Blick.ch. Zwei aktuelle Bücher zeigen auf, wie Schweizer Firmen nach dem Zweiten Weltkrieg von Nazis profitierten. Die betroffenen Firmen verschwiegen die dunkle Vergangenheit der Mitarbeiter.
Am 1. Mai 1945 löste der Bundesrat die Schweizer Landesgruppe der NSDAP auf und wies kurz darauf 300 Deutsche aus. Jahrelang war die Organisation unbehelligt geblieben. Doch jetzt, wenige Tage vor Kriegsende, wollte man mit Adolf Hitler und den Nazis nichts mehr zu tun haben.
Lange hielt das nicht. Schon bald stellten Firmen wie die Säurefabrik Schweizerhall oder die Holzverzuckerungs AG Experten der IG-Farben an, die im Krieg eng mit der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik verzahnt gewesen war. Und in Bern gab es Stimmen, die sagten, man solle nicht päpstlicher sein als der Papst. Die Amerikaner, Franzosen oder Engländer würden Hunderte von belasteten deutschen Fachleuten ins Land holen.
Ehemaliger SS-Agent arbeitete bei Bührle
Im Kalten Krieg schwanden die Vorbehalte gegen die früheren Nazis rasch dahin. Und so arbeiteten wenige Jahre nach 1945 der ehemalige SS-Agent Franz Mayr und der rechtsextreme Waffenhändler und Geheimbündler Waldemar Pabst wieder für den Zürcher Waffenfabrikanten Emil Bührle. Und der an Massenmorden in Polen beteiligte Rudolf Oebsger-Röder schrieb für die «Neue Zürcher Zeitung».
Wie es dazu kam, zeigt ausgerechnet ein neues Buch über die Geschichte des deutschen Bundesnachrichtendiensts (BND) und dessen Vorläufer, die Organisation Gehlen. In dem über 800-seitigen Werk «NS-Kontinuitäten im BND» weist der deutsche Historiker Gerhard Sälter minutiös nach, wie die Geheimdienstler von Anfang an systematisch Leute aus Hitlers Terrorapparat rekrutierten. «Die Leitung der Organisation Gehlen wollte genau diese Leute, also auch Gestapo, SS, SD, Einsatzgruppen», sagt Sälter. Die aktive Beteiligung an Gewalthandlungen galt nicht als Einstellungshindernis, sondern als Ausweis von Berufspraxis. Davon profitierten auch Schweizer Firmen.
Netzwerk rekrutierte immer weiter
Die alten Kameraden bildeten Netzwerke, die immer weitere Kameraden rekrutierten. Ein solches Netzwerk entstand direkt nach dem Krieg in Rom um Walther Rauff, eine der «Schlüsselfiguren des Holocaust» («Spiegel»). Rauff hatte 1941 die sogenannten Gaswagen entwickelt, mit denen die Nazis rund 500’000 Menschen ermordeten. Die Akteure um Rauff, von denen einige bereits der Organisation Gehlen angehörten, andere später dazukamen, organisierten die Flucht von Nazis über die «Rattenlinien» nach Südamerika und rekrutierten teils schwer belastete Offiziere der Wehrmacht und der Waffen-SS für Syrien, das nach der Niederlage der arabischen Staaten im Krieg gegen Israel von 1949 aufrüstete. Zudem mischten sie im Waffenhandel mit dem Nahen Osten mit.
Zu diesen Akteuren zählte Peter Studer-Mayr. Der SS-Untersturmführer, der während des Kriegs noch Franz Mayr hiess, war Mitglied der NSDAP und ab 1940 SD-Agent im heutigen Iran. Nach der Besetzung Irans durch Grossbritannien und die Sowjetunion wurde er 1943 vom britischen Geheimdienst verhaftet, später gelang ihm die Flucht, und er tauchte unter.
1948 war er fest angestellter Mitarbeiter der Organisation Gehlen und baute eine Zweigstelle der Firma Terramar auf, die gemäss dem US-Geheimdienst CIA eine Tarnfirma für die Rekrutierung der Syrien-Auswanderer und den Waffenhandel war. Zu seinen Kunden zählte die Zürcher Waffenfabrik Oerlikon-Bührle. Einige Transaktionen sind belegt, wie Gerhard Sälter schreibt: 1948 wandte sich eine ägyptische Firma an ihn, die Granaten und Munition produzieren wollte und dafür Maschinen benötigte. Im Herbst 1949 bestellte der ägyptische Militärattaché in Bern bei Studer-Mayr Granaten, Artilleriemunition und Raketen. Im August 1951 wurde er in Addis Abeba gesehen, wo der frühere SS-Mann gemeinsam mit einem Vertreter von Oerlikon-Bührle einen grossen Waffendeal mit der äthiopischen Regierung verhandelte. Im gleichen Jahr stieg er beim BND aus, weil sich die Geschäfte von Terramar als lukrativer erwiesen.
Ausweisung wurde aufgeschoben
Eine Aktennotiz des deutschen Geheimdiensts zeigt, dass sich 1951 auch Waldemar Pabst der Militärmission in Syrien anschliessen wollte, um «die von ihm vertretene Schweizer Waffenfabrik Oerlikon-Bührle ins Geschäft» zu bringen. Pabst, nach 1918 ein rechtsextremer Freikorpsführer und verantwortlich für die Ermordung der sozialistischen Politiker Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, lebte von 1943 bis 1955 in der Schweiz. Mit Waffenfabrikant und Kunstsammler Emil Bührle pflegte er geschäftliche wie private Beziehungen. Zu seinen Freunden zählten Oberstdivisionär und BGB-Nationalrat Eugen Bircher oder Fremdenpolizeichef Heinrich Rothmund. Nachdem das Vorleben von Waldemar Pabst bekannt geworden war, erklärte ihn Bundesrat Eduard von Steiger 1944 zur unerwünschten Person, doch gelang es ihm, mit Hilfe seiner Freunde, die Ausweisung immer wieder aufzuschieben.
Wie die Zürcher Historikerin Regula Bochsler in ihrem neuen Buch «Nylon und Napalm» aufzeigt, mischte der umtriebige Pabst nach dem Krieg auch bei Waffengeschäften der Patvag mit, die dem Gründer der heutigen Ems-Chemie von Magdalena Martullo-Blocher gehörte.
«Viele dieser Netzwerke und Aktivitäten während des Kriegs hat bereits Peter Hug in seinem Bergier-Teilbericht über die Schweizer Rüstungsindustrie beleuchtet», sagt der Historiker Jakob Tanner, emeritierter Professor an der Universität Zürich und Mitglied der Bergier-Kommission. Die BND-Studie würde jedoch den Blick auf die Nachkriegszeit ausweiten.
Tatsächlich. Nach den Kontroversen um den Erweiterungsbau des Kunsthauses Zürich und die dort ausgestellte Sammlung Bührle erschien 2021 ein im Auftrag von Stadt und Kanton Zürich erstellter Bericht über die Hintergründe der Kunstsammlung Emil Bührles und dessen Geschäfte. Die Aktivitäten von Studer-Mayr oder Pabst nach 1945 kommen darin nicht vor.
BND versetzte Mitarbeiter, um Skandal zu verhindern
In der Aussenorganisation Tegernsee, wo Studer-Mayr angestellt war, arbeitete auch ein Mann namens Rudolf (Rolf) Oebsger-Röder. Als Leiter des Einsatzkommandos 16a war er «direkt und in leitender Funktion an den Massenmorden» in Polen beteiligt, schreibt der Historiker Gerhard Sälter.
Der ehemalige SS-Oberststurmbannführer kam 1948 zur Organisation Gehlen. Weil der BND fürchtete, dass seine Vergangenheit publik werden und einen Skandal auslösen könnte, wurde Oebsger-Röder 1958 nach Indonesien geschickt, wo er bis 1966 für den BND arbeitete. Während seiner Zeit dort, so Sälter, unterstützte der BND die Putschisten um General Suharto, die nach 1965 unter ihren politischen Gegnern ein Massaker mit etwa 500’000 Toten anrichteten, mit Waffen, Technik und Ausbildung. Gut möglich, dass Oebsger-Röder diese Unterstützung koordiniert hat.
Ehemaliger SS-Mann arbeitete für die «NZZ»
1966 trennte sich der BND von ihm, nachdem Unterlagen aufgetaucht waren, die seine Beteiligung und ausdrückliche Befürwortung des Massenmords in Polen belegten. Fortan wirkte Oebsger-Röder gegen zwei Jahrzehnte lang als Indonesien-Korrespondent für Blätter wie die «Süddeutsche Zeitung», die «FAZ» und die «Neue Zürcher Zeitung», wie 2004 erstmals bekannt wurde. 1967 schrieb er in der «NZZ» über den indonesischen Präsidenten: «Was General Suharto bisher auf politischem Gebiet erreicht hat, verdankt er seiner behutsamen Methode der sanften Gewalt.» Bei 500’000 Toten eine recht eigenwillige Bewertung.
In der «NZZ» selbst war all das nie ein Thema. 2011 erschien ein Artikel über Walther Rauff, den Entwickler des Gaswagens. In einem Nebensatz erwähnt wird auch Rudolf Oebsger-Röder. Dass dieser «fanatische SS-Mann» ein jahrelanger Mitarbeiter der «NZZ» war – kein Wort.