Neue Zürcher Zeitung. Bei der Diskussion um Theatersubventionen kommt es im Zürcher Stadtparlament zu einem heftigen Schlagabtausch
Die Budgetdebatte im Zürcher Stadtparlament war am Mittwochnachmittag entlang der gewohnten politischen Linien und ohne besondere Vorkommnisse verlaufen. Dies änderte sich schlagartig, als es um Theatersubventionen ging. Die SVP wollte zwei Häusern die Subventionen streichen, dem Sogar-Theater und dem Tanzhaus, aus programmatischen Gründen. Angesichts gezeigter Aufführungen sei es nicht mehr opportun, die beiden Institutionen mit Staatsgeldern zu unterstützen.
Johann Widmer begründete für die Volkspartei, weshalb die rund 890 000 Franken Subventionen für das Tanzhaus gestrichen werden sollen. Es ging Widmer um die Drag Story Time, eine regelmässig stattfindende Vorlesestunde für Kinder ab drei Jahren, bei der Dragqueens und -kings auftreten. Die Veranstaltung wurde im Oktober von einer rechtsradikalen Gruppe gestört. Dies verurteilten damals sämtliche Fraktionen im Stadtparlament; einzig die SVP wandte sich nur generell gegen «Gewalt jeglicher Art».
«Eine Schraube locker»
Die SVP hält die Veranstaltung für fragwürdig. Gemeinderat Widmer legte diesen Standpunkt mit Worten dar, die für grosse Irritation im Saal sorgten. Widmer sagte, der Anlass sei «an der Grenze zur Pädophilie». Die Queer-Community nehme Kinder «gezielt ins Visier». Ein dreijähriges Kind könne mit so einer Vorführung nichts anfangen.
Der SP-Gemeinderat Alan David Sangines reagierte mit einer heftigen Replik. Zu Widmer sagte er: «Du hast eine Schraube locker, wenn du so eine Aussage machst.» Eine Wortwahl, die ihm später einen Rüffel von Parlamentspräsident Matthias Probst (Grüne) eintrug. Weiter sprach Sangines von einer «widerlichen Schande». Der vermeintliche Schutz der Kinder als Vorwand für homophobe Übergriffe habe weltweit System. Es sei «brandgefährlich», wenn die SVP solche rechtsradikalen Inhalte salonfähig mache.
Inhaltlich wandte Sangines ein, dass ein Streichungsantrag ohnehin keine Gesetzesgrundlage habe und dass der Anlass harmlos sei. Es gehe darum, dass Kinder «Vielfalt leben» und sich verkleiden könnten. «Niemand sagt dort einem Buben, er müsse sein Geschlecht wechseln.» Diesem Standpunkt folgten sämtliche Fraktionen mit Ausnahme der SVP. Der Streichungsantrag wurde mit 14 zu 107 Stimmen abgelehnt.
Im gleichen Verhältnis verworfen wurde der Antrag, dem Sogar-Theater 259 000 Franken Subventionen zu streichen, weil dort ein Stück aufgeführt wurde, das die SVP zum Inhalt hatte. Die SVP hatte Aussagen darin als antisemitisch beurteilt.
FDP-Gemeinderätin Cathrine Pauli sagte, sie verstehe den Ärger der SVP, das Sogar-Theater habe mit dem Stück sicher «überschossen». Als Bürgerliche habe sie «gelitten», als sie sich das Stück angesehen habe. «Aber ich bin überhaupt nicht einverstanden mit eurem Vorgehen.» Eine Budgetdebatte sei der völlig falsche Ort für solche Diskussionen. Stadtpräsidentin Corine Mauch (SP) sagte, sie unterstütze Paulis Votum «zu hundert Prozent»: Kunstfreiheit sei ein hoher Wert, und eine Strafaktion in einer Budgetdebatte rieche nach staatlicher Zensur.
Zum dritten Mal in Folge rot
Die Stadtzürcher Budgetdebatte hat am Mittwoch begonnen, sie dauert mindestens zwei Tage. Das Budget sieht gemäss dem Vorschlag des Stadtrats für 2023 ein Minus von 208,7 Millionen Franken vor. Es ist zum dritten Mal in Folge rot. Das Stadtparlament hat in der Vergangenheit die Ausgaben im Verlauf der Debatte jeweils noch erhöht. Der Aufwand der Stadt Zürich liegt bei mittlerweile 10,3 Milliarden Franken, womit die Grenze von zehn Milliarden Franken erstmals überschritten wurde.
Die rot-grünen Fraktionen im Stadtparlament haben grundsätzlich wenig überraschend kaum etwas gegen das Budget des rot-grün dominierten Stadtrats einzuwenden – die Bürgerlichen hingegen sehr wohl. Die Grünen lobten einmal mehr die «vorausschauende grüne Finanzpolitik», dank der Zürich sich Mehrausgaben leisten könne. Diese Mehrausgaben seien einerseits Folge des Wachstums, andererseits nötig, um den Klimawandel zu bekämpfen.
Die AL forderte gar noch mehr Ausgaben: Es brauche jetzt «social budgeting» und die 35-Stunden-Woche für städtische Angestellte. Die Stadt Zürich könne sich viel mehr leisten als andere Gemeinden, dank steigender «Gentrifizierungs-Dividende». Dies ist eine spöttische Beschreibung für den Umstand, dass die Grundstückgewinnsteuern sprudeln wie noch nie.
Die SP schliesslich warnte vor Plänen, die Steuern zu senken: Mittel würden der Stadt entzogen, die für den Klimaschutz, die Tagesschule und den Wohnbau dringend benötigt würden. Eine Mitte-rechts-Allianz inklusive GLP will den Steuerfuss von 119 auf 116 Prozent senken. Der Steuerfussentscheid fällt erst am Schluss der Debatte.
Die GLP hält die Steuersenkung alleine schon deshalb für problemlos umsetzbar, weil bereits heute klar sei, dass der Stadtrat das budgetierte Geld gar nicht werde ausgeben können – wie das schon in den Vorjahren der Fall gewesen sei. Die FDP wies in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die Stadtverwaltung per Ende November über 717 offene Stellen auswies und dass per 1. Januar 2023 375 neue Vollzeitstellen geschaffen werden sollen. Diese Stellen könnten gar nicht besetzt werden, so die Partei – mit entsprechendem Spareffekt.
«Reflexartiges» Ausgeben
Für die FDP dient die Steuersenkung der Ausgabendisziplin, zu der der Stadtrat offenbar gezwungen werden müsse. «Wenn jeder zusätzlich eingenommene Franken reflexartig ausgegeben wird, müssen die Einnahmen gekürzt werden», hielt die Fraktion in einer Erklärung fest. Die SVP kritisiert, im Budget werde die wirtschaftliche Entwicklung beschönigend dargestellt. Steigende Zinsen, Teuerung und Zustand der Wirtschaft würden zu wenig berücksichtigt, Zürich sei blauäugig unterwegs.
Ein finanziell gewichtiger Entscheid fiel am ersten Debattentag aus wie erwartet. Der Stadtrat möchte einen Wohnraumfonds von 100 Millionen Franken für Genossenschaften und städtische Wohnbaustiftungen äufnen. Dafür erhielt er mit rot-grüner Unterstützung inklusive GLP eine Mehrheit. Allerdings braucht es bei dieser Summe noch einen Volksentscheid – ob die Abstimmung schon im Jahr 2023 stattfinden wird, ist unsicher. Falls nicht, wird die Stadt den Betrag auch nicht ausgeben können.
Die Budgetdebatte wird am Freitag fortgesetzt.