Aargauer Zeitung. Kurden werfen dem Leiter des Bundesasylzentrums Brugg rassistische Äusserungen vor. Nun zeigen Recherchen der AZ: Der Mann führte zuvor eine Unterkunft in Bayern. Dort kam es zu Tätlichkeiten zwischen Asylsuchenden und Einwohnern, es gab eine Kundgebung, gegen das Zentrum flogen Steine und Bewohner randalierten.
Mit einem Sitzstreik protestierten Bewohner der Bundesasylunterkunft in Brugg am Freitag gegen den Leiter Betreuung. Der dunkelhäutige Mann beschimpfe und bedrohe Kurden und bevorzuge dunkelhäutige Asylsuchende, sagten sie gegenüber der AZ. Das Staatssekretariat für Migration (SEM) und die Betreuungsfirma ORS, bei welcher der Leiter des Zentrums angestellt ist, bestreiten die Vorwürfe.
Der Leiter des Bundesasylzentrums Brugg übt diese Funktion seit der Eröffnung der Anlage im Herbst 2020 aus. Zuvor war der Mann, der laut seinem Linkedin-Profil einen Masterabschluss in Arbeits- und Organisationspsychologie der niederländischen Universität Utrecht hat, in Deutschland als Leiter einer Asylunterkunft tätig.
Leiter der Asylunterkunft: «Konflikte sind selten»
Er führte ein Zentrum in Waldkraiburg am Inn, rund 60 Kilometer östlich von München. Die Anlage im Bundesland Bayern wurde im Herbst 2015 offiziell als Dependance der Erstaufnahmeeinrichtung München in Betrieb genommen. Zuvor war das Berufsförderungszentrum Peters als Notaufnahme-Zentrum für 280 Asylbewerber geführt worden, später bot sie Platz für bis zu 450 Geflüchtete.
Die Unterkunft sei bestens ausgestattet, sagte der Leiter im Oktober 2015 gegenüber einer Lokalzeitung. Konflikte seien selten, die Flüchtlinge würden mit Musik- und Sportangeboten, Nähkursen und anderen Freizeitaktivitäten aufgefangen. Zudem entwickelte der Mann die Inhalte eines Workshops, mit dem Flüchtlinge «über den Umgang miteinander – speziell mit Frauen – in Deutschland informiert wurden».
Asylbewerber sollen Familie angegriffen haben
Konfliktfrei verlief seine Amtszeit in der bayrischen Stadt aber nicht. Im Oktober 2017 kam es vor der Asylunterkunft zu einer Demonstration mit rund 80 Teilnehmenden, wie das Portal «innsalzach24.de» berichtete. Auslöser sei ein Angriff einer dunkelhäutigen Flüchtlingsgruppe auf einen türkisch-stämmigen Einwohner von Waldkraiburg gewesen. Gemäss dem Bericht hätten etwa 40 bis 50 Schwarze in einem Park «rumgehängt».
Als der Türke und seine Familie den Park passierten, seien sie von Asylbewerbern «wie Tiere gejagt» und mit «Steinen und Bierflaschen» beworfen worden. Der 9-jährige Sohn und die 14-jährige Tochter hätten «blaue Flecken» erlitten, sagte der Familienvater. Später hielt die Polizei fest, es gebe gegensätzliche Aussagen, der Ablauf sei unklar.
Demonstration und Steine gegen Flüchtlingsunterkunft
Der damalige Leiter der Asylunterkunft, der heute das Zentrum in Brugg leitet, wollte sich nicht zu dem Vorfall äussern. Der betroffene Türke rief danach zu einer Kundgebung auf. Danach warfen Unbekannte gemäss innsalzach24.de Steine gegen ein Fenster der Unterkunft. Später führte AfD-Politiker Oliver Multusch eine Bürgerversammlung durch. Dabei ging es um «Vorkommnisse, Beeinträchtigungen und Probleme mit der Unterbringung von Asylsuchenden».
Gleichzeitig fand draussen eine Gegendemonstration der Gruppierung «Antifaschistischer Zusammenhalt Altötting – Mühldorf» statt, diese stand unter dem Motto «Kein Podium der AfD». Die beiden Anlässe machten einen grösseren Einsatz nötig, wie die Polizei Waldkraiburg danach mitteilte. An den zwei Versammlungen im Oktober 2017 nahmen je etwa 80 Personen teil, aus polizeilicher Sicht verliefen sie friedlich.
Polizei-Grossaufgebot, weil Flüchtlinge randalierten
Noch grösser war das Polizeiaufgebot im Juni 2018, als in der gleichen Unterkunft zahlreiche Flüchtlinge randalierten. Unter den Bewohnern kam es gemäss «Münchner Merkur» zu heftigen Auseinandersetzungen, bei denen auch Messer verwendet wurden. Ein 29-jähriger Bewohner musste laut dem Artikel mit einer Stichverletzung am Oberkörper in ein Krankenhaus geflogen werden.
Ein Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes erlitt zudem eine Schnittwunde am rechten Arm, ein weiterer blieb nur aufgrund der getragenen Schutzweste unverletzt. Um die Ausschreitungen zu beenden, wurden rund 150 Polizisten eingesetzt, diese stürmten am Abend das Gebäude. Später wurde Haftbefehl gegen einen Nigerianer erlassen. Er soll versucht haben, einen Landsmann durch einen Stich in den Rücken zu töten.
Kurde und Algerier stritten sich im November in Brugg
Zu einem grossen Polizeieinsatz kam es am 2. November 2022 auch beim Bundesasylzentrum in Brugg: Rund ein Dutzend Patrouillen und weitere Einheiten rückten an. Auslöser war gemäss einer Mitteilung der Kantonspolizei ein Streit zwischen einem 29-jährigen Algerier und einem 25-jährigen Türken beim Nachtessen. Polizeisprecher Bernhard Graser sagte gegenüber Tele M1, zuerst sei gemeldet worden, dass bis zu 40 Personen an der Auseinandersetzung beteiligt seien.
Später zeigte sich, dass die Lage weniger dramatisch war. Zusammen mit dem Sicherheitsdienst, der im Asylzentrum von der Securitas gestellt wird, konnte die Polizei die Situation entschärfen. Wie Graser gegenüber Tele M1 sagte, handelte es sich beim 25-Jährigen mit türkischer Staatsangehörigkeit um einen Kurden.
Der Asyl-Leiter in Brugg, der in seiner Funktion an verschiedenen Standorten einige Zwischenfälle erlebt hat, steht nun also selber in der Kritik. Was an den aktuellen Rassismus-Vorwürfen der Kurden dran ist, wollen Bund und Betreiberfirma untersuchen.