derzeit die Gemüter erhitzt? Teilweise lernen Jugendliche in ihren Familien, rechts zu denken, wie es in der aktuellen Studie über Rechtsextremismus in Liechtenstein heisst.Janine Köpfli
Es ist noch keinen Monat her, dass die Regierung und die Gewaltschutzkommission eine Studie präsentierten, die den Rechtsextremismus in Liechtenstein beleuchtet. Im Zuge der Vorfälle, die sich in den vergangenen Wochen ereigneten, rückt die Studie noch mehr ins Interesse der Öffentlichkeit. Verfasst von Miryam Eser Davolio und Matthias Drilling von der Fachhochschule Nordwestschweiz, zeigt die Studie den gesellschaftlichen Kontext, der zu rechtsextremistisch motivierten Haltungen und Handlungen führt, sowie die Beweggründe von rechtsorientierten Jugendlichen.
Ablehnende Haltung
Die Autoren der Studie sprachen unter anderem mit Fachpersonen über die Wahrnehmung von Rechtsextremismus in Liechtenstein. Interviewt wurden auch Schulleiter, Lehrpersonen, Schulsozialarbeitende, Jugendarbeitende und ein Pfarrer. Die meisten von ihnen kennen Rechtsextremismus vor allem vom «Hörensagen», da sie sich kaum dort aufhalten, wo rechtsextreme Vorfälle passieren. Dass sie jedoch passieren, das bestreitet niemand. Die Szene sei jedoch verdeckt und trete, wenn überhaupt, nur an öffentlichen Anlässen wie Jahrmärkten, Bierfesten oder am Staatsfeiertag in Erscheinung. Rechtsextremismus werde kaum auf politischer Ebene, etwa in Form von Protestaktionen oder Propaganda wahrgenommen, schreiben die Autoren der Studie.
Ihre Untersuchungen zeigten, dass ein Grossteil der Bevölkerung eine ablehnende Haltung gegenüber Rechtsextremismus empfindet. Es gab aber auch Personen, die Rechtsextreme akzeptierten und das Thema Rechtsextremismus verharmlosten, es «quasi als normales Jugendgruppenphänomen» deuteten. Dazu komme, so die Autoren, dass es sich bei den liechtensteinischen Rechtsextremen in der Regel um gut integrierte Jugendliche handelt, die von der Bevölkerung als «sauber, fleissig und anständig» erlebt und eingeschätzt werden. Eine befragte Person sagte beispielsweise: «Er ist ein sauberer Kerli, ein ganz normaler Jugendlicher, arbeitet, verdient auch viel für sein Alter, und auch die anderen arbeiten und führen ein normales, anständiges Leben. Haben keine Ringe durch die Lippe oder so, sind keine Sozialfälle. Aber sie sind halt rechts. Obwohl sie gar nicht viel davon wissen, also gar nicht wissen, was eigentlich rechtsextrem bedeutet.»
«Konservative Wertelogik»
Die Studie beschreibt vor allem, wie es mit rechtsorientierten Jugendlichen steht, wo sie sich treffen, wer der Szene angehört und als wie gefährlich sie von der Polizei eingeschätzt wird. Weniger ist von Erwachsenen und ihren Einstellungen gegenüber Ausländern die Rede. Die Autoren kamen jedoch zum Schluss, dass die Haltung der Erwachsenen verfestigter scheint als jene der Jugendlichen, die teilweise eine offene Fremdenfeindlichkeit an den Tag legen, gleichzeitig aber mit Ausländern befreundet sind. Die Erwachsenen geben ihre Meinung weniger öffentlich preis.
Bei den Befragungen und Interviews war auch von Überfremdungsangst die Rede. «Als verstärkend für die Angst vor Überfremdung wird die geringe Grösse des Landes und der hohe Ausländeranteil angeführt», schreiben die Autoren. «Dies bewirkt bei einem Teil der Bevölkerung Furcht vor Identitätsverlust.»
Rechtsextremismus entstehe allerdings nicht nur aus dieser Angst heraus. «Zum Teil lernen die Jugendlichen gerade in ihren Familien, rechts zu denken. Die konservative Wertelogik zeigt sich auch in der sozialen Angepasstheit von Rechtsextremen, die unter der Woche in die Schule gehen, ihre Ausbildung oder ihren Job machen», heisst es in der Studie.
«Man kennt sich»
Was den gesellschaftlichen Umgang und die Zivilcourage bezüglich Rechtsextremismus angeht, führen die Autoren ambivalente Aussagen auf. Auf der einen Seite würden Gewaltvorfälle, bei denen Rechtsextreme involviert sind, relativ schnell zur Anzeige gebracht, auf der anderen Seite seien Zeugen bei anderen rechtsextremen Vorfällen zurückhaltend, diese bei der Polizei zu melden. Grund dafür sei die Kleinheit des Landes, so die Autoren. «Die Zeugen kennen meist nicht nur die Täter selbst, sondern auch deren Familien.» Man wolle ausserdem einem Liechtensteiner nicht die Zukunft verbauen, solange es sich nur um «geringfügige» Delikte handle. Als weiterer Grund für «die relative Passivität der Bevölkerung», wie es die Autoren nennen, wird Furcht genannt, dass eine Anzeige zu Drohungen oder Gewalt gegen Zeugen vonseiten der Rechtsextremisten führen könnte.
Zitate aus der Studie
Die Einschätzungen der Fachpersonen zeigen, dass Rechtsextremismus in Liechtenstein zwar im Rückblick weniger massiv und sichtbar in Erscheinung tritt, als dies noch vor wenigen Jahren der Fall war; die Einschätzungen zeigen aber auch, dass es in unregelmässigen Abständen zu Vorfällen mit manifester Gewaltanwendung kommt.
«Sie sind nur versteckt da.» (Aussage einer befragten Person)
«Sobald die Kerle in die Lehre gehen oder nach der Lehre arbeiten müssen, dann hat es bis jetzt immer wieder aufgehört. Automatisch aufgehört. Die werden älter und werden reifer.» (Aussage einer befragten Person)
Das Fehlen eines Anführers in der lokalen rechtsextremen Szene scheint einer der Gründe für deren geringe Ideologisierung darzustellen. Allerdings ist die Szene grenzübergreifend vernetzt, (…).
Dieser Gruppe gehört auch ein Wirtschaftsstudent an, der sich jedoch immer «geschickt heraushält », doch wurde er mittlerweile zwei Mal rechtskräftig verurteilt.
Bei vielen öffentlichen Anlässen sind Polizisten auch privat oder in Zivil anwesend und beobachten, ob Rechtsextreme auftreten.
Nicht alle sind äusserlich als Rechtsextreme identifizierbar, aber die Polizei weiss, wer dazugehört.
Am sichtbarsten sind die liechtensteinischen Rechtsextremen an Volksfesten, wo manchmal bis zu hundert rechtsgerichtete Jugendliche und junge Erwachsene anwesend sind.
Rechtsextremismus gerät nur bei aufsehenerregenden «Eruptionen» ins Bewusstsein der Öffentlichkeit, wodurch der Eindruck erweckt wird, dass er zwischenzeitlich wieder verschwindet. Hier wäre es wichtig aufzuklären, dass es sich um ein dauerhaft bestehendes Problem handelt.
Die Studie kann heruntergeladen werden: www.polizei.li/Downloads/tabid/409/Default.aspx