Berner Zeitung. Unter lauten Treichelklängen hat Wolfisberg dem Kanton klar zu verstehen gegeben: Es will die 120 Flüchtlinge nicht. Doch es gibt auch andere Stimmen.
«Mit dem CH Pass bald Ausländer.» Das Transparent am Dorfeingang von Wolfisberg lässt keinen Zweifel offen: Die Gäste aus Bern, die an diesem Dienstagabend im Schulhaus über die Zukunft im Hotel-Restaurant Alpenblick informieren sollen, sind alles andere als willkommen. Seit bekannt ist, dass der Kanton den Gastrobetrieb mieten und bis Ende August in eine Asylunterkunft für bis zu 120 Leute umwandeln will, ist bei den 180 Anwohnerinnen und Anwohnern Feuer im Dach
120 Ausländer auf 180 Einheimische? Das will für viele im Dorf, das am Jurahang ob Niederbipp liegt und vor drei Jahren in dieser Gemeinde aufgegangen ist, einfach nicht aufgehen. Dass die Fahnen im Dorf just zum Infoabend auf halbmast gesenkt worden sind, spricht Bände.
Treicheln und Verfassung
Der Abend beginnt mit einem Höllenlärm. 15 Freiheitstrychler, ihre Autos tragen Nummern aus den Kantonen Aargau, Schwyz und Zürich, sind eigens für den Anlass nach Wolfisberg gekommen. Am Eingang zum Schulhaus stehen sie Spalier, wer den Abend besuchen will, muss wohl oder übel an ihnen vorbeigehen. Ein älterer Herr, der unverdrossen die Schweizer Verfassung in die Höhe hält, gibt allen Interessierten das rote Büchlein mit den vielen weissen Kreuzen gleich mit.
Auf dem Parkplatz steht auch ein Auto mit der Aufschrift «Die Firma ‹Schweiz› zieht uns am Nasenring». Aha. Die Reichsbürger, die eine genauso staatskritische – um nicht zu sagen staatsfeindliche – Gesinnung pflegen wie die Freiheitstrychler, wollen den Frust der Wolfisbergerinnen und Wolfisberger ebenfalls für ihre Zwecke nutzen.
Gemeinderat auf Distanz
Drinnen im übervollen Saal – einige müssen sogar draussen bleiben und als Zaungäste durchs offene Fenster mithören – markiert Gemeindepräsidentin Sibylle Schönmann (SVP) nochmals Distanz zum Kanton. Niederbipp habe schon einmal Hand zu einer Kollektivunterkunft geboten, «wir sind überrascht, dass wir schon wieder dran sind.» Weiter könne sich der Gemeinderat nicht vorstellen, dass Flüchtlinge in einem Dorf ohne Laden und Schule wie Wolfisberg Schritte in die Schweizer Gesellschaft machen könnten. Und: «Wir werden dafür kämpfen, dass wir nicht Kosten übernehmen müssen, die wir nicht geplant haben» – spontaner Applaus brandet ihr entgegen.
Rats- und Parteikollege Ruedi Reber, selber ein Wolfisberger, doppelt nach. Er habe in den Gesprächen mit dem Kanton so viele Widersprüche feststellen müssen, dass er sich frage, wie gut ein für das Dorf so grosses Projekt überhaupt starten könne. Wieder klatscht das Publikum kräftig.
Enttäuscht vom Abend
In der folgenden Diskussion bringt einer die Stimmung im Saal mit einem einzigen Satz auf den Punkt. Er frage sich, wie derart viele junge Männer in einem derart abgelegenen Dorf den Tag hinter sich bringen wollten – «davor haben wir Angst, das macht uns Sorgen». Es seien «einfach viel zu viele», doppelt eine andere nach, und eine Dritte wirft in die Runde: Sie habe früher in grösseren Orten «gerade von Männern aus diesen Ländern» sexuelle Belästigungen erlebt. Erneut applaudieren die Leute im Saal.
Männer aus diesen Ländern – kaum jemand unter den Anwesenden mag den Vertretern des Kantons glauben, dass auch Familien nach Wolfisberg kommen könnten. Auf die Voten der Referenten ertönen immer wieder laute Buhrufe, geht immer wieder ein ungläubiges Raunen durch den Saal. Daran ändert sich im Verlauf der zweistündigen Diskussion nichts mehr, im Gegenteil: Er sei angesichts der vielen Ungereimtheiten, die er auch jetzt wieder gehört habe, vom Abend sehr enttäuscht, zieht ein Votant ernüchtert Bilanz.
Pfarrerin meldet sich
Stimmen, die sich für die Flüchtlinge einsetzen, sind an diesem Abend rar. In der Nähe aber gibt es sehr wohl Leute, die nicht mit Ablehnung auf die Pläne des Kantons reagieren. Zu ihnen gehört Sybille Knieper, die in Oberbipp als Pfarrerin arbeitet. Als solche betreut sie auch die Reformierten in Wolfisberg, denn kirchlich gehört Wolfisberg nicht zu Niederbipp, sondern zu Oberbipp.
Kniepers Offenheit kommt bereits in den Kommentarspalten auf der Website dieser Zeitung zum Ausdruck. Eine Leserin regte an, den Alpenblick doch auch in Zukunft als öffentliche Beiz zu führen und in Küche und Service bewusst auf die Flüchtlinge zu setzen. Die Pfarrerin schrieb dazu: «Super Idee! Das wäre innovativ, und die Dorfbevölkerung sowie Wandernde hätten ihr Restaurant noch.» Möglich wären auch «erfrischende Begegnungen mit Menschen aus aller Welt» – kurz: «Ich fänds gut!»
Aufgabe der Kirche
Darauf angesprochen, redet die Pfarrerin am Telefon nun von «einer HerzensÂangelegenheit». Ein Asylzentrum wie in Wolfisberg brauche einen Raum für Begegnungen, erklärt sie. Wenn es gelinge, Einheimische und Flüchtlinge miteinander in Kontakt zu bringen, werde sich die Aufregung um Dorf rasch legen. Oder, wie sie es formuliert: «Dann hören die Ängste auf.»
Noch hat Knieper keine konkrete Vorstellung davon, wie genau ihr Engagement aussehen könnte. Dazu sind die Informationen rund um das geplante Asylzentrum noch zu frisch. Dass sie sich in irgendeiner Art einbringen will, scheint ihr aber klar zu sein. «Dazu ist die Kirche schliesslich da.»
Einsatz für Kurdin
Knieper hat Erfahrung im Umgang mit Asylsuchenden. Als vor drei Jahren eine junge Kurdin aus dem Rückkehrzentrum im nahen Aarwangen heim in den Iran geschickt werden sollte, setzte sie sich für deren Verbleib in der Schweiz ein. Die Pfarrerin sei für sie «wie ein Engel, sie hilft mir und meiner Familie extrem», liess sich die junge Frau damals in den Medien zitieren.
In der Kirchgemeinde Oberbipp führte Knieper schon länger ihr Flüchtlingscafé. Dieser regelmässige Treff mit einem harten Kern von vielleicht fünf, sechs Leuten habe sich als Begegnungscafé bis heute halten können, sagt sie am Telefon weiter. Vielleicht könnte sie für Wolfisberg ja genau hier ansetzen?