Zürcher Oberländer. Hinwil. Ein Neonazi hat vor dem Bezirksgericht Hinwil zugegeben, in seiner früheren Wohnung in Rüti Waffen gelagert zu haben. Wie man ihn deswegen bestrafen soll, dazu gehen die Meinungen weit auseinander.
Ein Deutscher Neonazi vor einem Schweizer Gericht – das ist eine relativ seltene Konstellation. Gestern Dienstag bildete sie die Ausgangslage für einen Prozess am Bezirksgericht Hinwil.
Nicht mehr in der Schweiz
Der Angeklagte: Ein 32-jähriger Koch, der bis vor ein paar Monaten im Zürcher Oberland gelebt hatte, heute jedoch in Deutschland wohnt. Während seiner über zehn Jahre, die er in der Schweiz verbrachte, war der Neonazi – er zeigt seine Gesinnung unter anderem durch Hakenkreuz-Tätowierungen – einige Male in Medienberichten erwähnt worden. Vor allem, als er sich vor vier Jahren als Mitorganisator eines grossen Konzerts und einer Zusammenkunft von Rechtsextremen im Toggenburg betätigte. Doch um das ging es in Hinwil nicht, sondern nur um zwei bestens beweisbare Beschuldigungen. So warf der Staatsanwalt dem Mann vor, sich auf Facebook rassistisch und bagatellisierend über einen Bericht einer grossen deutschen Zeitung über eine Überlebenden des Konzentrationslagers Ausschwitz geäussert zu haben.
Maschinenpistole unter Bett
Allerdings geschah diese Bewertung nicht in einer extremen Weise, wie sie sonst für politisch Radikale typisch ist, sondern vergleichsweise zurückhaltend mit den Worten «Zeitzeugenbericht von einer der 7 Millionen Überlebenden …» und einem Emoticon, auf dem eine Figur mit der Hand ihre Augen bedeckt.
Ein rechtlich ganz an anderes Kaliber stellte der zweite Tatbestand dar. Beim Deutschen waren im Frühling 2019 bei einer Hausdurchsuchung in seiner damaligen Wohnung in Rüti unter dem Bett ein Sturmgewehr Vektor R 4 und eine Maschinenpistole Czeck Skorpion 61 gefunden worden. In einem Schrank stiess man noch auf eine Pistole Walther PPK. Zudem hortete der Mann über 2000 Schuss Munition und Zubehör. Sowohl der Erwerb wie der Besitz all dieser Waffen und Patronen war illegal.
Verweigerte Antworten
«Die Waffen wurden bei mir gefunden. Zu allem anderen mache ich keine Aussagen.» Der erste Satz des Deutschen in der Befragung zur Sache tönte eher abweisend. Dennoch gab der Mann in der Folge auf einige Fragen in einer für Angeklagte ungewöhnlich höflichen und meist präzisen Art Auskunft.
Er sprach vor allem zur Beschuldigung, er habe sich ras-sistisch verhalten. «Diesen Vorwurf weise ich komplett von mir.» Sein Kommentar zur Ausschwitz-Überlebenden «war ganz anders gemeint, als er interpretiert wurde». Er habe nämlich nur seinem Ärger über die heute noch andauernde Berichterstattung über den Holocaust Luft machen wollen: «Nach 80 Jahren noch jeden Tag solche Berichte – das nervt mich einfach!».
Die vorsitzende Richterin versuchte dann herauszufinden, wie der Deutsche politisch tickt – und biss auf Granit. Sie: «Würden Sie sich nicht als Neonazi bezeichnen?». Er: «Ich bin ein Individuum. Ich lasse mich nicht schubladisieren; das ist mir zu banal.» Nur von seinen Tätowierungen könne man nicht eine Gesinnung ableiten. Die Tattoos stünden für «die positiven Aspekte», die es im Nationalsozialismus nebst den Verbrechen auch gegeben habe, beispielsweise «Ehre, Treue, Gemeinschaft».
Landesverweis gefordert
«Ich habe noch nie einen glühenderen Bewunderer des Nationalsozialismus‘ gesehen, als den Beschuldigten», sagte hingegen der Staatsanwalt. Solche Menschen und ihre Einstellung würden dem Ruf der Schweiz schaden. Entsprechend hart fiel der Strafantrag aus: eine Verurteilung wegen mehrfachen Vergehens gegen das Waffengesetz und Rassendiskriminierung, zu bestrafen mit 32 Monaten Gefängnis, wobei die eine Hälfte auf Bewährung wäre und die andere Hälfte abzusitzen. Und nach Verbüssen der Strafe soll dem Mann für 14 Jahre verboten werden, in die Schweiz einzureisen. «Es ist geradezu lächerlich», dass der 32-Jährige behaupte, er wisse nichts über die trotz Ermittlungen bis heute absolut unklare Herkunft der Waffen, die bei ihm gefunden worden seien, meinte der Staatsanwalt. Es gäbe «eindeutige DNA-Spuren des Beschuldigten» auf den Gewehren und der Pistole. Und was den Staatsanwalt viel mehr beschäftigte: Es bleibe das Geheimnis des Neonazis, was mit den in Rüti gelagerten Waffen hätte gemacht werden sollen – «aber wohl nichts Gutes», beispielsweise «Terror- oder Amoktaten».
«Die Tätowierungen und das Konzert im Toggenburg sind hier kein Thema», betonte der Verteidiger des Deutschen, und mahnte das Gericht damit, sich nur auf die Tatvorwürfe zu konzentrieren. Und da sah die Lage nach Ansicht des Anwalts klar aus: Schuldspruch wegen des Waffenbesitzes, Freispruch in Sachen Rassendiskriminierung. Und folglich nur eine tiefe, bedingte Geldstrafe von 1000 Franken.
Im eingeklagten Facebook-Kommentar sei «von Rasse oder Religion nicht die Rede. Nur wenn man mit reichlich Phantasie verschiedene Dinge hineininterpretiert», könnte man den Kommentar als verboten ein-stufen. Also so, wie es die «vorurteilsbelastete» Staatsanwaltschaft getan habe. Kurz: Im Verhalten des Deutschen sei «nichts erkennbar, was für die Erfüllung des Tatbestands Rassendiskriminierung vorausgesetzt wird».
Noch kein Urteil
Ob das Gericht die Sache auch so sieht – die Waffengeschichte ist recht eindeutig, die Rassendiskriminierung hingegen gar nicht –, blieb nach dem Prozess offen. Da es bis zu einer Urteilseröffnung Nacht geworden wäre, darauf verzichtet. Der Entscheid dürfte in den nächsten Tagen bekannt gegeben werden.
Äusserst gefährliche Seriefeuerwaffen
Bei den in Rüti sichergestellten drei Waffen handelt es sich allesamt um Modelle, die seit Jahrzehnten auf dem Markt sind. Also um weitverbreitete und bewährte Produkte, die auch in kriminellen Kreisen geschätzt werden. Das beim Neonazi gefundene Sturmgewehr und die Maschinenpistole sind Seriefeuerwaffen, mit denen Dauerfeuer abgegeben werden kann – ein Modus, mit dem sich innert kürzester Zeit ein verheerender Schaden anrichten lässt. Seriefeuerwaffen sind in der Regel Kriegswaffen und dürfen in der Schweiz von Zivilisten nicht verwendet werden. (ehi)