Am ersten Prozesstag im Mordfall von Allmen schildert der erste der Angeklagten emotionslos schockierende Details zur Tat
«Leider ist es nicht jedem in die Wiege gelegt worden, Emotionen zu zeigen.» Dies sagte gestern am ersten Prozesstag jener junge Mann, der Marcel von Allmen mit einem Chromstahlrohr brutal zu Tode geschlagen hat. Er stellte seine Worte in erschreckender Art gleich selber unter Beweis.
Christine Brand
Marcel M. sieht aus, als ob er sich nur alle drei Tage rasieren müsste. In schwarzem Anzug, weissem Hemd und blank polierten Schuhen gäbe er in einer veralteten Hollywood-Schnulze den perfekten Gentleman-Ganoven ab, einen, der die reichen Herren trickreich ausnähme, während er mit ihren Gattinnen schäckerte. Einen wortgewandten, aber in Tat und Wahrheit gefühlskalten Charmeur, ausgestattet mit einer grossen Portion Verschlagenheit.
In Wirklichkeit steht Marcel M. seit gestern in Bern vor Gericht, weil er vor drei Jahren seinen «Kameraden» Marcel von Allmen mit einem Chromstahlrohr auf brutalste Weise totgeschlagen hat (vgl. «Bund» vom Freitag). «Es war die Vollstreckung eines Todesurteils», gibt Marcel M. unumwunden zu. Marcel von Allmen habe sterben müssen, weil er das Schweigegebot ihres «Ordens der arischen Ritter» gebrochen habe. Das Schweigegebot war die erste und wichtigste Regel, die Marcel M. aufgestellt hatte. Sollte trotzdem jemand über den geheimen Orden plaudern, «dann wollten wir uns eine individuelle Lösung überlegen». Die individuelle Lösung für Marcel von Allmen war der Tod.Marcel M. gibt sich wortgewandt, antwortet auf jede Frage des Gerichtspräsidenten Thomas Zbinden ohne zu zögern. Druckreif. Überkorrekt. Er sagt nicht Nein. Er sagt: «In keinster Art und Weise». Er sagt nicht Ja. Er sagt: «Absolut, das ist richtig.» Marcel M., 25, Plattenleger, stand schon mal vor Gericht. Weil er aus nächster Nähe auf einen Polizisten in Zivil geschossen hatte. Schon damals muss er vor Gericht überzeugend gewirkt haben, als er erklärte, dass er sich durch den Mann, der ihn anhalten wollte, bedroht gefühlt, dass er in Notwehr gehandelt habe. Der damalige Richter, der ihm den bedingten Strafvollzug gewährte, ist der heutige Ankläger, Staatsanwalt Hans-Peter Schürch. Heute weiss er, dass Marcel M. schon damals Mordpläne schmiedete.Begonnen habe alles während des Balkankrieges, gibt Marcel M. zu Protokoll. Damals, als er fürchtete, auf dem Bödeli, der Region Interlaken, von den vielen Asylbewerbern aus Ex-Jugoslawien «verdrängt» zu werden. Immer wieder seien Schweizer angepöbelt worden. Darum habe er «zum Schutz» gemeinsam mit seinem besten Freund den Orden gegründet. Zusammen mit Michael S., den er seit dem fünften Lebensjahr kennt und der ihn heute keines Blickes mehr würdigt. Das Politische habe sich erst nach und nach ergeben. Marcel M. wurde Schweizer Demokrat, «sympathisierte» mit dem Nationalsozialismus, zog sich Hitler-Filme und rechtsextreme Musik rein, bestellte Hakenkreuzfahnen und sah sich, so scheint es, als Nobel-Rechtsextremist. «Mit der Skinheadszene hatten wir nichts am Hut.» Ausser von Allmen hat kein Ordensmitglied seine Gesinnung zur Schau stellen wollen. Eigentlich habe «Herr von Allmen», wie Marcel M. sein Opfer immer wieder nennt, vom Charakter her nicht zu den anderen gepasst.
An der Endstation
Marcel M.s Tonfall ändert sich nicht, als er von der Tat erzählt. «Es ist leider nicht jedem in die Wiege gelegt worden, Emotionen zu zeigen», erklärt er. «Mir persönlich fällt dies eher schwer.» Das hätte er nicht zu sagen brauchen. Er bemerkt den Zynismus nicht, wenn er sagt, dass er nie jemanden hindern würde, seinen Weg zu gehen. Wenn er erzählt, wie er mit dem Chromstahlrohr auf von Allmen eingeschlagen habe, zeigt er keine Regung. «Nein, nein, mach dir keine Sorgen», habe er «Herrn von Allmen» gesagt, als dieser zuerst zögerte, mit ihm mitzugehen. «Vöni, jetz isch das hie dini Ändstation», habe Alexis T. zu von Allmen bei der Ruine Weissenau gesagt. Alexis T., zur Tatzeit minderjährig, ist vom Jugendgericht bereits wegen Mordes verurteilt worden. Eigentlich, erzählt Marcel M., habe er von Allmen mit einem gezielten Genickschlag «erledigen» wollen. Damit war es aber nicht getan. Er hat mehrmals zugeschlagen. «Es lief ab wie im Film.» Wenn Marcel M. berichtet, wie er den mit Schädel- und Kieferbrüchen am Boden liegenden von Allmen getreten habe, klingt es, als würde er die Funktion eines Automotors erklären.
«Ja, das machen wir so»
Ebenfalls, wenn er sein «warmes Elternhaus» beschreibt. Wie die beiden anderen Angeklagten, die heute zur Tat befragt werden, stammt auch er aus gutbürgerlichem Hause. Alle drei sagen, sie hätten eine unbescholtene Jugend erlebt ? obwohl es in der einen Familie oft Streitereien gab und in der anderen die Mutter zu früh starb. «Ich bin normal, durchschnittlich», sagt der gelernte Maurer Michael S. Seine Hobbys: Kampfsport, Fischen und Murano-Glas sammeln. Seine Schwäche: «Wenn man zu loyal ist und die Fehler nicht aufzeigt, wird Loyalität zur Schwäche.» Renato S., der Schreiner, musizierte im Orchester und wollte Profi-Rennvelofahrer werden. Er soll bei der «Beseitigung von Herrn von Allmen», wie Marcel M. sagt, für das Material zuständig gewesen sein. Jeder habe selber entschieden, ob er bei der Tötung von Allmens habe mitmachen wollen, sagt Marcel M. «Ich habe jeden Einzelnen gefragt: ,Bisch du derfür??» Und jeder Einzelne habe geantwortet: «Ja, das machen wir so.»
Anklage wegen vollendeten Mordes
Die drei Angeklagten und der vierte Täter, der bereits vom Jugendgericht wegen Mordes verurteilt worden ist, wollten nichts dem Zufall überlassen. Sie hatten, so steht es in der Anklageschrift, ihre grauenvolle Tat bis ins letzte Detail geplant und minuziös vorbereitet. Sie hatten sich abgesprochen, dass Marcel von Allmen sterben sollte, weil er das Schweigegebot über die von ihnen gebildete Organisation «Orden der arischen Ritter» gebrochen hatte. Die vier jungen Männer, damals zwischen 17 und 22 Jahre alt, trafen sich am 26. Januar am Abend in der Wohnung von Michael S., um den genauen Tatablauf zu besprechen. Sie transportierten die zur Tötung des Opfers und zur Beseitigung der Leiche beschafften Gegenstände mit dem Auto zur Ruine Weissenau, wo sie in der Nacht Marcel von Allmen hinführen und hinrichten wollten. Und zwar genau so, wie sie dies im Film «Casino» von Martin Scorsese gesehen hatten. Nur: Von Allmen tauchte nicht auf. Angeblich hatte er den Termin verschlafen.
Also wiederholten die vier «Kameraden» ihre Vorbereitungen am nächsten Abend, sie transportierten die Gegenstände erneut zur Ruine Weissenau, bezogen Position und holten Marcel von Allmen um 22.30 Uhr beim Steindler-Schulhaus ab. «Bei der Ruine Weissenau zwangen sie das Opfer unter Einsatz eines Revolvers, an die Mauer zu treten», steht in der Anklageschrift. Dort haben sie von Allmen Handschellen angelegt, seinen Mund mit Klebeband verklebt und «ihm mit einem Chromstahlrohr mehrfache, heftige Schläge gegen Kopf, vor allem gegen das Gesicht, aber auch gegen Brustkorb und Gliedmassen versetzt». Sie zertrümmerten die Knochen seines Gesichts, seinen Kiefer und seinen Schädel. Von Allmen ist am Blut, dass er in seine Lunge eingeatmet hatte, erstickt. Anschliessend verpackten die vier Täter das Opfer in mit Löchern versehenen Kehrichtsäcken, beschwerten den Körper mittels Metallgliederkette und Vorhängeschloss mit einem Ankergewicht und brachten ihn im Kofferraum zum Ausstellplatz der Beatushöhlen. Dort warfen sie den Toten in den Thunersee. Das Chromstahlrohr entsorgten sie im Schiffskanal, andere Gegenstände warfen sie in die Aare, ihre Kleider und persönliche Gegenstände des Opfers verbrannten sie. Nach der Tat kehrten die Täter in die Wohnung von Michael S. zurück und stiessen mit Wein an.In der Anklageschrift werden die Täter weiterer Tötungsversuche beschuldigt: Bereits Ende 1999 hatten die Mitglieder des «Ordens der arischen Ritter» Mordpläne geschmiedet. Sie wollten einen 18-jährigen jugoslawischen Staatsangehörigen mit einem Messer umbringen. Die Tat wurde genau vorbereitet ? doch sie konnten das Opfer am betreffenden Abend nicht finden. Im Herbst 2000 sollen die Angeklagten gemäss dem Überweisungsbeschluss gemeinsam mit Marcel von Allmen einen anderen Mord geplant haben. Ein 19-jähriger Schweizer sollte zur Ruine Weissenau gelockt und dort erschlagen werden. An zwei Abenden hatten die Ordensmitglieder ein Brecheisen zur Ruine gebracht, um die Tat auszuführen. Mit dem Opfer liess sich allerdings kein Treffpunkt vereinbaren. Auch der zweite Plan ? den Schweizer zu betäuben und in seiner eigenen Badewanne zu ertränken ? schlug fehl: Die Wohnung verfügte über keine Badewanne, auch das Treffen kam nie zustande. (cbb)