NZZ magazin. Filmemacherin Mo Asumang trifft sich mit Nazis, Querdenkern, Fundamentalisten. Dann hört sie zu – und die Gespräche nehmen einen erstaunlichen Verlauf.
Ihre Grossmutter war bei der SS. Als sie hörte, dass sie ein dunkelhäutiges Enkelkind bekommen werde, reagierte sie dramatisch: Sie wollte sich vor die Strassenbahn werfen. Doch dann sah sie Sie als Baby, und aus Hass wurde Liebe. Menschliche Nähe überwand Ideologie – die Urmotivation Ihrer Arbeit?
Ich erfuhr erst als Erwachsene, dass Oma als Sekretärin für die SS gearbeitet hat. Dass sie sich wegen meiner Hautfarbe vor die Strassenbahn werfen wollte. Hätte ich das als Teenager gewusst, hätte ich sie verstossen. Ich hätte nichts mehr mit ihr zu tun haben wollen. Als Erwachsene wusste ich jedoch bereits, dass Menschen sich verändern können. Oma war das beste Beispiel dafür. Sie war tief ins Nazitum verstrickt, und dennoch zog sie mich später voller Liebe auf. Das Bemühen um Versöhnung, auch mit Menschen, die über eine lange Zeit auf Irrwegen waren – das treibt mich bis heute an. Dabei geht es auch um eine Erwartungshaltung: Dass ich mich auf andere zubewege. Dass ich nicht darauf warte, bis der andere sich ändert.
Sie versuchen, mit Extremisten ins Gespräch zu kommen und sie zur Vernunft zu bringen.
Wir leben nun mal in Gemeinschaften. Und wenn wir es zulassen, dass jemand sich abkoppelt und radikalisiert, tun wir uns selber weh. Wir müssen diese Leute wieder einfangen. Das kann nur im Sinn von uns allen sein.
Wann haben Sie angefangen, mit Nazis und anderen Extremisten zu reden?
Seit ich Filme drehe, ist das mein Hauptthema. «Roots Germania» hiess der erste Film, 2007 ist er erschienen. Seither rede ich mit Neonazis, auf der Strasse und an Demos. Eine meiner ersten Nazi-Demos war in Berlin: Alexanderplatz, 3000 Nazis, ich mittendrin. Ich zitterte, mir war schlecht. Da war ich noch nicht so cool. Die Polizisten auf dem Platz sahen mich irritiert an. «Was macht die denn hier? Die spinnt wohl!», fragten ihre Blicke. (lacht)
‹Heute habe ich keine Angst mehr vor Nazis.›
So ein Ausflug ist ja tatsächlich nicht ganz ungefährlich.
Ich gehe da ganz offen hin. Ich bereite mich auch ganz bewusst nicht vor. Ich gehe hin, schaue mich um, spreche die Leute an und stelle meine offenen Fragen. Ich will die Leute kennenlernen. Damit bin ich bisher ganz gut gefahren. Ich bin immer wieder verblüfft, wie diese Menschen reagieren. Wenn sie merken, dass ihnen jemand zuhört. Das sind sie gar nicht gewohnt. Heute habe ich keine Angst mehr vor Nazis.
Zu Ihren spektakulärsten Treffen gehört jenes mit dem Klu-Klux-Klan in den Südstaaten.
Da wurde mir tatsächlich etwas mulmig. Die ganze Szenerie war diffus. Ich wartete am Wegesrand. Ich wusste nicht, ob die Klan-Männer tatsächlich zum Gespräch erscheinen würden, wie viele von ihnen, in welcher Stimmung. Knallen die mich jetzt ab? Sobald ich dann mit einem Klan-Mitglied reden konnte, wurde es einfacher.
Gab es Unterhaltungen, nach denen Sie Ihre Gesprächspartner besser verstanden haben?
Das kann vorkommen. Ein 3-Sat-Film von mir heisst «Mo Asumang und die Krise der Männer». Er beschäftigt sich mit Männern, die ein radikales Männerbild haben. Dabei traf ich die «Men in the Woods» – Männer, die sich gemeinsam in den Wald zurückziehen, dort campieren und trainieren. Einer dieser Männer, der Nico, sagte mir, dass auch er unter dem Patriarchat leide. Ich war verblüfft. Nico erzählte mir, wie auch er in Schablonen gedrückt wird. Etwa wenn vom Mann verlangt wird, Soldat zu werden oder eine Familie allein zu ernähren. Vor dem Gespräch hatte ich gedacht, das Patriarchat sei selbstverständlich für alle Männer von Vorteil. Nico hat mir plausibel gemacht, dass das so nicht stimmt.
Wann bringt es nichts, mit Extremisten zu reden?
Selten erreichbar sind Menschen, für die der Extremismus eine Einnahmequelle ist, Politiker etwa oder Funktionäre. Die haben in der Regel kein Interesse an einem offenen Gespräch. Vielversprechender sind Wähler und Sympathisanten. Da können sogar Bekanntschaften daraus entstehen. Chris, ein Neonazi, den ich während einer meiner Filmprojekte kennengelernt habe, stieg später aus der Szene aus. Heute sind der Ex-Nazi Chris und ich Freunde. Von Zeit zu Zeit gehen wir miteinander angeln. In ein paar Tagen ist es wieder so weit.
Und worüber reden Sie dann miteinander, Sie und der Ex-Nazi?
Was wir so erlebt haben. Und über Autos und Spaghettisaucen. (lacht)
Vor einigen Tagen gab es in Deutschland eine Razzia gegen Reichsbürger. Menschen, die in einer komplett anderen Welt leben – sicher eine reizvolle Klientel für Sie.
Ja, solche habe ich auch schon getroffen. Mit einem von ihnen, Frank, habe ich mich im 3-Sat-Film «Mo Asumang und die Querdenker» auseinandergesetzt. Wirklich nah bin ich ihm allerdings nicht gekommen. Irgendwann zückte er seinen Personalausweis, ausgestellt von der Bundesrepublik, und behauptete, auf dem Dokument seien die Umrisse von Baphomet zu erkennen – «dem Dämon der Wollust», wie er anfügte . . . das ist schon sehr schräg. Aber auch mit Menschen wie Frank muss man zu reden versuchen. Es gibt keine Alternative zum Gespräch. Ansonsten verschwinden diese Leute einfach in ihren Blasen, entkoppeln sich von unserer Gesellschaft, und das mit 100-prozentiger Sicherheit. Wenn wir diese Menschen nicht antippen, tut es niemand. Dann sind sie verloren. Im Internet warten schon die medialen Parallelwelten darauf, sie aufzunehmen.
Sie beschäftigen sich seit Jahren intensiv mit Extremisten. Wie hat das Ihr Menschenbild geprägt?
Erstaunlicherweise ist mein Menschenbild positiver geworden. Ich sehe heute weit mehr als früher die Hoffnung, die Aussicht auf Versöhnung. Das hat allerdings mehr mit mir zu tun als den anderen. Ich bin mutiger geworden und habe den Kontakt gesucht, wo ich früher weggerannt wäre. Ich begegne Rassisten oder Sexisten heute anders als früher. Damals waren das für mich einfach dunkle Gestalten, mit denen ich nichts zu tun haben wollte. Heute sehe ich die Chance auf Veränderung.
Welche Extremisten waren am schwierigsten im Umgang? Welche am einfachsten?
Am schwierigsten sind die sogenannten Querdenker in ihrer Alternative-Fakten-Welt. Am einfachsten sind mittlerweile die Rassisten. Da kenne ich mich aus.
In Ihren Filmen fassen die Extremisten erstaunlich schnell Zutrauen zu Ihnen. Sie reden ganz offen. Obwohl Sie als Journalistin und mehr noch als schwarze Frau ein Feindbild einiger dieser Gruppen sind.
Mich verblüfft das gar nicht so sehr. (lacht) Ich freue mich jedes Mal, wenn ein Gespräch in Gang kommt. Weil ich damit auch reagieren kann auf den Rassismus, dem ich als Kind immer so machtlos gegenübergestanden bin.
Arbeiten Sie mit kommunikativen Tricks?
Ja, ich blocke nicht ab, schlage auch nicht zurück. Ich tauche bewusst erst mal mit in den Wahnsinn ein, den mein Gegenüber mir da erzählt. Und ich werte nie ab.
Haben Ihnen die Erfahrungen als Moderatorin von «Liebe Sünde» geholfen bei der Extremisten-Recherche?
Für mich ist es egal ob ich mit einem Pornodarsteller spreche oder einem Reichsbürger, jeder Mensch ist spannend. Ich versuche immer durch meine Fragen den Anderen in die Reflexion einzuladen. Das kann ich als Bürgerin leisten, das kann jede und jeder.
Sollen das also alle machen wie Sie? Nazis aufspüren, um mit ihnen zu reden?
In der Kneipe mal nachfragen, wenn jemand ausfällig wird – das sicher. Aber zu Neonazi-Treffen gehen? Davon würde ich abraten. Es ist nämlich gar nicht so einfach, unbekümmert auf eine Nazi-Demo zu gehen. Das habe ich ja selber gemerkt. Man verkrampft, bekommt einen dicken Hals, will denen die Meinung sagen. Viele versuchen auch, den anderen rhetorisch zur Strecke zu bringen. Das bringt aber nichts. Irgendwann wendet sich das Gegenüber einfach von einem ab.
‹Mitläufer kann man erreichen, keine Frage. Aber dazu müssen wir als Gesellschaft umdenken.›
Sie selber verzichten komplett auf den progressiv-akademischen Aktivisten-Sprech.
Ich will nicht auftrumpfen. Und vor allem möchte ich niemanden verschrecken. Meine Gesprächspartner rennen schon so schnell genug weg. Viele bekommen es mit der Angst zu tun, wenn ich sie anspreche. So im Sinne von: «Auweia, die Schwarze ist ja nett! Was mache ich jetzt bloss?» Die Angst, die dahintersteckt, ist die Angst vor Veränderung. Dass sich ihr Weltbild verändern könnte, wenn sie mit mir sprechen. Dass sie beginnen könnten, ihre eigenen Vorurteile zu hinterfragen.
Die Leute reden, Sie haken nach mit neugierigen Fragen. Und schon kommt manch einer ins Grübeln.
Wenn ich eine Reflexion auslösen kann, freut mich das natürlich. So wie beim Nazi, der heute kein Nazi mehr ist, sondern ein Freund. Oder beim Blogger «Weiberplage», der aufhörte, frauenfeindliche Texte zu veröffentlichen, nachdem wir uns getroffen hatten.
Sie trafen sich für einen 3-Sat-Film auch mit Linksextremisten. Was halten Sie von der Hufeisentheorie? Dass Links- und Rechtsextremismus faktisch aufs Gleiche hinauslaufen: körperliche Gewalt, soziales Chaos, Zerstörung von Eigentum . . .
Das leuchtet mir nicht ein. Ich bin aber froh, dass es die Antifa gibt. Es wäre schön gewesen, hätte jemand in den frühen 1930er Jahren entschiedener dagegengehalten. Es geht dabei um die Demonstration von Macht und Masse, nicht um Gewalt. Die lehne ich ab.
Frauenrechtlerinnen galten vor 150 Jahren als Extremistinnen. Heute erscheinen uns ihre Anliegen nur vernünftig. Können Extreme auch mal Recht haben?
Es geht auch in die andere Richtung: Die Burschenschaften haben einst die Pressefreiheit erstritten. Heute sind sie Banane. Bei den Extremisten, die ich besucht habe, sehe ich beim besten Willen kein Potenzial für eine solche positive Entwicklung . . . nein, da geht uns nichts Bedenkenswertes durch die Lappen.
Ihre Filme verleiten zu einer vulgärpsychologischen Hypothese: Neonazis, christliche Fundamentalisten – sie alle haben einfach zu wenig Aufmerksamkeit bekommen!
Mitläufer kann man erreichen, keine Frage. Aber dazu müssen wir als Gesellschaft umdenken. Die Veränderung bist du selbst! Wir müssen wegkommen von der Vorstellung, dass man mit Andersdenkenden nicht mehr sprechen soll, weil das sowieso nichts bringt. Weil diese Leute sowieso verloren sind. Wir müssen uns bemühen. So ist Demokratie nun mal: manchmal ein bisschen anstrengend.
Mit welchen Extremisten möchten Sie im neuen Jahr gern ins Gespräch kommen?
Da gibt’s noch einige. Islamfeinde, Antisemiten . . . und mit der AfD-Politikerin Alice Weidel würde ich auch gerne mal reden. Wie sie als lesbische Frau mit einer Partnerin aus Sri Lanka sich für diese Partei engagieren kann – das reizt mich.
Mo Asumang. Ihr Markenzeichen ist freundliche Neugierde
Mo Asumang wurde 1963 in Kassel geboren. Ihre Mutter ist Deutsche, ihr Vater Ghanaer. Aufgewachsen ist sie auch bei ihrer deutschen Grossmutter. National bekannt wurde Asumang als Moderatorin von «Liebe Sünde», einer Hochglanz-Erotik-Sendung von Pro Sieben. In den nuller Jahren begann sie, Filme über Rassismus zu drehen. Ihre Filme «Roots Germania» und «Die Arier» wurden für den Grimme-Preis nominiert. Beim Fischer-Verlag veröffentlichte sie das Buch «Mo und die Arier», mit ihrem Verein Mo:Lab gibt sie Workshops zum Umgang mit Demokratiefeinden. Diesen Herbst zeigte 3-Sat die Dokumentarfilmserie «Mo Asumang und», in der Mo Asumang auf Extremisten unterschiedlichster Art trifft und sie überaus freundlich und neugierig zu ihren Absichten befragt.