Zentralplus.ch 1989 hat die rechtsextreme Patriotische Front in Zug Angst und Schrecken verbreitet, die in Schüssen auf Asylheime und eine Hetzjagd gipfelten. Vorne mit dabei: Zwei Zuger Gründungsmitglieder. zentralplus erinnert an die Vorfälle von damals, die auch dem Polizeikommandanten den Kopf kosteten.
Mit Holzschlägern, Veloketten und Fäusten schlagen sie auf zufällig anwesende, wehrlose Tamilen auf dem Landsgemeindeplatz ein und verletzen sie zum Teil erheblich. Die Tamilen werden gehetzt und gejagt, sie flüchten in benachbarte Restaurants, wo sie Schutz suchen. In einem Fall hält dies einen Täter nicht davon ab, einen Tamilen ins Foyer des Restaurants Ochsen zu verfolgen, wo er auf sein Opfer eindrischt, bis dieses das Bewusstsein verliert.
Diese Schilderungen stammen nicht etwa aus einem Schauermärchen. Nein, tatsächlich war Zug am 20. Mai 1989 Schauplatz dieser Schandtat. Dafür verantwortlich waren Mitglieder der sogenannten Patriotischen Front. Diese war eine kurz zuvor gegründete rechtsextreme Gruppierung. Zwei der Gründungsmitglieder waren Zuger: Achim Hoffmann und Karl Meili (Namen geändert).
Der Ku-Klux-Klan in Rotkreuz
Hans Stutz, Luzerner Kantonsrat (Grüne) und Beobachter der rechtsextremen Szene, erinnert sich: «Einfach gesagt, tauchte Zug als Ort rechtsextremer Gewalt damals wie ein Pop-up auf. Vor dieser als ‹Tamilenjagd von Zug› bekannt gewordene Aktion fand die Patriotische Front medial kaum Beachtung.»
Im Frühling 1989 seien in Luzern Flugblätter der Patriotischen Front aufgetaucht, unter anderem auf der Seebrücke. «Dass Zug ein Zentrum war, wusste man nicht», so Hans Stutz.
Aus heiterhellem Himmel kam die Tat am 20. Mai dennoch nicht. Bereits am 1. August 1987 war mit einem brennenden Kreuz und weissen Kutten unter einer Autobahnbrücke in Rotkreuz eine Ku-Klux-Klan-Gruppe gegründet worden. Schon damals mit dabei: Achim Hoffmann.
Im selben Jahr gab Drahtzieher Hoffmann zusammen mit Mittätern mehrmals Schrotschüsse auf die Asylheime in Hagendorn und Schattdorf ab. Während der Taten waren sie in weisse Kapuzengewänder gehüllt. In Schattdorf hinterliessen sie ein brennendes Kreuz. In Hagendorn wiederholten sie die Aktion. Verletzt wurde bei diesen Anschlägen niemand. Vielleicht auch darum blieb eine öffentliche Empörung weitgehend aus. Auch die Medien übten sich in Zurückhaltung.
James-Dean-Typ mit Hitler-Bild im Zimmer
Wer ist Achim Hoffmann überhaupt? Aufgewachsen in Rotkreuz, arbeitet er zu dieser Zeit in Sins als Knecht. Bei den Taten 1989 ist er 29-jährig. Optisch erinnert Hoffmann stark an James Dean – stilecht mit Zigarette im Mundwinkel. Später gibt er einmal an, dass in seinem Zimmer neben den Konterfeis von Napoleon und Cäsar auch dasjenige von Adolf Hitler hänge. Seine lapidare Begründung: Er bewundere eben «alle Grossen dieser Welt».
Als Galionsfigur bei der Patriotischen Front tritt Marcel Strebel auf. Das bärtige Schwergewicht mit der überraschend hohen Stimme wächst im aargauischen Wohlenschwil auf und fällt schon früh durch ausländerfeindliche Tiraden auf. Als Jugendlicher ist er Mitglied der Rockerbande Black Dogs.
Strebel arbeitet in nicht weniger als 23 Ländern als Stahlbaumonteur. Aufgrund von Rückenproblemen sattelt er später zum Chauffeur um. Obwohl weitgereist, ist ihm alles Fremde zuwider.
Strebel wird auf die Zuger aufmerksam
Das dritte Gründungsmitglied der Patriotischen Front, Kurt Meili, fährt optisch auf der Strebel’schen Linie: Breit gebaut und mit ordentlich Gesichtsbehaarung. Von Beruf ist er Bauarbeiter. Meili wird als eigentlicher Initiator der Ku-Klux-Klan-Bewegung bezeichnet. Auch bei den Aktionen in Hagendorn und Schattdorf war er mit von der Partie.
Durch die KKK-Aktion wurde Strebel, selbst von der Nationalen Aktion (heute Schweizer Demokraten) kommend, auf die Zuger Exponenten ganz recht aussen aufmerksam und rief die Patriotische Front ins Leben.
Ein Programm wie aus der Hölle
Das Grundsatzprogramm der Patriotischen Front lässt keine Zweifel daran, wie die Mitglieder ticken. Punkt 1: Vorherrschaft der weissen Rasse. Weitere von Strebel gestellte Forderungen: Keine Touristen mehr reinlassen, alle Fremden sollen das Land verlassen, Kündigung sämtlicher internationaler Verträge, Abschaffung des Frauenstimmrechts, standrechtliche Erschiessung von Drogenhändlern.
Die Patriotische Front macht bald deutlich, dass sie den Worten auch Taten folgen lassen will. Am 6. Mai 1989 demonstrieren sechs Mitglieder in Rotkreuz mit einem Warnfeuer gegen die Anwesenheit von 15 Asylbewerbern in der Binzmühle. Sie rufen Parolen wie «Asylanten raus – Asylanten sind Verbrecher».
Tatnacht wird mit einem Gesinnungstreffen eingeläutet
Nur zwei Wochen später kommt es zur angesprochenen Schandtat in Zug. Sie erlangt schweizweit traurige Berühmtheit und kann als Höhepunkt des «kleinen Frontenfrühlings», wie ihn die Patriotische Front angekündigt hat, angesehen werden. An diesem 20. Mai organisiert die Patriotische Front in Rotkreuz ein Gesinnungstreffen unter dem Motto «Politik als Volksfest». Es soll ein Fest aller «nationalistisch gesinnten Kräfte der Eidgenossenschaft» werden.
Rund 60 Rechtsextreme, Sympathisanten und Mitläufer finden sich ein. Dabei fliesst das Bier in Strömen. Nach Abschluss des Festes zieht ein Teil weiter, verwüstet in Rotkreuz eine Unterführung.
Opfer verlor viel Blut
Dann geht es nach Zug, wo es zur «Tamilenjagd» kommt. Der ehemalige Zuger Stadtpräsident Walther A. Hegglin ist damals Hotelier des «Ochsen», wo eines der Opfer bewusstlos geschlagen wurde. Er erklärt damals gegenüber «DRS aktuell»: «Die Polizei war relativ rasch vor Ort. Wir haben dann via Funk den Krankenwagen aufgeboten. Das Opfer brach zusammen und verlor sehr viel Blut.» Der betroffene Tamile sagt später: «Ich habe Sri Lanka verlassen, weil mein Leben bedroht war. Wenn jetzt dasselbe in der Schweiz passiert, bin ich sehr hilflos.»
Strebel distanziert sich unmittelbar im Anschluss von den Gewalttaten. Er wisse gar noch nicht, ob es sich bei den Tätern überhaupt um Mitglieder der Patriotischen Front handelt. Denn am Fest seien auch Sympathisanten und deren Kollegen anwesend gewesen. Man könne nicht jeden Einzelnen im Auge behalten.
Haupttäter war erst 20 Jahre alt
Später wird klar: Haupttäter ist ein erst 20-jähriger Verkäufer aus Steinhausen. Strebel sagt über ihn: «Es handelt sich um ein Mitglied von uns. Er ist ein einfacher lieber guter Mensch. Wir sind selbst am meisten erschrocken, als bekannt wurde, wer es war.» Strebel bezeichnet die Tat als «Bubenstreich». Mit einem Schreiben teilt die Patriotische Front dem Täter mit, dass er von der Gruppierung ausgeschlossen wird. Wie viel dieses Schreiben wert ist, ist eine andere Frage.
Für die Tat erhalten insgesamt 22 Männer und Frauen fünf Tage bedingte Haft und zwei Skins 50 Tage beziehungsweise zwei Monate bedingt Gefängnis. Für den Haupttäter setzt es 15 Monate bedingt.
Jung, männlich, kahlrasiert
Die «Wochenzeitung» kommt 1989 an eine Mitgliederliste der Patriotischen Front, 65 Namen stehen drauf. Das Bild der Mitglieder ist klar: Die typische Gefolgschaft ist männlich und um die 20 Jahre alt. Acht auf der Liste sind Frauen.
Auch bekannte Neonazifiguren und eine Exponentin der Genfer Nationalen Aktion stehen drauf. Knapp die Hälfte stammt aus der Innerschweiz. Die meisten sind in einem handwerklichen Beruf tätig. Es gibt auch Ausnahmen wie einen Rentner, einen Studenten und einen Kantiabgänger.
Experte Hans Stutz sagt auf die Mitgliederstruktur angesprochen: «Ich beobachtete im Mai 1989 selbst mal ein Treffen der Patriotischen Front aus der Ferne, als sie in Rotkreuz an der Reuss eine Feier abhielt. Anwesend waren viele sehr junge Leute mit kahlgeschorenem Schädel. Die Subkultur der Naziskins bildete ihr grösstes Rekrutierungsbecken.»
Verharmlost, verdrängt, verschwiegen
Nicht nur in Zug, auch andernorts in der Schweiz wie in Schaffhausen oder Chur kommt es vor 30 Jahren zu Übergriffen und Attacken durch Rechtsextreme. Teils mit tödlichem Ausgang. Es ist eine Zeit, in der vor allem von Parteien, aber auch von Behörden und Medien viel verharmlost, verdrängt und verschwiegen wird. Oftmals werden die Attacken entpolitisiert und als Lausbubenstreiche einiger Rowdys abgetan.
Die «Fröntler», wie die Mitglieder der Patriotischen Front genannt werden, fühlen sich im Aufschwung, sehen sich in einer Position der Stärke. Sie bekommen auch mediale Aufmerksamkeit.
Am 22. August 1989 wird Strebel in den «Zitschtigs-Club» eingeladen. Thema der Runde ist Fremdenhass. Vor der Sendung trifft Strebel im Warteraum auf ein farbiges Mannequin. Er beleidigt sie als «schwarze Hure» und bespuckt sie. Die Öffentlichkeit erfährt erst im Nachhinein davon. SF versichert, erst nach der Sendung die exakten Umstände erfahren zu haben. Der Sender beteuert, sonst hätte man den Auftritt abgesagt.
Es dauert nicht lange, bis sich die Patriotische Front wiederum in die Schlagzeilen und das Bewusstsein der Bevölkerung katapultieren. Genauer am 4. November.
Den Asylkoordinator mit Fäusten traktiert
In Steinhausen, kaum 100 Meter vom Einkaufscenter Zugerland entfernt, steht die kantonale Durchgangsstation Hinterberg für Asylbewerber. In der Barracke sind 64 Türken und 10 Tamilen untergebracht.
Den Fröntlern sind sie ein Dorn im Auge. Angeführt von Marcel Strebel, ziehen in den Abendstunden gegen 30 Mitglieder der Patriotischen Front vor das Durchgangsheim, um dort gegen die Asylbewerber zu demonstrieren.
Es fliegen Steine, Scheiben werden eingeschlagen. Die Fröntler dringen in das Durchgangsheim ein, beschädigen Räume. Auch zu Drohungen und Beschimpfungen kommt es. Besonders Asylkoordinator Oskar Berchtold wird angegangen und gar mit Fausthieben traktiert. Die Polizei schaut dabei aus der Ferne zu. Später werden fünf Täter verhaftet. Strebel ist nicht darunter. Kurt Meili hingegen wird 1990 zu acht Monaten bedingter Haft verurteilt.
Regierungsrat wählt Polizeikommandanten ab
Die Polizei gerät in den Tagen und Wochen darauf wegen ihrer Passivität stark unter Beschuss. Der Überfall wird indirekt auch Polizeikommandant Eugen Steiner zum Verhängnis. Obwohl dieser vom Regierungsrat in Schutz genommen wird, tragen die Ereignisse zu seiner Nichtwiederwahl im August 1990 bei. Denn diese wird unter anderem mit Führungsmängeln und -schwächen begründet.
Auf politischer Ebene folgen verschiedene parlamentarische Vorstösse wegen des passiven Verhaltens der Polizei. Dies nicht nur von Seiten der Sozialistisch Grünen Alternativen (SGA), sondern auch von CVP und FDP.
Stacheldraht soll Asylbewerber schützen
Der Zuger Regierungsrat um Justiz- und Polizeidirektor Urs Kohler (FDP) allerdings erachtet die Einsetzung einer besonderen parlamentarischen Untersuchungskommission als nicht notwendig. Die Polizei habe zwar taktische Fehler gemacht. Konkret: dass sie die Fröntler so nahe an die Durchgangsstation liess. Sie habe aber daraus ihre Lehren gezogen. Als Reaktion auf die Übergriffe stellt die Polizei Stacheldrahtrollen rund um die Asylbewerberunterkünfte im Kanton Zug auf – und erntet dafür wiederum Kritik.
Diese äussert sich unter anderem beim Demonstrationszug, der sich rund drei Wochen nach den Vorfällen in Zug formiert – organisiert von Asylbrücke, Gewerkschaften und verschiedenen Linksgruppierungen sowie weiteren Organisationen. Mehrere hundert Menschen gehen auf die Strasse, um ein Zeichen gegen Fremdenhass und für eine offene Schweiz zu setzen. Darunter sind die beiden SGA-Politiker Josef Lang und Hanspeter Uster.
Der Wink an die Bürgerlichen
Lang erinnert sich: «Die Demonstration auf dem Landsgemeindeplatz war eine starke Antwort auf die Fröntler. Dass wir Jakob Suter als Redner gewinnen konnten, war ausserdem ein wichtiges Zeichen.» Dieser war kurz zuvor aus der CVP ausgetreten. «Dass ein Christlich-Sozialer unser Hauptredner war, war ein Wink an die bürgerlichen Parteien: So solltet ihr euch verhalten!», sagt Lang.
Der Alt-Nationalrat vermutet, dass die Fröntler Zug einerseits ausgewählt haben, weil es nach Luzern die grösste Stadt der Region ist. «Auf der anderen Seite befand sich die Alternative Linke in Zug zu diesem Zeitpunkt im Aufschwung. Zug war offener eingestellt als andere Zentralschweizer Regionen. Dies dürfte die Patriotische Front zusätzlich provoziert haben, ein rechtes Zeichen zu setzen.»
Der Rücktritt von Strebel
Mitte November 1989 verkündet Marcel Strebel seinen Rücktritt als Anführer der Patriotischen Front. Später gibt er sogar die Auflösung der Gruppierung bekannt. Mit einer Neuformierung unter dem Namen Patriotische Bewegung wolle er seine Organisation entkriminalisieren.
Alles leere Worthülsen, wie sich herausstellen sollte. So sagt Marcel Strebel später sinngemäss selbst: «Ich kann das machen, wie ich will. Ich kann morgen austreten und übermorgen wieder eintreten.»