Berner Zeitung. Immer häufiger bieten Kulturhäuser Schutzräume für People of Colour an – auch in Bern. Bei manchen Gästen lösen diese Befremden aus. Warum eigentlich?
Der Hinweis ist klein, aber entscheidend: «Nur für BIPoC» steht da bei einer Veranstaltung auf der Website der Dampfzentrale. Gemeint sind «Black, Indigenous und People of Colour», also Menschen, die keine weisse Hautfarbe haben. Nur sie durften das Nachgespräch zur Tanzperformance der britischen Alleyne Sisters besuchen, die Ende Oktober im Rahmen des Festivals Tanz in Bern stattfand. Weisse mussten draussen bleiben.
Ein Umstand, der nicht überall gut ankam. Er habe «mit grosser Irritation» zur Kenntnis nehmen müssen, dass man ihn vom Anlass ausschliesse, schrieb etwa ein Leser dieser Zeitung an die Redaktion. Auch bei der Dampfzentrale seien einige kritische Reaktionen aus dem Publikum eingegangen, sagt Anneli Binder, Co-Geschäftsleiterin und künstlerische Leiterin Bühne in der Dampfzentrale. «Und das begrüssen wir auch. Als öffentliche Institution gehört es zu unseren Aufgaben, Räume für Kritik zu schaffen.»
Warum also schliesst man dort einen Teil der Bevölkerung von einem Nachgespräch aus? Anneli Binder formuliert es positiv: Indem man «einen Einschluss offeriere», nehme man Menschen ernst, die Diskriminierung erlebt hätten. «Safe Spaces», also Schutzräume, sind in den letzten Jahren an manchen Kulturinstitutionen entstanden – an Museen, Theatern oder in Konzertclubs. Manche Häuser verwenden dabei den leicht angepassten Begriff «Safer Space» – als Hinweis darauf, dass für die Anwesenden vollkommener Schutz nicht garantiert, aber zumindest angestrebt wird.
Während bei gewissen dieser Räume der Zutritt auf eine bestimmte Bevölkerungsgruppe beschränkt ist – etwa auf Angehörige einer bestimmten Geschlechtsidentität –, sind bei anderen alle Interessierten willkommen. Dann jedoch steht ein respektvoller Umgang im Zentrum. So ist das beispielsweise im Frauenraum der Berner Reitschule, der sich ebenfalls als Schutzraum versteht. Abgesehen von einzelnen Veranstaltungsreihen steht der Frauenraum grundsätzlich allen Geschlechtern offen. In ihrem Positionspapier halten die Verantwortlichen aber fest: «Wir verlangen von allen anwesenden Personen Verantwortungsübernahme und Achtsamkeit.»
«Sicherheit ist zentral»
Spielregeln festzulegen, die an einem Ort gelten sollen, ist das eine. Aber bringt es uns als Gesellschaft tatsächlich weiter, wenn wir einen Teil der Bevölkerung von Anlässen ausschliessen, die an öffentlichen Institutionen stattfinden? Die Frage geht an Estefania Cuero, die verschiedene Organisationen in der Frage berät, wie sie sich mit Diversität auseinandersetzen und diese fördern können. Für diesen Artikel ist ihr wichtig, dass ihre Antworten als ihre persönliche Sichtweise wahrgenommen werden und sie nicht etwa für eine Gruppe oder für alle Menschen mit Rassismuserfahrung spricht.
Estefania Cuero verweist zunächst einmal auf die Grundidee von Safer Space. Wo ein solcher geschaffen werde, anerkenne man, dass eine Diskriminierungserfahrung wie etwa Rassismus auch eine Gewalterfahrung sei. Eine Tatsache, die vielen Menschen nicht bewusst sei: «Wo es um Rassismus geht, gibt es häufig weniger Hemmungen, nach traumatisierenden Erlebnissen zu fragen, auch gern bis ins Detail. Und das, ohne eine Art von Faszination oder Neugier zu verstecken.» Bei anderen Gewaltformen würde man das nicht so machen.
In extremen Fällen käme es gar dazu, dass Erlebnisse mit Rassismus verharmlost oder der betroffenen Person abgesprochen würden. Ein Safer Space sei hier das Bekenntnis, dass es diese alltäglichen Erfahrungen gebe – auch Mikroaggressionen, die sich in beiläufigen Bemerkungen äusserten, aber in der Summe zu einem Trauma führen könnten. Es gehe also darum, einen Raum zu schaffen, in dem solche Erfahrungen möglichst reduziert würden, sagt Cuero.
In einem solchen Schutzraum müsse man die eigene Existenz für einmal nicht erklären. «Für People of Colour ist es nicht unüblich, sich rechtfertigen zu müssen. Das ist immer Teil unserer Erfahrung. Eine Person mit weissem Privileg kennt das gar nicht.» Deshalb stelle ein Safer Space einen Erholungsort dar, wo eine Verschnaufpause möglich sei und es um den gegenseitigen Austausch gehe. «Dabei ist der Sicherheitsaspekt zentral, nicht die Ausgrenzung anderer Personen.»
«Undemokratischer Akt»
Anders schätzt das Yeboaa Ofosu ein. Safer Spaces seien zwar antirassistisch gemeint, sagt die Kulturwissenschaftlerin, die unter anderem als Vorstandspräsidentin des Berner Schlachthaus-Theaters amtet. Man zementiere damit aber genau die Differenzen in einer Gesellschaft, denen man entgegenwirken wolle. «Es gibt natürlich Rassismus und Diskriminierung. Aber es geht doch darum, das Zusammenleben zu fördern. Da bringt es nichts, wenn sich eine Seite zurückzieht.» Im Gegenteil, so Ofosu: «Das ist ein undemokratischer Akt.»
Die Kritik, dass Schutzräume für People of Colour bestehende soziale Unterschiede nur verfestigen würden, statt sie zu beseitigen, bezeichnet Estefania Cuero als «nicht begründbaren Vorwurf». Denn: «Ungleichheit wird zementiert durch bestehende Gruppen, die nicht inklusiv gestaltet sind.» Cuero nennt eine Aufführung von «Pippi Langstrumpf» als Beispiel. Zwar sei diese für alle Kinder zugänglich und es werde niemand explizit ausgeschlossen. Indem man dort aber unter Umständen das N-Wort reproduziere, sei die Vorstellung für Kinder mit Rassismuserfahrung nicht sicher.
Estefania Cuero macht deutlich, dass die Welt bereits aus vielen Schutzräumen bestehe, über die sich selten jemand empöre. Wobei Cuero unterscheidet, ob eine Gemeinschaft mit der Absicht eines Zusammenschlusses oder eines Ausschlusses gebildet wird. Als Beispiele von «positiven Zusammenschlüssen» nennt sie etwa staatliche Religionsgemeinschaften oder Schwangerschaftskurse, die sich je an eine bestimmte Gruppe richten, ohne ausdrücklich jemanden auszugrenzen.
Nur: So klar ist diese Differenzierung nicht immer. Wo bestimmte Personen eine Gemeinschaft bilden, sind andere per definitionem ausgeschlossen. Die Frage ist vielmehr, wie man als aussenstehende Person die Absicht bewertet, mit der sich eine Gruppe gegen aussen verschliesst. So dürfte kaum ein Mann etwas gegen Schwangerschaftsyoga haben. Räume aber, die nur People of Colour offenstehen, scheinen auf manche Menschen irritierend zu wirken – obwohl dahinter doch auch die Idee eines «positiven Zusammenschlusses» steht.
Für Estefania Cuero hat diese Reaktion mit verinnerlichten Stereotypen zu tun. «Wenn sich gesellschaftliche Minderheiten organisieren, vermutet man, dass eine Gefahr von ihnen ausgehen könnte.» Dass Angehörige der weissen Mehrheitsgesellschaft bei einem Safer Space nicht immer erkennen könnten, «was da genau passiert», würde oft als scheinbar legitimer Grund dafür aufgeführt, um dagegen vorzugehen – auch aggressiv.
Kommt der Denkanstoss an?
So weit kam es beim Nachgespräch in der Dampfzentrale zwar nicht. Dass sich manche weisse Personen aber doch daran störten, nicht am Anlass teilnehmen zu dürfen, sagt für Anneli Binder etwas über deren Anspruch aus, generell überall Zugang zu haben. «Ist das einmal nicht so, werden wir hoffentlich unserer Privilegien bewusst.»
Fraglich ist nur, ob dieser Denkanstoss bei den Besucherinnen und Besuchern auch ankommt. Wer sich an einem öffentlichen Kulturhaus von einem Anlass ausgeschlossen fühlt, ist nicht unbedingt bereit, selbstkritisch seine Privilegien zu hinterfragen, sondern reagiert zuerst einmal mit Unverständnis und Ablehnung. Und das wiederum scheint nicht der beste Nährboden zu sein für einen Dialog, den es doch fürs Zusammenleben in einer pluralistischen Gesellschaft immer wieder braucht.
Vermittlung statt Verbotsschilder
Wie also eine Zutrittsbeschränkung für die Ausgeschlossenen verständlich machen? Auch wenn manchen Veranstalterinnen und Veranstaltern dafür die Geduld fehlen mag: Erklärende und vermittelnde Worte scheinen noch immer viel zu bewirken, wo es um Safer Spaces geht, insbesondere solche an Kulturhäusern.
So lässt etwa der Frauenraum der Reitschule bei der Veranstaltungsreihe «Wandelbar» nur Flint* zu – also Frauen, Lesben, inter, nicht binäre und trans Personen – und macht zugleich jenen, die sich dennoch ausgeschlossen fühlen sollten, ein Angebot zum Dialog. An «Cis-Männer» richtet das Organisationsteam zudem die Bitte, dem Anlass aus solidarischen Gründen fernzubleiben.
Dass sich trotzdem jemand darüber empört, nicht zugelassen zu sein, lässt sich nicht verhindern. Und doch liest man das Begleitschreiben zu dieser Veranstaltung als eine Botschaft, die über ein reines Verbotsschild hinaus reicht – und vielleicht deshalb auch eher verstanden wird.