Infosperber. In der Ukraine Alltag, in Deutschland verboten, in den Ländern dazwischen halbwegs versteckt: Die Neonazis geben sich zu erkennen.
Vallecas ist ein Vorort von Madrid, 300’000 Einwohner, aber mit einer eigenen Fussball-Mannschaft – und mit einer eigenen Fan-Gemeinde. Die nahm sich die Freiheit, an einem 2. Liga-Fussballspiel den ukrainischen Spieler Roman Sosulja als «Nazi» auszupfeifen. Der Schiedsrichter entschied darauf, die zweite Spielhälfte abzublasen.
Roman Sosulja ist kein unbeschriebenes Blatt. Er hat tatsächlich als Freiwilliger am Bürgerkrieg in der Ostukraine teilgenommen und dies auch mit Bildern öffentlich dokumentiert: Roman Sosulja mit einer automatischen Waffe in der Hand, zusammen mit anderen Kriegern. Und er tritt offensichtlich auch ganz gerne im Umfeld der Zahlen 8, 14, 18 oder 88 auf, wie das russische Fernsehen in Beispielen zeigte.
Zur Erklärung: H – wie Hitler – ist der achte Buchstabe im Alphabet. Die Zahl 8 bedeutet in der «Szene» Hitler. Die Zahl 88 heisst entsprechend HH und bedeutet «Heil Hitler». Die Zahl 14 verweist auf einen berühmt-berüchtigten Satz mit 14 Wörtern: «We must secure the existence of our people and a future for white children», «Wir müssen die Existenz unserer Bevölkerung und eine Zukunft mit weissen Babys sicherstellen». (Siehe dazu weiter unten.)
Der ukrainische Präsident Volodymyr Selenskij nahm Roman Sosulja in Schutz und schrieb auf Facebook: «Roman Sosulja, nicht nur Dein Team unterstützt Dich, die ganze Ukraine unterstützt Dich! Du bist nicht nur ein grosser Fussballer, sondern ein echter Patriot, der sein Land liebt und unseren Soldaten hilft. Wir sind bei Dir! Drücke die Hand!»
Szenenwechsel
Auch der deutsche Botschafter in Prag, Christoph Israng, nutzte die Sozialen Medien und twitterte, allerdings in umgekehrter Richtung. Zu einem Schaufenster in Prag, in dem eine Hitler-Maske zum Verkauf angeboten wurde, schrieb er: «Die Tschechen haben so unter den Nationalsozialisten gelitten. Warum wird solcher Schund mitten in Prag verkauft?» Und tatsächlich, die Polizei kam, der Laden wurde dicht gemacht.
Szenenwechsel
Dass der ukrainische Ministerpräsident an einer Neonazi-Veranstaltung im Dockers Pub mitten in Kiew teilnahm – Infosperber berichtete ausführlich – war in Kiew kaum ein Thema. Rücktrittsforderungen blieben aus, Oleksiy Honcharuk sah sich nicht einmal veranlasst, sich für seinen Auftritt an dem Anlass zu entschuldigen. Nicht zufällig, denn solche Veranstaltungen sind in Kiew an der Tagesordnung. Mitte Dezember war es «asgardsrei», die so ein Black-Metal-Konzert mit Neonazi-Formationen durchführte, im kommenden Mai ist es «Fortress Europe», die das macht. Siehe dazu oben das Aufmacher-Bild – und siehe vor allem die beiden auf dem Plakat gross mitpropagierten Plattformen «MILITANT.ZONE» und «SVASTONE.COM». Beides sind die Namen von Online-Shops, die Kleider mit Neonazi-Symbolen und -Grafiken verkaufen. Und Fortress Europa hat auch Bürogemeinschaft mit SVASTONE.COM, wie man an der Email-Adresse von «Fortress Europe» sehen kann: info(at)svastone.com. Es braucht auch nicht viel Phantasie, um im Namen «Svastone» die Anlehnung an «Svastika» – das Hakenkreuz – zu erkennen.
Szenenwechsel
Da spaziert man durch Prag, zum Beispiel am Fuss des Vyšehrad (der alten Burg) von der Metro-Station Pražského povstání (der Name erinnert an den Prager Aufstand gegen die Nazi-Truppen Anfang Mai 1945) die Na dolinách (das Tälchen) hinunter zur Moldau. Da, zur Rechten ein neuer Laden: ALPHAFIGHTERS. Noch nie gesehen. Alphafighters, was ist denn das? Auch ein kleiner Slogan steht da zu lesen: CHOICE OF HEROES.
Ein Blick ins Internet macht alles klar: Auch hier ein Laden, der Kleider mit Nazi-Symbolen verkauft. Und der Name der Firma, die diese Kleider produziert, heisst wohl nicht ganz zufällig «Octagon». Das Oktagon ist das Achteck – oder eben das 8-Eck. Und 8 ist auch diesmal der achte Buchstabe im Alphabet: das H wie Hitler.
Wird da nicht zu viel Neonazi-Symbolik hinein interpretiert? Eher nicht. Da wird zum Beispiel ein «Balaklawa Helmet» verkauft, der mit einem H geschmückt ist:
Szenenwechsel
Man muss nicht unbedingt zu Fuss durch Prag spazieren. Man kann das zum Beispiel auch virtuell im Internet tun. Und wer die «unbesiegbare» Neonazi-Szene ein bisschen im Auge hat, der stösst schon bald auf – lateinisch – INVICTUS STORE. Da verrät schon ein «White-Baby»-Shirt, wohin die Fahrt geht:
Auch andere Slogans findet man auf den T-Shirts, die hier verkauft werden. Zum Beispiel W.O.T.A.N. (Im Bild am oberen Rand der Symbol-Grafk).
David Eden Lane ist nicht nur der Schöpfer von W.O.T.A.N., sondern auch der oben bereits erwähnten 14 Wörter: «We must secure the existence of our people and a future for white children» (siehe oben).
Szenenwechsel
Womit wir wieder in der Ukraine wären, denn die Kleider, die von INVICTUS STORE verkauft werden, stammen entweder vom russischen Produzenten BELOYAR – die «Weisse Gewalt» – oder eben, zum grösseren Teil, von SVASTONE.
Das Black-Metal-Konzert, das SVASTONE am 22./23. Mai in Kiew zum Klingen bringt, dauert zwei Tage und umfasst zwölf verschiedene Bands aus mehreren Ländern. Manche Leute hier und dort werden trotzdem argumentieren, dass die ganze Neonazi-Bewegung in der Ukraine ja nur eine zu vernachlässigende Minderheit betreffe.
Wirklich?
Eben war wieder Geburtstag von Stepan Bandera, dem ukrainischen Nazi-Kollaborateur und Juden-Schlächter im Zweiten Weltkrieg (1.1.1909 – 15.10.1959), auf dessen Namen mittlerweile nicht nur im Nordwesten der Ukraine, sondern selbst in Kiew wichtige Strassen umgetauft worden sind. Und so ein 111. Geburtstag wird in der ukrainischen Hauptstadt so gefeiert: hier anklicken, es genügt, sich die ersten zwei Minuten anzusehen.
Die Neonazi-Szene in der Ukraine ist nicht so klein, wie oft behauptet, und vor allem erschreckend stark öffentlich akzeptiert. Aber wie die beiden Beispiele aus Tschechien zeigen, sind die Rechtsextremisten, die die Nazi-Helden verehren – CHOICE OF HEROES! – auch in anderen Ländern präsent.
Szenenwechsel
Nicht ganz zufällig hat das Azov-Freiwilligen-Bataillon, das in der Ostukraine die Separatisten bekämpft und im Jahr 2015 in die ukrainischen Streitkräfte integriert worden ist, ebenfalls ein vielsagendes Emblem:
Asov, mit einer Schwarzen Sonne im Hintergrund, die klar zu den Symbolen der Rechtsextremisten gehört.
Und gut versteckt im gleichen Emblem ist auch ein anderes Symbol:
Man muss das Emblem nur seitlich spiegeln und den Kopf leicht nach links neigen, und schon ist das SS unverkennbar sichtbar. SS, so wie zu Hitlers Zeiten.
Szenenwechsel
Szenenwechsel? Wirklich? Wahrscheinlich ist «Szenenwechsel» das falsche Wort. Wahrscheinlich sind all diese Szenen näher beieinander und mehr verzahnt, als man es sich denkt.
Es lohnt sich auf alle Fälle, die Augen offen zu halten. Oft finden sich solche Symbole versteckt auch in den Tattoos dieser Extremisten.
Genauere Informationen zu den heimlichen und unheimlichen Nazi-Symbolen geben unter anderem die folgenden vier Informationsplattformen Auskunft:
ADL (in englischer Sprache)
… und in der Schweiz? Kein Thema?
Die Tageszeitung «Der Bund» in Bern berichtete am 7. Dezember 2019 über ein Treffen von Rechtsextremisten in einer Berghütte in Galgenen im Kanton Schwyz. Die Behörden wussten davon, haben aber nicht eingegriffen. So oder so: Auch hier ist höchste Aufmerksamkeit angezeigt.
… und ein kleiner Nachtrag:
Heute, am 6. Januar 2020, haben die deutschen NachDenkSeiten auf diesen Artikel auf infosperber.ch aufmerksam gemacht – herzlichen Dank! – und gleichzeitig darauf hingewiesen, wie das Neonazi-Thema auch in Deutschland verharmlost wird – mit drei Beispielen. Da wird zum Beispiel auf bento.de, «das junge Magazin vom Spiegel», ein Ostukraine-Bürgerkrieg-Veteran hochgejubelt, der jetzt eine Pizzeria betreibt. Und was zeigt das Bild? Der Mann trägt genau so ein Neonazi-T-Shirt von Swastone. Er ist also kein geläuterter Soldat, sondern nach wie vor ein Propagator von Gewalt und Rassismus. Aber das hat die ahnungslose Spiegel-Journalistin leider nicht bemerkt …