Der Bund. Der Mass-voll-Chef hat mit Rechtsextremen demonstriert und Adolf Hitlers Geburtsort besucht. Jetzt lehnen selbst Massnahmenkritiker Listenverbindungen mit ihm ab. Die SVP ist weniger zimperlich.
«Grüsse aus Wien!» – der Tweet von Nicolas A. Rimoldi hat es in sich. Der Präsident der Bürgerbewegung Mass-voll und Nationalratskandidat reiste vergangenes Wochenende ins Nachbarland, um das zu tun, wodurch er landesweit bekannt wurde: demonstrieren.
Nur handelte es sich um eine Demonstration von Identitären und weiteren rechtsextremen Gruppierungen. Sie lief unter der Parole «Remigration». Die Identitären bedienen sich dabei der antisemitischen Verschwörungstheorie vom «grossen Austausch», gemäss welcher eine mächtige Elite das europäische Volk durch Zuwanderer aus Afrika und dem Mittleren und Nahen Osten austauschen wolle. Sie fordern die «Remigration», also die konsequente Abschiebung von Migrantinnen und Migranten in ihre Herkunftsländer.
Martin Sellner war bis Anfang 2023 Co-Chef der rechtsextremen Identitären Bewegung Österreich, eine Gruppierung der Neuen Rechten. Mitglieder werden unter anderem in Österreich oder Deutschland von Staats- und Verfassungsschutzbehörden überwacht. Sellner macht immer wieder Schlagzeilen, unter anderem, da er Spenden vom Christchurch-Attentäter von mehreren Tausend Franken erhielt. Im Vorfeld der Demo sagte Sellner, er wolle sich nach dem «Corona-Widerstand» nun wieder mit voller Kraft dem Widerstand gegen den «Bevölkerungsaustausch» widmen.
Zur Grussbotschaft postet Rimoldi ein gemeinsames Foto mit Martin Sellner, einem der führenden Köpfe des europäischen Rechtsextremismus.
Der Aufschrei in den sozialen Medien liess nicht lange auf sich warten. Doch damit nicht genug. Während Rimoldis Heimreise stellt er ein Foto aus Braunau am Inn ins Netz, dem Geburtsort von Adolf Hitler. Gegenüber «20 Minuten» gab sich Rimoldi daraufhin ahnungslos, er habe in Braunau mit anderen Mitgliedern von Mass-voll nur eine Pause eingelegt. Ihnen sei «nicht bewusst» gewesen, dass es sich um Hitlers Geburtsort handle.
Das lassen viele, darunter Vertreterinnen und Vertreter etablierter Parteien, nicht gelten. Rimoldi wird als «Nazi-Sympathisant» beschimpft, seine Eignung für den Nationalrat stark in Zweifel gezogen.
Doch schon am Montag kann Mass-voll die erbosten Reaktionen mit einem Coup zur Seite wischen: Die SVP Kanton Solothurn verkündet eine Listenverbindung mit der Bürgerbewegung. Um «Verluste innerhalb des bürgerlichen Lagers» zu verhindern. Und weil man die «gemeinsamen Werte Freiheit, Souveränität und Eigenverantwortung» teile.
Rimoldis fragwürdiger Ausflug bleibt dennoch nicht ohne Konsequenzen.
Aufrecht hat genug
Dass Mass-voll im Ausland Rechtsextreme an einer Demo unterstützt, geht selbst der massnahmenkritischen Gruppe Aufrecht Schweiz zu weit. Sie distanziert sich in einer Mitteilung und betont, dass es sich um «zwei verschiedene Vereine, mit grundlegend verschiedener Philosophie» handle.
Das ist insofern brisant, als Rimoldi noch vor zwei Wochen gegenüber dieser Redaktion Listenverbindungen mit Aufrecht ins Spiel brachte. «Das wird grundsätzlich immer schwieriger, erst recht nach dem letzten Wochenende», sagt nun Aufrecht-Präsident Patrick Jetzer.
In St. Gallen und Thurgau sei eine Listenverbindung bereits ausgeschlossen. In Bern und Zürich sei der finale Entscheid zwar noch nicht gefallen. Doch Jetzer räumt Mass-voll geringe Chancen ein: «Ich gehe davon aus, dass man sich das bei allen möglichen Listenpartnern noch mal gut überlegt.»
Sowieso strebe Aufrecht in Bern und Zürich in erster Linie Listenverbindungen mit der EDU an. Deren Parteipräsident Daniel Frischknecht nennt Rimoldis Verhalten am Telefon «bedenklich». Er überlässt es den Kantonalsektionen, über eine Listenverbindung zu entscheiden. Er hält aber fest, dass Rimoldi sein «Listenverbindungspotenzial» mit Aktionen wie in Österreich sicherlich nicht erhöhe.
SVP erwägt weiteren Schulterschluss in Luzern
Und die SVP, deren Wahlkampfchef Marcel Dettling jüngst die Kantonalparteien zu Listenverbindungen aufrief? Stört sie der Besuch in Hitlers Geburtsort oder das Zusammenspannen mit verschwörerischen Rechtsextremen?
Nur schon Dettlings Appell sorgte bei der vielerorts wichtigen Listenpartnerin FDP für Ärger. Die Zürcher Fraktion drohte gar mit dem Ausstieg aus dem Wahlpakt.
Wahr machen muss die FDP ihre Drohung nicht. «Eine Listenverbindung mit Mass-voll ist vom Tisch», sagt SVP-Kantonalpräsident Domenik Ledergerber heute. «Wir haben von Mass-voll gar nie ein Zeichen erhalten.» Warum, kann er sich nicht erklären.
Aber er scheint froh darüber zu sein. «Wir haben in der Parteileitung diskutiert, was eine Listenverbindung auslösen könnte. Mass-voll läuft an der Grenze des Tolerierbaren.» Vom Mitmarschieren in Wien hält Ledergerber indes nichts: «Parteiexponenten sollten nicht an Demos im Ausland mitlaufen, unabhängig vom Inhalt.»
In Solothurn hingegen hält die SVP an ihrer Listenverbindung fest. Von der FDP hatte sie bereits einen Korb gekriegt. Der abtretende Nationalrat Kurt Fluri wurde letzte Woche auf Twitter respektive X deutlich. Listenverbindungen seien nicht bloss wahlarithmetische Übungen, «sondern ein Zeugnis gemeinsamer politischer Überzeugungen». Daher sei es richtig, dass FDP und SVP keine eingehen würden.
Ganz anders sieht das SVP-Wahlkampfchef Dettling: «Listenverbindungen sind etwas rein Mathematisches.» Rimoldis Ausflug nach Österreich ändere nichts an seinem Appell an die Kantone. «Er ist weder Mitglied unserer Partei, noch teilen wir seine politischen Inhalte.»
Kommentieren wolle er die Aktion nicht. Dass sie der SVP letztendlich schaden könnte, indem Partner Rimoldi Wählerinnen und Wähler abschreckt, glaubt Dettling nicht.
Sowieso steht eine weitere Listenverbindung nur noch in Luzern zur Diskussion. Dort will die FDP wieder mit der Mitte zusammenspannen – und die SVP erwägt den Schulterschluss mit Mass-voll.
Gemäss Kantonalpräsidentin Angela Lüthold wird bis in zwei Wochen entschieden. Denn noch sei offen, ob Mass-voll überhaupt antrete. Den Ausflug nach Österreich will sie nicht kommentieren.