Tagblatt. Der Prunkbau von Unternehmer Daniel Model ist jetzt Sitz eines internationalen Gerichtshofs, einer Sheriff-Organisation und einer Art Geheimdienst. Zu den Präsidenten gehört ein Österreicher, der in seiner Heimat bereits für Schlagzeilen gesorgt hat.
MÜLLHEIM. Der Staat hat ihnen nichts zu sagen. Er ist nur eine Firma, nichts weiter. Mit einer Steuerrechnung muss er ihnen schon gar nicht kommen. Die obskuren Staatsfeinde waren bisher vor allem in Österreich aktiv. Jetzt haben sie ihren selbsternannten Gerichtshof mitten in den Thurgau verlegt. Hauptsitz ist neu die Hofstrasse 1 in Müllheim. Das ist die Adresse des Modelhofs, und der gehört Daniel Model. Der erfolgreiche Unternehmer ist ebenfalls ein vehementer Kritiker des staatlichen Systems. Von ihm stammt der Satz: «Der Staat ist ein Dieb.»
Das Gericht, das jetzt in Müllheim residiert, hat einen beeindruckenden Titel: International Common Law Court of Justice Vienna (ICCJV). Der Name ist Programm. Der Law Court sei dem Menschen- und Völkerrecht verpflichtet, heisst es auf der Homepage. Damit steht er über nationalem Recht. Gegründet wurde der ICCJV vor zwei Jahren. Wien, der bisherige Sitz, ist jetzt nur noch Aussenstelle. Zu den Gründern zählt der Österreicher Marcus Steiner.
Eine Art Geheimdienst
Im Thurgauer Amtsblatt ist Steiner als Präsident der International Intelligence Agency (IIA) eingetragen. Gemäss eigener Beschreibung ist die Intelligence Agency «verantwortlich für geheimdienstliche Ermittlungen und Informationsbeschaffung». Die Zusammenarbeit mit anderen internationalen Geheimdiensten sei eine Option. Die Adresse ist auch hier der Modelhof. Der Prunkbau ziert sogar Steiners Facebook-Profil.
Unter der Modelhof-Anschrift meldet das Amtsblatt noch andere seltsam klingende Organisationen: die International Sheriff Association, die International Right Commission und die International Right Organisation. Alle arbeiten dem Gerichtshof zu. So sollen die Sheriffs zum Beispiel Personen verhaften, die vom Gerichtshof verurteilt wurden.
Marcus Steiner will sich nicht äussern. «Zum ICCJV gibt es nichts zu sagen», schreibt er knapp. In österreichischen Medien ist sein Name mehrfach aufgetaucht. Bei den Nationalratswahlen 2013 kandidierte er für das Bündnis Zukunft Österreich, eine rechtspopulistische Partei. Ohne Erfolg. Im Sommer 2014 war er an einer missglückten Gerichtsverhandlung des ICCJV auf einem Hof in Niederösterreich beteiligt.
Auch Daniel Model will nicht über die neuen Organisationen reden. Unter den Vorstandsmitgliedern, die im Amtsblatt genannt sind, sucht man seinen Namen vergebens. Er lässt ausrichten, seine beruflichen Verpflichtungen liessen ihm keine Zeit für solche Anfragen, und verweist auf die Homepage des Gerichtshofs.
Frankreich ist eine Region
Auf dieser Website überschlagen sich die Erfolgsmeldungen. Ruckzuck werden da «neue Regionen eröffnet». Im Juni waren es keine Geringeren als Frankreich und Bayern. Im Juli kamen im Eiltempo St. Gallen, Nordrhein-Westfalen und Fribourg hinzu. Das scheint ziemlich reibungslos zu klappen. Denn nach jeder Region, die gemeldet wird, folgt der Standardsatz: «Die juristischen Formalitäten wurden erledigt und zum Abschluss gebracht.» Was genau das zu bedeuten hat, bleibt jedoch nebulös.
Ein Hirngespinst
Benjamin Schindler ist Professor für öffentliches Recht an der Universität St. Gallen. Er hält nicht viel von diesem Internationalen Gerichtshof. Es sei «eine private Fiktion in Vereinsform». Also ein Hirngespinst. «Es ist ein Zusammenschluss von Menschen, die sich eine pseudo-staatliche Parallelwelt geschaffen haben.» Die Anhänger seien der Meinung, sie könnten sich von der staatlichen Bevormundung «mit absurden rechtlichen Konstrukten entkoppeln». Bei der österreichischen Bundesstelle für Sektenfragen ist die Szene um den ICCJV bekannt. Von einer Sekte mag die Psychologin und Psychotherapeutin Ulrike Schiesser aber nicht reden. «Diesen Ausdruck verwenden wir grundsätzlich nicht.»
Ein bisschen Esoterik
Ulrike Schiesser sieht die Staatsleugner eher als «bunte informelle Truppe». «Sie scheinen keinen bewussten psychologischen Druck auf ihre Mitglieder auszuüben.» Trotzdem wenden sich häufig Angehörige von Sympathisanten an die Beratungsstelle. Sie sind besorgt, weil der Sohn oder die Tochter plötzlich den Job oder die Krankenversicherung kündigt. Manche nehmen sogar ihre Kinder aus der Schule.
Die Community der Staatsleugner verbreitet ihre Ideen vor allem über das Internet. Die Texte beschreibt Ulrike Schiess als «pseudojuristisches Sprachgewirr». Genauso unübersichtlich ist auch die Organisation der Szene. Es gibt Unter- und Splittergruppen, die sich teils überschneiden und verwandte Gruppierungen wie etwa die Freeman-Bewegung oder der One People’s Public Trust, kurz OPPT. Beide haben ihren Ursprung in den USA. Auch die Anhänger des OPPT leugnen die Legitimation von Nationalstaaten.
Von beiden Gruppierungen distanziert sich der Gerichtshof jedoch auf seiner Homepage. Das sei eine relativ neue Entwicklung, erklärt Ulrike Schiesser. «Vielleicht gab es einen Streit.»
Einige Elemente würden sich in der ganzen Szene wiederfinden: Allen voran die strikte Ablehnung des Staates und seiner Organe wie Polizei oder Gerichte. Auslöser dafür sei sehr oft ein negatives Erlebnis. Schulden könnten ebenfalls ein Grund sein. Dazu gesellen sich dann Verschwörungstheorien, die auch in die esoterische Ecke abgleiten können. Häufig hätten die Anhänger eine pessimistische Sicht der Zukunft. Was zum Beispiel dazu führe, dass man auf Selbstversorgung setzt oder Energie-autark sein will.
In Österreich treten die Staatsfeinde seit rund zwei Jahren regelmässig in Erscheinung. Ulrike Schiesser sagt: «Mittlerweile gibt es fast kein Gericht mehr im Land, das mit ihnen nicht schon in irgendeiner Weise zu tun hatte.»