20 Minuten. «Germanische Neue Medizin»-Anhänger haben eine «Suisse-Tour 2022» geplant. Laut Experten gilt die Bewegung als «hochproblematisch und gefährlich».
Darum gehts
- Er war ein Kritiker der Schulmedizin und selbsternannter Wunderheiler: der deutsche Arzt Ryke Geerd Hamer.
- Anhänger und Anhängerinnen seiner umstrittenen Theorie haben eine «Swiss-Tour 2022» angekündigt.
Die Behandlungsmethode «Germanische Neue Medizin» (GNM) gilt als umstritten und gefährlich. Erfunden wurde sie 1981 vom deutschen Arzt Ryke Geerd Hamer. Eine der Hauptaussagen: Es gibt keine Krankheiten, nur seelische Konflikte, welche die Person überraschen. Demnach müssten Erkrankungen, wie beispielsweise Krebs, einfach «überwunden» werden. Schmerz habe dabei eine heilsame Wirkung.
Der selbsternannte Wunderheiler vertrat zudem antisemitische Positionen, die er im Rahmen von Verschwörungstheorien äusserte. So gilt gemäss Hamer die schulmedizinische Krebstherapie als Massenmord. Demnach würden jüdische Krebsspezialisten die Chemotherapie nutzen, um die Menschheit zu dezimieren. Laut dem Recherche-Portal «FarbundBeton 2.0» auf Twitter ist die Theorie insbesondere bei Reichsbürgern und Reichsbürgerinnen sowie Anastasia-Anhängern und -Anhängerinnen beliebt.
Laut der Wiki-Website Psiram soll die Behandlungsmethode bereits 140 Todesopfer gekostet haben. Hamer wurde 1986 die Praxisbewilligung entzogen. Er verstarb 2017. Seine Anhänger und Anhängerinnen verbreiten die umstrittene Theorie weiter – auch in der Schweiz. Ein Vertreter aus dem Kanton Aargau hat eine «Swiss-Tour 2022» geplant. Dafür sind Vorträge zum Thema «Wie Krankheit entsteht» an verschiedenen Standorten in der Schweiz angedacht. Die Veranstaltung dauert rund 1,5 Stunden und ist kostenlos. Die Termine sind auf einer Website aufgelistet. Um Informationen zum genauen Veranstaltungsort und der Uhrzeit zu erhalten, muss man sich per Mail anmelden.
«Es handelt sich um eine hochproblematische Bewegung»
Laut Religions- und Sektenexperte Georg Otto Schmid handelt sich hierbei um eine «hochproblematische Bewegung». «Die Gefahren sind offensichtlich: Wer unter dem Einfluss der GNM auf eine Behandlung einer Krebserkrankung durch die Methoden der wissenschaftsbasierten Medizin verzichtet, läuft Gefahr, unter unsäglichen Schmerzen zu sterben», sagt Schmid. Der Verzicht auf medizinische Behandlung fällt laut Schmid in den Bereich der persönlichen Freiheit. «Falsche Heilungsversprechungen sind hingegen ein Feld, wo staatliches Handeln möglich wäre», so Schmid.
Krebsspezialist Franco Cavalli forderte 2017 in der «Rundschau» ein härteres Vorgehen sowie einen Strafartikel gegen selbsternannte Wunderheiler. Damit reagierte er auf den Fall einer jungen Krebspatientin aus Italien, wie «SRF» berichtete. Trotz guter Heilungschancen lehnte die 17-Jährige im Spital von Bellinzona eine Chemotherapie ab. Gemeinsam mit ihren Eltern soll sie auf die Theorie von Hamer vertraut haben. Kurz danach war sie tot.
Dass die Anhänger und Anhängerinnen nun durch die Schweiz «touren», erachtet Cavalli als problematisch. «Die Theorien enthalten antisemitische und rassistische Elemente und sind völlig abstrus. Solche Vorträge sind gefährlich.» Wie Cavalli gegenüber 20 Minuten sagt, hat sich bis heute im Bezug auf den Strafartikel nichts getan. «Ich erachte diesen aber weiterhin als notwendig», so Cavalli.
«Behörden haben wenig Möglichkeit, dagegen vorzugehen»
Laut Thomas Gächter, Professor für Rechtswissenschaft der Universität Zürich, dürfen zugelassene Ärzte und Ärztinnen keine «Heilung» durch alternative Methoden versprechen, wenn diese nicht den Erkenntnissen der anerkannten Wissenschaft entsprechen. «Man will damit verhindern, dass Leute in die Irre geführt werden.» Zuwiderhandlungen können strafrechtlich mit Bussen bis 50’000 Franken bestraft werden.
Personen ohne eine ärztliche Zulassung dürfen im Kanton Zürich hingegen solche alternativen Heilpraktiken anbieten, ohne strafrechtliche Konsequenzen befürchten zu müssen. «Die Behörden haben wenig Möglichkeiten gegen selbsternannte Wunderheiler vorzugehen. Sie dürfen aber bewilligungsfreie Tätigkeiten untersagen, wenn von diesen eine Gesundheitsgefährdung ausgeht», so Gächter.
Der Veranstalter der «Suisse-Tour 2022» wollte sich gegenüber 20 Minuten nicht zu den Vorwürfen äussern.