Die von Ruth Metzler eingesetzte Arbeitsgruppe empfiehlt weit reichendeMassnahmen gegen Rechtsextremismus
BERN – Der medienträchtige Aufmarsch grölender Skinheads am 1. August auf demRütli zeigt Wirkung: Die von Bundesrätin Ruth Metzler Mitte August eingesetzteArbeitsgruppe unter der Leitung von Bundespolizeichef Urs von Daeniken empfiehltweit reichende Massnahmen.Seit Montagabend liegt deren 60-seitiger vertraulicher Bericht auf dem Pult derJustizministerin. Metzler hatte eine Analyse gesetzgeberischer und präventiverHandlungsmöglichkeiten eingefordert, und die Gruppe um von Daeniken schlägt nunMassnahmen vor. Die SonntagsZeitung kennt den Inhalt des Berichts:– Auf strafrechtlicher Seite rät die Arbeitsgruppe zu einem generellen Verbotrassistischer Symbole und Gesten. Bisher waren beispielsweise das Tragen einerHakenkreuz-Gurtschnalle oder der Hitlergruss nur dann strafbar, wenn dies öffentlichgeschah und der Verbreitung rassistischer Ideologien diente.– Näher geprüft werden soll ein generelles Versammlungsverbot (auch für privateSkinhead-Anlässe). Dieser Vorschlag geniesst allerdings keine Priorität, da einsolches Verbot gegen die verfassungsgeschützte Versammlungsfreiheit verstossenkönnte. Zudem raten die Fachleute von einem Verbot rechter Organisationen oderParteien ab, solange nicht alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft sind.– Eine weitere Empfehlung betrifft die Beschlagnahmung von rassistischemWerbematerial. Stossen Zollbeamte oder Polizisten heute anlässlich einerPersonenkontrolle auf rechtsextreme Schriften, dürfen sie dieses Material nurbeschlagnahmen, wenn sie beweisen können, dass es zur öffentlichen Verbreitungbestimmt ist. Dies ist in der Praxis ein schwieriges Unterfangen. Deshalb soll dieRegelung verschärft werden, was de facto einer erneuten Inkraftsetzung desumstrittenen Propagandabeschlusses gleichkäme. Dieser wurde vom Bundesrat imNachgang zur Fichenaffäre per 1. Juli 1998 ausser Kraft gesetzt, da er gegen dieMeinungsfreiheit verstiess. Eine erneute Verschärfung der Gesetzgebung ist deshalbsowohl politisch wie auch staatsrechtlich umstritten.Der Bund würde den Aufbau von Fachteams finanziell unterstützenNeben den juristischen Massnahmen empfiehlt die Arbeitsgruppe eine ganze Reiheweiterer Punkte im präventiven und beratenden Bereich. Im Vordergrund steht dieSchaffung von drei bis vier sprachregionalen Expertengruppen, in die unter anderemPädagogen, Sozialarbeiter, Soziologen und Polizeibeamte Einsitz nehmen sollen.Die Initiative dafür müsste allerdings von den Gemeinden und Kantonen ausgehen.Der Bund – insbesondere die Eidgenössische Kommission gegen Rassismus(EKR) – würde aber den Aufbau der Teams beratend und finanziell unterstützen. DieArbeitsgruppen würden in ihren Regionen folgende Aufgaben übernehmen:– Die Beratung von Opfern, von Zeugen rassistischer Übergriffe, von Eltern oderLehrern.- Die Betreuung ausstiegswilliger Skinheads. Ihnen soll – analog zum erfolgreichenschwedischen Modell Exit – bei der Suche nach einem neuen Umfeld (Wohnungs-oder Jobsuche) geholfen werden.– Die Durchführung von Informations- und Sensibilisierungskampagnen an Schulenoder in Gemeinden.– Die Zusammenführung betroffener Behörden und privater Hilfsorganisationen. Alszentral erachtet die Arbeitsgruppe in diesem Zusammenhang die Einrichtung einerlandesweit einheitlichen Telefonnummer, über die Hilfe Suchende 24 Stunden amTag das Konfliktinterventionsteam ihrer Region erreichen können.Ein weiteres Projekt schlägt die Sensibilisierung gegen Rassismus undRechtsextremismus in der Armee vor. Die Rekrutenschule, so hatte schon die EKRempfohlen, biete eine gute Möglichkeit, «junge Männer in einem kritischen Alter zuerreichen». Das Militär biete sich an, und das Thema müsse «zum integriertenBestandteil der Rekrutenausbildung werden». Eine Schulung in dieser Umgebungsei sinnvoll, «sowohl aus individualpsychologischen als auch aus staatspolitischenGründen».Die Kosten würden sich auf etwa 1,5 Millionen Franken belaufen
Zur Finanzierung der Massnahmen empfiehlt die Arbeitsgruppe ihrer AuftraggeberinMetzler die Schaffung eines Fonds oder einer Stiftung. «Der Erfolg der Massnahmensteht und fällt mit der Finanzierung. Mit Fondsgeldern würden vor allem Projekteprivater Hilfsorganisationen bezahlt», erklärt EKR-Sekretär Michele Galizia, selbstMitglied der Arbeitsgruppe. Für den Aufbau und Unterhalt der sprachregionalenExpertengruppen rechnet die EKR mit Kosten bis 1,5 Millionen Franken. Für dieWorkshops in den Rekrutenschulen veranschlagt sie 500 000 Franken. Nötig ist lautder Arbeitsgruppe zur Umsetzung der Massnahmen auch eine personelleAufstockung des EKR-Sekretariats von heute zwei auf vier Vollzeitstellen.Die ERK bekäme damit offiziell jene Rolle zugeschrieben, die sie in der Bekämpfungvon Rassismus und Rechtsextremismus ohnehin schon hat – die weit reichendenEmpfehlungen der Arbeitsgruppe sind fast deckungsgleich mit den jüngstenForderungen der EKR. Sekretär Galizia: «Die Zusammenarbeit in der Arbeitsgruppewar sehr kollegial. Alle Fachleute waren sich einig, dass angesichts der Komplexitätder Ursachen nur ein breiter Massnahmekatalog den Rechtsextremismus nachhaltigbekämpfen kann. Deshalb sind viele Forderungen der EKR übernommen worden.»Nun liegt der Ball bei Justizministerin Metzler, die entscheiden muss, ob und welcheEmpfehlungen sie dem Gesamtbundesrat zur Realisierung beantragen will. Weil dieNachbarländer bereits eine härtere Gangart gegen Rechtsextreme angeschlagenhaben, ist für Jürg Bühler, Vizechef der Bundespolizei, handeln unumgänglich.Unternimmt die Schweiz nichts, könnte sie mittelfristig ausländische Skinheads undRechtsextreme anziehen. «Die Erfahrungen anderer Länder beweisen, dass diesesRisko besteht», sagt Bühler.Mit dieser Aussage knüpft Bühler an den Bericht «Skinheads in der Schweiz» an, dendie Bundespolizei kürzlich veröffentlicht hat. Zwar sei die nationale Sicherheit durchRechtsextreme nicht unmittelbar gefährdet. Mittelfristig könnten jedoch zweipotenzielle Entwicklungen zu einer kritischen Prognose führen: Die Möglichkeit, dasssich in der Skinhead-Szene eine Führerfigur etabliere und der Einflussrechtsextremer Parteien – primär aus Deutschland – zunehme.
Metzler muss Farbe bekennenDer Bericht der von Bundesrätin Ruth Metzler eingesetzten Arbeitsgruppe ist die erstekonkrete Reaktion der offiziellen Schweizer Politik auf die gehäuften rechtsradikalenAuftritte und Aktionen. Am 5. Oktober wird die Justizministerin wohl erstmals erklärenmüssen, ob und welche Massnahmen sie umzusetzen gedenkt. Dann muss RuthMetzler im Nationalrat drei dringliche Interpellationen von CVP, SP und den Grünenbeantworten, die sich nach einem Verbot rechtsextremer Parteien erkundigen, einePräventionskampagne anregen und wissen wollen, wie mögliche Massnahmengegen Skinheads und Rechtsextreme finanziert werden. Der Grundstein für einelandesweit koordinierte Bekämpfung des Rechtsextremismus ist damit gelegt.