Im Juli 2005 schoss ein ehemaliger Rechtsradikaler beim Bahnhof Thun auf einen Linksaktivisten. Das Kreisgericht Thun verurteilte gestern den Schützen zu sechs Jahren Zuchthaus und zur Zahlung einer Genugtuung.
Gestern eröffnete das Kreisgericht Thun unter dem Vorsitz von Jürg Santschi das Urteil: Der angeklagte Schütze T. R., ein 27-jähriger Mann aus der Region Thun, wurde wegen vollendeter versuchter vorsätzlicher Tötung zu sechs Jahren Zuchthaus verurteilt. Zudem schuldet er dem Opfer 4000 Franken Genugtuung sowie Schadenersatz für dessen dreiwöchigen Arbeitsausfall.
Im Juli 2005 hatte ein Camp von Globalisierungsgegnern gegen den G-8-Gipfel in Thun stattgefunden. Als sich eine Gruppe Linksaktivisten in Richtung Bahnhof bewegte, traf sie dort drei Rechtsextreme. Einer der Rechtsradikalen gab drei Schüsse in Richtung der Globalisierungsgegner ab. Ein damals 17-jähriger Mann erlitt dabei einen Oberschenkeldurchschuss.
Tathergang umstritten
Der genaue Tathergang war unklar. Umstritten war beispielsweise, ob die vermummten Linksaktivisten zum Zeitpunkt der Schussabgabe auf den Schützen zurannten sowie mit Flaschen und Steinen warfen. So sagte zumindest der nach eigenen Angaben Ex-Rechtsradikale T. R. vor Gericht aus. Die Kollegin des Angeklagten, welche in der Nähe des Schützen stand, sagte während einer Befragung aus, dass die Linksaktivisten nur im Begriffe waren, auf sie zuzurennen. Zu diesem Zeitpunkt habe niemand mit Steinen oder Flaschen geworfen.
Keine Notwehr
Gerichtspräsident Jürg Santschi erachtete das Aussageverhalten der Kollegin des T. R. als ausgesprochen glaubwürdig. Sie habe in der Befragung Details erwähnt, die sich niemand ausdenken würde. «Somit lag keine Notwehrsituation vor. Ein Angriff war zum Zeitpunkt der Schussabgabe nicht in Gang», führte Santschi aus. «Der Angeklagte nutzte die Gelegenheit aus, um gegen die Linken ein Zeichen zu setzen.» Jürg Santschi äusserte denn auch seine Bedenken, ob sich der Angeklagte zum Tatzeitpunkt tatsächlich von den Rechtsradikalen abgewendet hatte.
Das Gericht musste weiter beurteilen, ob der Angeklagte gezielte Schüsse auf die Globalisierungsgegner abgab, wie dies T. R. vorgestern in der Hauptverhandlung geltend machte.
«Die Aussage des Angeklagten in der Verhandlung diente nur der Taktik des Verteidigers», sagte Santschi. «Der Schütze gab ungezielt Schüsse in Richtung der Gruppe ab. Diese Leute standen nicht still wie eine Zielscheibe in einem Schiesskeller. Ein Schuss traf einen Baum auf einer Höhe von einem Meter und zehn Zentimetern. Hätte diese Kugel einen Menschen getroffen, hätte dies einen Bauchschuss bedeutet. Wer einen solchen Schuss abgibt, nimmt den Tod eines Menschen in Kauf», führte Gerichtspräsident Santschi weiter aus.
Dem Staatsanwalt gefolgt
Das Gericht folgte hiermit dem Antrag des Staatsanwaltes und verurteilte den Angeklagten wegen versuchter vorsätzlicher Tötung. Das Kreisgericht empfand eine Strafe von sechs Jahren Zuchthaus als angemessen. Die sechs Vorstrafen des Angeklagten wirkten sich dabei verschärfend auf die Strafhöhe aus.
Im April 2003 war T. R. vom Kreisgericht Interlaken-Oberhasli zu elf Monaten Gefängnis bedingt verurteilt worden. Diese Strafe muss der Angeklagte nun ebenfalls absitzen.
Die letzte Bemerkung des Verurteilten: «Herr Schürch, wir sehen uns vor dem Obergericht in Bern!»