Der Bund. In der Langenthaler Fasnachtszeitung wurden rassistische Begriffe und Nazi-Vokabular verwendet. Dabei sitzen in der Redaktion durchaus sensibilisierte Personen.
«Päng» heisst die Fasnachtszeitung in Langenthal. Ein passender Name. Dem etwa 10-köpfigen Redaktionsteam fliegt gerade die neue Ausgabe um die Ohren.
Auf Seite 3 wird eine Fasnachtsgruppe dazu aufgefordert, die Marktgasse zu putzen – und zwar unter dem Motto «Arbeit macht frei». Dieser Spruch prangte auf den Toren zu den Konzentrationslagern der Nationalsozialisten, etwa in Auschwitz.
Auf Seite 8 folgt das Foto eines Schokokusses. Der Text dazu macht sich in erster Linie über das bescheidene Neujahrsgeschenk eines Langenthaler Gewerblers lustig. Neben dem früheren, heute als rassistisch geltenden Wort für Schokokuss wird auch das N-Wort verwendet. Es gilt schon lange als eine diskriminierende Bezeichnung.
Päng. Wie konnte das passieren?
Chefredaktor Reto Kurt würde lieber über andere Dinge reden, das wird rasch klar. Schliesslich hatte er schon am Mittwochabend bei der Präsentation der neuen Zeitung gesagt: «Das hätte nicht passieren dürfen.»
Er nimmt sich aber doch Zeit. Die Passagen seien beim Lesen «einfach durchgegangen», sagt Kurt. Die Zeit habe gedrängt, es seien alles Laien am Werk, da könne so etwas passieren, auch wenn es nicht dürfte. Der nationalsozialistische Hintergrund des Spruchs «Arbeit macht frei» sei dem Verfasser oder der Verfasserin womöglich gar nicht bekannt gewesen.
Keine Bösartigkeit
Auffallend ist, dass in der Redaktion mehrere Personen sitzen, die in Sachen Rassismus und Sprache durchaus sensibel sein dürften. Zum Beispiel Priska Grütter, SP-Mitglied und Frau des Langenthaler SP-Stadtpräsidenten Reto Müller, der die neue Zeitung am Mittwoch als einer der Ersten in den Händen hielt.
Grütter wurde vor bald 20 Jahren bekannt, als sie sich in Roggwil für die ausländischen Mädchen einsetzte, deren Namen auf der traditionellen Maitanne fehlten. Zu dieser Zeit waren der Oberaargau und die Stadt Langenthal noch für ihre rechtsradikale Szene und als Hochburg der rechtsextremen Pnos bekannt. Für ihren Einsatz wurde Grütter damals für den «Prix Courage» nominiert.
«Unsere Gesinnung ist ganz sicher nicht rechts», sagt sie und wirbt um Verständnis. «Wir mussten 16 Seiten mit unzähligen kleinen Texten lesen.» Der Zeitdruck sei gross gewesen. «Alle sagen, dass es ihnen nicht aufgefallen ist.» Wenn sie selbst die Passagen gelesen hätte, sagt Grütter, hätte sie eingegriffen. Die Publikation der beiden problematischen Stellen sei ein Fehler gewesen, aber sicher nicht aus Bösartigkeit passiert.
Nie, sagt sie, würde sie sich über die Woke-Kultur lustig machen, die ein Bewusstsein für Rassismus und andere Diskriminierungen einfordert. Aber es sei eine Herausforderung, allen Anforderungen der politischen Korrektheit jederzeit gerecht zu werden.
Nur gegen oben treten
Zur Redaktion gehört auch Georg Cap, Stadtrat der Langenthaler Grünen. Vergangenes Jahr kämpfte er im Gemeindeparlament für mehr politische Rechte für ausländische Personen, allerdings erfolglos. Zudem wurde er aktiv, weil er sich an den sich häufenden Nazi-Schmierereien in Langenthal stört.
In der Redaktion herrsche eine «gewisse Bestürzung», sagt Cap. Denn es sei klar: «Solche Inhalte dürfen wir nicht tolerieren.» In der Vergangenheit habe es in Langenthal eigentlich nie problematische Vorfälle gegeben. «Sonst hätten wir das vielleicht auf dem Schirm gehabt.» Eine Fasnachtszeitung müsse kontrovers sein, anecken. Sie dürfe auch treten, aber nur gegen oben.
Er sieht bei der Fasnachtszeitung auch Fortschritte. So stehe neben einem Text, der sich über das Gendern lustig mache, ein Artikel mit genderneutraler Sprache.
Freiheit ausleben
In der Schweiz sorgt die Fasnacht immer wieder mit rassistischen Vorfällen für Aufsehen. Es ist gerade mal einen Tag her, dass im Kanton Aargau ein Fasnachtsverein in die Schlagzeilen geriet, weil er heute «geächtete» Bezeichnungen «nochmals aufleben lassen» wollte. Auch das N-Wort gehörte zu diesen Begriffen.
Warum immer die Fasnacht?
Er könne nur spekulieren, sagt Medienwissenschaftler Guido Keel von der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften. Er forscht zu den Grenzen der Satire. Viele Menschen fühlten sich möglicherweise in ihrer Freiheit eingeschränkt durch das Gebot, etwa die Geschichte von verfolgten Juden respektvoll zu behandeln. Deshalb nutzten sie die Fasnacht, umdieses Bedürfnis ausnahmsweise auszuleben. Das sei aber nicht das Gleiche, wie wenn man sich gegen die Obrigkeit auflehne – was ja die eigentliche Funktion der Fasnacht sei.
Stephanie Graetz, Geschäftsleiterin der Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus, sieht einen Grund auch in der medialen Aufmerksamkeit. Von den Umzügen würden Videos und Fotos gemacht. Und die Fasnächtlerinnen und Fasnächtler fallen auf. «Im Alltag rennen wir ja nicht in Kostümen von Minderheiten herum, die sich diskriminiert fühlen könnten.»
Bei der Fasnacht gebe es natürlich die sogenannte Narrenfreiheit. Diese Freiheit ende aber dort, wo es auf Kosten von Minderheiten gehe und Aussagen oder Kostüme abwertend oder herabsetzend gemeint seien. Die antisemitische Inschrift «Arbeit macht frei» und die Verwendung des N-Worts in der Langenthaler Fasnachtszeitung gingen eindeutig zu weit.
Die positive Seite
Das eigentliche Problem des Rassismus, sagt Stephanie Graetz, seien aber nicht die diskriminierenden Sätze in der Fasnachtszeitung oder das problematische Kostüm am Umzug. Das Problem sei der strukturelle Rassismus – wenn also etwa Menschen wegen ihrer Herkunft oder ihres Namens nur mit Mühe eine Wohnung oder Stelle finden.
Graetz findet es falsch, wegen ein paar negativer Vorfälle die ganze Fasnachtsgemeinschaft pauschal zu verurteilen. «Der Grossteil verhält sich ja nicht so.» Sie kann den Vorfällen sogar etwas Positives abgewinnen. «Wir können uns als Gesellschaft nur weiterentwickeln, wenn wir uns damit auseinandersetzen, Themen diskutieren und hinterfragen.»
Auch die Redaktion von «Päng» will ihre Lehren ziehen. «Wir müssen künftig auch die Correctness im Auge behalten», sagt Georg Cap.
Sonst machts bald wieder – päng.