Neue Zürcher Zeitung. Die Partei übernimmt die Forderung einer radikalen Gruppierung. Das ist gefährlich und heuchlerisch.
Kommentar. Giorgio Scherrer.
Stellen Sie sich vor, eine rechtsextreme Splittergruppe stört eine friedliche Vorlesestunde für Kinder, skandiert Parolen, zündet Leuchtfackeln an und versetzt Eltern in Angst.
Und stellen Sie sich dann vor, dass Vertreter der grössten Schweizer Partei kurz danach die Aktion verharmlosen – und eine zentrale Forderung der Rechtsextremen übernehmen.
Undenkbar? Das sollte, das müsste so sein.
Und doch ist genau das in der Stadt Zürich passiert. Gut zehn Tage ist es her, dass Mitglieder der Neonazi-Gruppierung Junge Tat beim Zürcher Tanzhaus aufmarschierten und dort eine Veranstaltung störten, bei der Dragqueens Kindergeschichten vorlesen. Zwei Rechtsextreme bekannten sich danach mit Namen und Gesicht zur Aktion und bemühten dabei homophobe Stereotypen. Ihre Forderung: Die Vorlesestunde dürfe nicht mehr stattfinden.
Sämtliche Zürcher Parteien taten daraufhin das einzig Richtige. Sämtliche Zürcher Parteien – ausser der SVP.
Von den Linksalternativen bis zur FDP verurteilten sie die Aktion scharf und solidarisierten sich mit den Betroffenen. Sie verlasen im Stadtparlament eine gemeinsame Erklärung und zeigten sich besorgt, dass Rechtsextreme sich getrauen, unverhüllt zu ihrer Ideologie zu stehen.
Kurz: Sie standen zusammen – gemeinsam gegen Extremismus.
SVP übernimmt Extremisten-Forderung
Und was tat die SVP? Sie schickte ihren Fraktionschef Samuel Balsiger in die Arena. Und der machte – anscheinend von allen guten Geistern verlassen – Opfer zu Tätern und seine Partei zur Erfüllungsgehilfin für die Forderungen der Rechtsextremen.
Die Entgleisung von Balsiger und seiner Partei kam kurz nachdem die SVP halbherzig «jede Gewalt und Einschüchterung» verurteilt hatte, ohne den Begriff «Rechtsextremismus» auch nur zu erwähnen. Und kurz nachdem sie die Reaktion der linken Parteien auf den Vorfall stärker kritisiert hatte als den Aufmarsch der Neonazis selbst.
In einem Atemzug, im Votum zum selben Thema, kündigte Balsiger nämlich einen Vorstoss seiner Partei an, der inhaltlich exakt der zentralen Forderung der Jungen Tat entspricht.
Die SVP will, so heisst es im Vorstoss, dass die Stadt darauf hinwirkt, dass die Dragqueen-Vorlesestunde im Tanzhaus «sofort abgesetzt werden kann».
Oder, in anderen Worten: Eine Partei, die angeblich Freiheit zu ihren Grundwerten zählt, will eine Veranstaltung verbieten lassen, nur weil ihr nicht passt, wer dort auftritt. Ein anonymer Exponent der Jungen Tat schrieb daraufhin auf Twitter: «Wir begrüssen dies! Aktivismus wirkt!»
Doch was Rechtsextreme in Zürich tun, ist kein harmloser Aktivismus. Und Einfluss auf demokratische Parteien darf es – wie Extremismus jeglicher Couleur – erst recht nicht haben.
Extremismus auf dem Vormarsch
Dass die Zürcher SVP sich zur Erfüllungsgehilfin einer rechtsextremen Gruppe macht, lässt tief blicken. Vor allem wenn man sich die Statements der Partei bei Aktionen der linksautonomen Szene vor Augen führt. Dort wird gewaltbereiter Extremismus jeweils klar politisch verortet und richtigerweise verurteilt.
Wo sind diese deutlichen Ansagen jetzt, wo es die Extremisten zu ihrer Rechten betrifft? Extremisten, in deren Umfeld es notabene bereits mehrfach zu ähnlichen Störaktionen gegen queere oder jüdische Gruppierungen kam. Und wo die Polizei schon Razzien durchführte und Waffen beschlagnahmte.
Rechtsextreme Gruppen werden in der Schweiz aktiver, suchen vermehrt die Öffentlichkeit, und auch das Risiko gewaltsamer Auseinandersetzungen steigt. Das stellt neben Experten auch der jüngste Lagebericht des Nachrichtendiensts des Bundes fest. Manche von ihnen geben sich dabei gezielt harmlos, versuchen mit Parolen wie «Familie statt Gender-Ideologie», an Positionen im Mainstream anzuknüpfen. In der Hoffnung, so ihre Weltsicht besser verkaufen zu können. Eine Weltsicht, in der Menschen wegen ihrer Hautfarbe, ihrer Religion oder ihrer sexuellen Orientierung als minderwertig gelten.
Diese Strategie darf nicht gelingen.
Man darf und soll über das Programm eines Kulturhauses wie dem Tanzhaus diskutieren. Doch wenn man dabei Menschen als minderwertig betrachtet, nur weil sie sich anders kleiden, anders denken, anders lieben als man selbst, dann tut diese Kritik nur eines: Sie spielt Rechtsextremen in die Hände.
Und die haben in der Zürcher Politik nichts verloren.