Tötung war geplant

Der Bund

UNTERSEEN / Beim Tötungsdelikt an Marcel von Allmen handelte es sich um eine Abrechnung in der rechten Szene.

cbb. «Die Tötung an Marcel von Allmen war geplant», und «als Tatmotiv steht im Vordergrund, dass das Opfer ein Verschwiegenheitsgebot gebrochen haben soll»: Zu diesem Schluss kommt die Kantonspolizei Bern nach den Einvernahmen der vier Inhaftierten, die gestanden haben, am Tötungsdelikt am 19-jährigen Marcel von Allmen beteiligt gewesen zu sein. Von Allmen war in der Nacht auf den 28. Januar bei der Ruine Weissenau in Unterseen umgebracht und anschliessend in den Thunersee geworfen worden.

Die Tat steht in Zusammenhang mit der rechtsextremen Szene, in der sowohl Opfer als auch die mutmasslichen Täter verkehrten. Alle gehörten sie dem selber gegründeten «Orden der arischen Ritter» an. Von Allmen hat gemäss den Aussagen das Schweigegelübde gebrochen, worauf die vier anderen Ordensmitglieder das Todesurteil fällten. Innerhalb der Gruppe stand gemäss der Polizei offenbar sowohl die Art der Tötung als auch die Beseitigung der Leiche zur Diskussion. Das Tötungsdelikt wurde präzise geplant: Die Stelle, von wo aus die Leiche in den Thunersee geworfen werden sollte, wurde tags zuvor rekognosziert, und Massnahmen zum Verwischen der Spuren wurden ergriffen. Die Nacht auf den 28. Januar haben die mutmasslichen Täter ausgewählt, weil einer der Festgenommenen kurz danach in die Ferien abreiste. Die Ermittlungen der Katonspolizei laufen weiter. Dabei wird ebenfalls geprüft, ob die mutmasslichen Täter weitere strafbare Taten begangen haben, um ihren «Orden der arischen Ritter» zu finanzieren.

Abrechnung im «Orden der arischen Ritter»

TÖTUNGSDELIKT / Der 19-jährige Marcel von Allmen ist gestorben, weil er zu viel herumerzählt hat: Die vier geständigen Verdächtigen haben ihren Kollegen vorsätzlich und brutal getötet, weil er das Schweigegelübde ihres «Ordens der arischen Ritter» gebrochen hat. Zu diesem Schluss kommt die Kantonspolizei Bern nach den Einvernahmen.

? CHRISTINE BRAND

Marcel von Allmen, 19, aus Unterseen, geriet in rechtsextreme Kreise und ist nicht mehr herausgekommen: Er wurde in der Nacht auf den 28. Januar von seinen Kumpeln brutal getötet und, mit einem zylinderförmigen Metallstück beschwert, in den Thunersee geworfen (der «Bund» berichtete). Die vier Verdächtigen, die unmittelbar nach dem Fund der Leiche festgenommen wurden, haben alle gestanden, an der Tat beteiligt gewesen zu sein. Nach langwierigen Einvernahmen konnte die Kantonspolizei Bern gestern bekannt geben, wie und mit welchem Motiv die 17- bis 22-Jährigen aus der Region Bödeli Marcel von Allmen getötet haben: Der Verdacht, dass das Tötungsdelikt mit der rechtsextremen Szene zusammenhängt, hat sich bestätigt.

«Geplante Tat»

«Die Ermittlungen haben ergeben, dass die Tat geplant war», sagt Jürg Mosimann, Pressesprecher der Kantonspolizei Bern. Zwei der inhaftierten Männer haben vor rund zwei Jahren auf dem Bödeli eine geschlossene, rechtsextreme Gruppe mit dem Namen «Orden der arischen Ritter» gegründet. Marcel von Allmen und die vier Inhaftierten bildeten den Kern der Gruppe und hatten in ihrem eigenen Gesetz eine Schweigepflicht verankert. Diese ist von Allmen offenbar zum Verhängnis geworden: «Gestützt auf Aussagen und Erkenntnisse muss davon ausgegangen werden, dass sich Marcel von Allmen nicht an diese Schweigepflicht gehalten hat und deshalb seine Tötung beschlossen wurde», so Mosimann.Die mutmasslichen Täter hatten in ihrem Orden darüber diskutiert, ob von Allmen wegen seiner unerwünschten Gesprächigkeit aus der Gruppe ausgeschlossen oder getötet werden solle. Mosimann: «Nach unserem Wissensstand sprach sich keiner der vier Inhaftierten entschieden gegen die Tötung aus.» Es liegen Geständnisse und Erkenntnisse vor, wonach sich die mutmasslichen Täter nach dem gefällten Todesurteil explizit auf die Tat vorbereitet hatten (vgl. Seite 1). Am 27. Januar, kurz vor Mitternacht, setzten sie ihren Plan um: Einer der Inhaftierten hatte Marcel von Allmen zum Steindler-Schulhaus in Unterseen bestellt und war mit ihm zur Ruine Weissenau gefahren. Dort wurden die beiden von zwei Ordensmitgliedern empfangen. Marcel von Allmen wurde bei der Ruine mit einem Metallrohr, das mittlerweile im Schifffahrtkanal gefunden wurde, brutal totgeschlagen. Die Polizei geht davon aus, dass nur einer der Angeschuldigten das Tatwerkzeug gebraucht hat, während er und eine weitere Person das Opfer zusätzlich mit Fusstritten traktierten. Der vierte Inhaftierte war in jener Nacht nicht bei der Ruine, er hatte jedoch sein Auto zur Verfügung gestellt und war an der Planung der Tat beteiligt gewesen.

Anführer als treibende Kraft

«Einer der Angeschuldigten», teilt die Polizei mit, «muss als treibende Kraft angesehen werden und bekleidete innerhalb der Gruppe eine Art Führungsrolle.» Dieser Anführer habe die politische Haltung des Ordens als rechtsextrem bezeichnet, «solches Gedankengut» sei innerhalb der Gruppe ausgetauscht worden. Zwei der Angeschuldigten bestreiten jedoch, etwas mit rechtsextremem Gedankengut zu tun zu haben.Ob es sich beim Anführer um den einzigen vorbestraften Verdächtigen handelt, will Jürg Mosimann nicht kommentieren. Fest steht, dass einer der Inhaftierten im letzten Mai zu 18 Monaten Gefängnis bedingt verurteilt worden war, weil er aus nächster Nähe vier Schüsse auf einen Polizisten in Zivil abgegeben hatte. Der Polizist überlebte, weil er eine schusssichere Weste getragen hatte.Der «Orden der arischen Ritter» hat sich offenbar in Privatwohnungen getroffen und Pläne für den Aufbau einer rechtsextremen Organisation geschmiedet. Diese hätte «eine Art nationalsozialistische Politik» betreiben wollen. «So sollten zum Beispiel einzelne unerwünschte Ausländer aus der Region vertrieben werden», sagt Mosimann. Persönliche Kontakte zu Organisationen im Ausland werden bestritten, auch an rechtsextremistischen Anlässen wollen die Inhaftierten nicht teilgenommen haben. Sie geben jedoch zu, bei der «Aufbauorganisation der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP/AO)» und der Organisation «Blood & Honour» Unterlagen bestellt und sich Dokumentationen via Internet beschafft zu haben.Die Untersuchungen im Tötungsdelikt sind noch nicht abgeschlossen. Mosimann: «Weitere Abklärungen sind im Gang.»

«Der Auslöser ist meist banal»

ZUR SACHE / Der bekannte Kinder- und Jugendpsychologe Allan Guggenbühl zum Tötungsdelikt von Unterseen.

ALLAN GUGGENBÜHL: Von aussen gesehen ist dies absurd, ja grotesk. Doch die Auslöser solcher Taten sind meistens banal. Wichtig scheint mir die Gruppendynamik. Auffällig ist ja, dass es innerhalb der Gruppe einen Führer gab. Die anderen machen mit und die Spirale dreht sich – bis zur ultimativen Tat. Oft sind sie sich gar nicht bewusst, was passiert.

Wie aber kommt es, dass Jugendliche überhaupt fähig sind, eine derart brutale, bis ins Detail geplante Tat zu begehen?

Das tönt jetzt grässlich, aber jemanden umzubringen ist an sich nicht schwierig. Was es letztlich aber wirklich bedeutet, wissen die Täter meist nicht – es ist ein Mangel an Phantasie und zeugt von einer eigenartigen Distanziertheit zum Geschehen.

Die Vorgeschichte der Jugendlichen spielt aber auch eine Rolle?

Ja sicher, doch die kenne ich in diesem Fall nicht.

Und das rechtsextreme Gedankengut?

Jugendliche suchen Ideologien, um sich abzugrenzen. Der Rechtsextremismus ist eigentlich nur Mittel zum Zweck. Jedoch sind faschistoide Ideologien oft mit Ritualen, Geheimwelten und gefährlichen Werten verbunden.

Und warum suchen Jugendliche eine derart extreme Abgrenzung?

Mögliche Gründe sind eine gewisse Labilität, Desorientierung, eine zynische Haltung gegenüber dem Leben. Ob diese Haltung zugenommen hat, weiss ich nicht, aber sie ist da. Interview: gmü

LETZTES TABU GEBROCHEN

? RUDOLF GAFNER

Innerhalb der letzten neun Monate haben Rechtsextremisten im Kanton Bern dreimal Horror-Schlagzeilen geliefert, jedes Mal erschreckendere. Im Mai fand die Polizei in Bern ein von der «Nationalen Offensive» (NO) angelegtes Waffendepot mit Splitterbomben, Gewehren und Pistolen. Damit war der Schritt zur Bewaffnung getan, Berner Rechtsextremisten rüsten zum bewaffneten Kampf gegen Linke, Ausländer, Staat. Dann, im Juli, feuerte ein 22-jähriger Ittiger aus einem Sturmgewehr Salven aufs Haus der linken Berner Wohngemeinschaft Solterpolter ab: Damit war die Schwelle zu veritablem Terror überschritten, Tötung wurde zumindest in Kauf genommen. Ende Januar nun folgte der Bruch des letzten Tabus: Brutale, geplante Tötung. Die 17- bis 22-jährigen «Kameraden» vom «Orden der arischen Rasse» entledigten sich ihres Mitgliedes Marcel von Allmen, weil er geplaudert hatte. Dieser «Orden» hatte unter anderem vor, Ausländer aus dem «Bödeli» zu vertreiben.

Viele sind noch zu retten

Die Öffentlichkeit ist schockiert – und hoffentlich nachhaltig, denn dieser Schock darf nicht «verarbeitet» werden wie die beiden vorangegangenen: mit baldigem Vergessen. Jetzt tut eine wirkliche gesellschaftliche Auseinandersetzung mit dem grassierenden Jugend-Rechtsextremismus Not. Denn hinter den drei beschriebenen Schreckensmeldungen steht der Alltag, und der macht kaum noch Schlagzeilen, weil er so normal geworden ist. Dieser Alltag sieht, beispielsweise, so aus: Bahnhof Münchenbuchsee, Nacht zum letzten Samstag: 30 Skinheads und linke Jugendliche prügeln sich eine Stunde lang, bis die Polizei kommt. Und hier gehts nicht um irgendwelche, die «uns» nichts angehen. Hier gehts um Jugendliche aus der Mitte der Gesellschaft – «unsere» Kinder.Marcel von Allmen ist tot. Seine Häscher werden jahrelang kein freies Leben mehr führen, denn sie sind auf ihrem verquasten Weisse-Rasse-Trip vollends übergeschnappt. Viele andere jugendliche «Kameraden» indessen sind sehr wohl noch zu retten. Ihnen (auch) mit Herz zu begegnen kann entwaffnender wirken als Härte (allein). Qualifizierte Rechtsextremisten sind auszugrenzen, ihren Mitläufern aber ist Hand zu reichen. Auf dass sie aussteigen.