Die Wochenzeitung. Recherchen der WOZ und der «Rundschau» zeigen: Ein umtriebiger Walliser Textilunternehmer pflegt enge Kontakte zur internationalen militanten Neonaziszene.
Der Oberwalliser Silvan Gex-Collet führt zwei Leben: ein brav-bürgerliches rund um die Kleinstadt Brig-Glis – und ein abgründiges, dessen Spuren tief in die militante internationale Neonaziszene führen. Das zeigt eine gemeinsame Recherche der WOZ und der SRF-«Rundschau». Gestützt auf Gerichtsunterlagen, antifaschistische Recherchearbeit, Medienberichte und Social-Media-Posts lässt sich die «Karriere» von Gex-Collet im braunen Sumpf gut nachzeichnen.
In Brig ist Gex-Collet als umtriebiger, gut vernetzter Gewerbler bekannt. Er betreibt in der Industriezone ein erfolgreiches Geschäft für Textilhandel und -druck namens GexTex, das lokale Sportvereine ausstattet und im «Walliser Boten» Inserate platziert. Hinzu kommen ein kleines Bauunternehmen, das Tattoostudio Nordic Thunder und seit diesem Frühjahr auch ein «Büro für Kommunikationsdesign», das Werbefilme produziert, etwa für ein Briger Restaurant. Zudem ist der 42-Jährige Schatzmeister im örtlichen Ableger von Business Network International (BNI), über das sich lokale Unternehmer:innen gegenseitig Aufträge vermitteln.
350 000 Euro für die Neonaziszene
Die militante «Karriere» von Gex-Collet beginnt mit einem Paukenschlag. Im September 2005 organisiert er in der damaligen Disco Crazy Palace (heute ein Kinder-Indoor-Spielplatz) in Gamsen bei Brig einen Gedenkanlass für Ian Stuart Donaldson, den Gründer der Neonaziorganisation Blood and Honour mit. Während der Konzerte – auch Gex-Collet tritt mit seiner Band Hellvetica auf – werden die rund 400 Besucher:innen mehrfach zu Sieg-Heil-Rufen und Hitlergrüssen animiert, eine Band spielt gar das antisemitische Lied «Blut muss fliessen». 2009 stellt das Bezirksgericht Brig fest, dass Gex-Collet selber Mitglied von Blood and Honour Oberwallis sei, und verurteilt ihn für die Organisation der Veranstaltung zu einer bedingten Haftstrafe wegen «Verstosses gegen die Antirassismusstrafnorm».
Ein Jahrzehnt später ist Gex-Collet an einem noch grösseren Anlass beteiligt: Im Oktober 2016 reisen weit über 5000 Neonazis aus ganz Europa nach Unterwasser im Toggenburg zum «Rocktoberfest» (siehe WOZ Nr. 42/2016 ). Geleakte Videos des Konzerts belegen, wie Tausende die Hände zum Hitlergruss recken. Gemäss vertraulichen Unterlagen deutscher Sicherheitsbehörden, die die WOZ einsehen konnte, ist es «eines der grössten rechtsextremen Konzerte der letzten Jahre in Europa» mit Gesamteinnahmen von rund 350 000 Euro.
Die Schweizer Behörden hatten im Vorfeld nichts vom Anlass in Unterwasser mitbekommen und waren am Abend selbst völlig unterbesetzt. Als die Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus (GRA) eine Strafanzeige wegen «Rassendiskriminierung» gegen unbekannt einreichte, mochte die St. Galler Staatsanwaltschaft «mangels Anhaltspunkten» keine Strafuntersuchung eröffnen. Der WOZ liegt der – dürftige – Polizeieinsatzbericht über den damaligen Anlass vor. Protokolliert ist etwa eine rot-weisse Blood-and-Honour-Flagge im Verkaufsbereich, und auch der Bühnenverantwortliche sei ausfindig gemacht worden: Silvan Gex-Collet. Die im Raum stehende Frage, ob er nicht nur als Bühnenverantwortlicher, sondern auch als Textilhändler am «Rocktoberfest» beteiligt war, bleibt unbeantwortet.
Katharina König-Preuss sitzt seit 2009 für die Linkspartei im Landtag des ostdeutschen Bundeslands Thüringen und hat mehrere parlamentarische Untersuchungsausschüsse über die rechtsradikale Terrorzelle Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) prägend begleitet. Sie gilt als profunde Kennerin der «Kameradschaftsszene». Die Rolle des Wallisers beim «Rocktoberfest» lässt in ihren Augen nur einen Rückschluss zu: «Gex-Collet muss in Strukturen wie Blood and Honour verankert und eingebunden sein.»
Das in Unterwasser eingenommene Geld sei erwiesenermassen in die Hände militanter Neonazistrukturen gelangt. «Und gerade angesichts der beteiligten Organisationen kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Geld auch in Waffenkäufe geflossen ist», so König-Preuss. Zuletzt aktiv in der Neonaziszene unterwegs war Silvan Gex-Collet gemäss der Innerschweizer Plattform «Zentralplus» übrigens im Juli 2021 an einem Aufmarsch im luzernischen Sempach. Auf Anfragen reagierte er nicht – und bei der Konfrontation in seinem Textilgeschäft sagte er nur: «Verschwinden Sie!»
Zu Besuch beim Familienfreund
Hinweise auf das zweite Leben des umtriebigen Unternehmers gibt derweil auch der Briefkasten seines Hauses am Berghang, auf dem der auffällige Name Nordulf H. steht. Wer dieser Spur folgt, landet am Landgericht Mühlhausen in Thüringen, wo derzeit ein landesweit beachteter Prozess stattfindet. Zwei junge Männer sind wegen Sachbeschädigung, gefährlicher Körperverletzung und schweren Raubs angeklagt. Der Vorwurf: Sie sollen im April 2018 zwei Journalisten verfolgt und anschliessend mit einem Baseballschläger, einem Schraubenschlüssel und einem Messer attackiert und schwer verletzt haben. Einer der beiden Angeklagten ist der erwähnte Nordulf H.
Die Journalisten waren damals zu einem Gutshaus im thüringischen Fretterode gefahren, um ein Neonazitreffen zu dokumentieren. Besitzer des Gutshauses ist wiederum Thorsten Heise, «einer der einflussreichsten Neonazis in Deutschland» («Süddeutsche Zeitung»). Er ist der Vater von Nordulf und ein guter Freund von Gex-Gollet. Die beiden haben sich schon öfter gegenseitig besucht; auf Instagram posieren sie gemeinsam vor dem Matterhorn. Und im Juli 2018 war der Oberwalliser zu Gast am Neonazifestival «Schild und Schwert» im sächsischen Ostritz, das Heise organisiert.
Heises Sohn tauchte nach dem Überfall für fast drei Jahre ins Oberwallis ab. Dort konnte er bei Familienfreund Gex-Collet wohnen und im nahen Visp eine Lehre als Heizungsinstallateur absolvieren (siehe WOZ Nr. 22/2019 ). Der Anwalt von Nordulf H., der diesen im Prozess als Opfer darzustellen versucht, sagt dazu: «In der Schweiz erhoffte sich Nordulf, in Freiheit und Ruhe seine Ausbildung machen zu können.»
Katharina König-Preuss hat den bisherigen Prozessverlauf genau verfolgt. Einen Punkt hebt sie hervor: «Insbesondere dank der Nebenklage und der Aufklärungsarbeit von antifaschistischen Strukturen wie ‹NSU-Watch› oder dem Blog ‹Tatort Fretterode› kann die Öffentlichkeit die hemmungslose, den Tod in Kauf nehmende Gewalt von militanten Neonazis als konstitutiven Teil ihrer Ideologie nachvollziehen.»
Das Urteil im «Fretterode-Prozess» hätte eigentlich diese Woche gefällt werden sollen – doch die Nebenklage hat kürzlich einen neuen, umfassenden Beweisantrag gestellt. Dieser zeichnet nach, dass die beiden Angeklagten eng mit militanten Kameradschaftsstrukturen verbunden waren und noch immer sind: Nordulf H. besuchte etwa 2019 mit zwei Bekannten aus dem Oberwallis das Nazifestival «Eichsfeldtag» in seiner thüringischen Heimat. Das Urteil wird nun für Juli erwartet.
Gefährliches Wegschauen
Zurück im Wallis. Am Erscheinungstag dieser WOZ hätte Silvan Gex-Collet in einem Lokal am Briger Stadtrand beim BNI-Ableger eine öffentliche Präsentation zum Thema «Bekleidung» halten sollen. Doch dazu kam es letztlich nicht: Nachdem die WOZ und die «Rundschau» das Unternehmer:innennetzwerk mit den Recherchen zu Gex-Collets Verbindungen in die internationale Neonaziszene konfrontierte, suspendierte ihn die nationale Direktion kurzerhand.
In Brig nimmt ein linker Lokalpolitiker, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will, den Rausschmiss erfreut zur Kenntnis: «Es ist fatal, wenn eine Figur wie Silvan Gex-Collet sich in der Mitte der Gesellschaft bewegen kann, obschon bekannt ist, in welchen Kreisen er unterwegs ist – und welch rassistische, menschenverachtende Ideologien dort gepflegt werden», sagt der Politiker, der den Weg des Textilunternehmers seit Anfang der nuller Jahre verfolgt.
Die Linke alleine sei leider zu schwach, um wirklich Druck aufzubauen. Umso wichtiger seien Schritte wie die nun erfolgte Suspendierung. «Das Oberwallis ist nun mal ein ‹ruhiges Hinterland›, wo bisher lieber nicht so genau hingeschaut wurde.» Das sei gefährlich, gerade weil Gex-Collet, eine gewisse Anziehungskraft auf die lokale Szene ausübe, die er auf insgesamt zwanzig bis dreissig Personen schätze. «Vor allem bei den Jüngeren galt er bisher als Vorbild.»