Luzerner Zeitung. Wegen der Rassismusdiskussion prüft Frisco den Namen seiner berühmten Wasserglace. Auch Emmi und Migros sind in der Kritik. Eine Professorin erläutert, warum auch das scheinbar harmlose Bild des Ureinwohners unter Druck gerät.
Die Black-Lives-Matter-Proteste führen bei Grosskonzernen zu einem Umdenken. Zahlreiche Firmen haben bekannt gegeben, dass sie ihre Marken im Hinblick auf rassistische Aspekte durchleuchten und teilweise ändern werden. Hierzulande entfachte sich eine hitzige Debatte über den Begriff Mohrenkopf, nachdem die Migros die Produkte mit dem rassistischen Namen aus dem Sortiment nahm.
Nun könnte es auch bei einem Schweizer Traditionsprodukt zu einer Änderung kommen. Es geht um die Wasserglace Winnetou des Herstellers Frisco. «Derzeit sind wir dabei zu prüfen, wie unsere Winnetou-Glace im heutigen Kontext wahrgenommen wird und ob eine Namensänderung angebracht ist», sagt die Sprecherin. Im Rahmen der derzeitigen Rassismusdebatte schaue man das Portfolio genau an, um nicht ungewollt Menschen verschiedenster Herkunft oder Hautfarbe abzuwerten. Noch sei kein Entscheid gefallen, da man nichts überstürzen wolle.»
Bis vor einigen Jahren war Frisco eine Tochterfirma von Nestlé. 2016 verlagerte Nestlé sein Eiscreme-Geschäft zusammen mit dem britischen Konzern R&R Ice Cream in das Joint Venture Froneri, das zu den grössten Glaceherstellern der Welt gehört.
Genozid an Bevölkerung wird ausgeblendet
Winnetou wurde 1980 auf dem Markt eingeführt und wird nach wie vor in der Fabrik in Goldach SG für den Schweizer Markt produziert. Die Froneri-Sprecherin bezeichnet die Glace als «einen unserer Klassiker», der jährlich 3 Millionen Mal verkauft wird und dieses Jahr seinen vierzigsten Geburtstag feiert. Der Name verdankt das Eis-am-Stil Karl Mays Erzählungen über den fiktiven Romanhelden Winnetou, einem Vertreter der Apachen, also von amerikanischen Ureinwohnern. «Winnetou wird als edler und guter Indianer beschrieben, der mit seinem weissen Blutsbruder Old Shatterhand für Gerechtigkeit und Frieden kämpft», sagt die Froneri-Sprecherin, wobei der Begriff Indianer schon länger als verpönt gilt. Zudem sei die Wahrnehmung im geschichtlichen Kontext nach wie vor sehr positiv.
Gerade da liege aber das Problem, meint Susan Arndt, Professorin für Anglistik und Kulturwissenschaften an der Universität Bayreuth. «Ich bin selber mit den Winnetou-Filmen aufgewachsen und habe sie geliebt, aber bei Mays Erzählungen handelt es sich um eine Romantisierung einer in Tat und Wahrheit gewaltsamen rassistischen Geschichte.» Winnetou werde als friedlicher Freiheitskämpfer dargestellt, der sich mit Old Shatterhand verbrüdert, sodass die weisse Leserschaft ihre Komfortzone nicht verlassen müsse. «Dass mit der Kolonialisierung von Nordamerika ein Genozid einherging, bei dem 80 bis 90 Prozent der ursprünglichen Bevölkerung ermordet wurden, wird komplett ausgeblendet.»
Emmi hält an Sioux fest
Der Luzerner Milchverarbeiter Emmi hat eine beinahe identische Glace im Verkauf mit dem Namen Sioux mit Federschmuck auf der Verpackung. Emmi sieht keinen Handlungsbedarf: «Da weder der Begriff Sioux noch die Illustrationen auf der Verpackung diskriminierend oder abwertend verwendet und wahrgenommen werden, planen wir keine Anpassungen.»
«Beide Produkte mögen auf den ersten Blick nicht rassistisch per se sein», sagt Arndt. Dennoch seien sie problematisch, da sie in einer rassistischen Denkweise stecken bleiben würden. In der Forschung ist die Rede der «kulturellen Aneignung», wenn stereotype Erzählungen über ehemals von Europa kolonisierte Kulturen für kapitalistische Zwecke benutzt werden. «Das ist bei der Winnetou- und Sioux-Glace der Fall», sagt Arndt. «Sie tragen dazu bei, dass die wahre Geschichte nicht adäquat wiedergegeben wird. Man arbeitet mit veralteten, verharmlosenden Klischees. Dabei leben die Sioux heute in New York.»
Nestlé durchforstet das gesamte Produktportfolio
Nestlé kündigte kürzlich in der «Schweiz am Wochenende» an, das vollständige Portfolio zu überprüfen, um Namen und Bilder dieser Art zu eliminieren. Dazu gehören 2000 Marken und 25’000 Produkte. Teilweise hat der Nahrungsmittelriese aus Vevey bereits reagiert. In Kolumbien nahm er sein Schokoladenprodukt Beso de Negra, zu Deutsch Negerinnenkuss, aus den Regalen. In Australien wird Nestlé seine Süssigkeiten namens Red Skins und Chicos umbenennen. Red Skins, zu Deutsch Rothäute, gilt als diskriminierender Begriff für Ureinwohner, Chicos für die lateinamerikanische Bevölkerung. «Diskriminierung und Rassismus haben bei uns keinen Platz», liess sich ein Sprecher zitieren. Allerdings ist die Kritik an den Begriffen nicht neu. Erst im Zuge der Proteste nach dem Mord an George Floyd haben Konzerne wie Nestlé reagiert.
Für Aufsehen sorgte die Absicht des US-Konzerns Mars, den Auftritt seiner bekannten Reis-Marke Uncle Ben’s zu ändern. Das Logo zeigt das Bild eines schwarzen älteren Mannes, der nach einem texanischen Reisbauern benannt ist.
Kritiker haben seit längerem darauf hingewiesen, dass das Gesicht eines Schwarzen für die Verkäufe einer weissen Firma genutzt wird. Zudem ist auf dem Bild noch immer ein weisser Kragen zu sehen, so wie ihn dereinst schwarze Bedienstete in den USA trugen. Und: Der Name Uncle gilt als belastet, da früher in den Südstaaten Schwarze nicht mit Mr. Oder Mrs., sondern mit Uncle (Onkel) und Aunt (Tante) angesprochen wurden. Entsprechend hat auch Pepsico angekündigt, die 130 Jahre alte Pfannkuchen-Marke Aunt Jemima zu überdenken.
«Konstruierte» Rassismusvorwürfe?
Während bei der Winnetou-Glace noch kein Entscheid gefällt wurde, hat der Glace-Konzern Froneri Änderungen bei der US-Eiscreme-Marke Eskimo Pie angekündigt. Die Migros verkauft hierzulande eine Alaska-Glace, auf deren Verpackungen ebenfalls indigene Menschen des nördlichen Polargebiets abgebildet sind. «Diese Glace in die Rassismusecke zu stellen, wirkt etwas gar konstruiert», sagt ein Migros-Sprecher. Die Mohrenköpfe der Firma Dubler seien hingegen von vielen Menschen in der Schweiz als diskriminierend empfunden worden, daher habe man sich entschieden, das Produkt aus dem Verkauf zu nehmen.
Für Kulturwissenschaftlerin Arndt greift dieses Argument zu kurz: «Das ist sehr national gedacht. Nur weil in der Schweiz möglicherweise wenige oder keine Inuit leben, heisst das nicht, dass die Darstellung mit roter und gelber Hautfarbe nicht problematisch ist.»