Watson. Die problematische Bewegung Anastasia, die Verbindungen zu den staatsfeindlichen Reichsbürgern pflegt, erhielt in den Kantonen Zürich und St.Gallen eine Bewilligung für Privatschulen.
Die Corona-Pandemie hat unsere Gesellschaft aufgewühlt und gespalten. Die Impfskeptiker und Coronaleugner radikalisierten sich in einer Weise, die für die Schweiz neu war. Nicht nur viele Querdenker, Verschwörungstheoretiker, Esoteriker und Anhänger der Alternativmedizin beschwörten den Untergang der Demokratie herauf, sogar die Meinungsträger der SVP sprachen von der Schweiz als Diktatur.
Im Fahrwasser dieser unheiligen Allianz segelten auch die rechtsradikalen und völkischen Bewegungen Anastasia und die Reichsbürger, die den Staat rundweg ablehnen und ihm das Existenzrecht absprechen. Sie mischten die Szene auf und fanden bei den Massnahmengegnern Verbündete und Sympathisanten.
Angst vor erneuter Maskenpflicht
Nun ernten die Aufwiegler – die Reichsbürger schrecken in ihrem politischen Kampf auch vor Gewalttaten nicht zurück – in der Nachdemo-Zeit die Früchte ihrer Mission: Sie sind heute so gut vernetzt, dass sie Privatschulen gründen können.
Schliesslich haben viele Coronaskeptiker und Querdenker Angst, dass im Herbst wieder die Maskenpflicht in den Schulen eingeführt wird, die angeblich die geistige Entwicklung und die Gesundheit der Kinder gefährdet.
In Uznach SG erhielt die Anastasia-Bewegung, die gute Kontakte zu den Reichsbürgern pflegt, die Bewilligung für eine Privatschule, wie die Wochenzeitung WOZ berichtet. Sie wird bereits von ein paar Dutzend Kindern besucht. Und in Rikon ZH betreibt der Verein Campus Vivere seit Beginn des neuen Schuljahrs eine Privatschule auf Primar- und Sekundarstufe. Wie ich in einem früheren Blog berichtete, wollen auch die coronaskeptischen Bewegungen Urig und Graswurzle eigene Schulen gründen.
Wie kommt es zur Bewilligung?
Der Skandal liegt aber nicht darin, dass diese radikalen, gesellschaftsfeindlichen Gruppierungen eigene Schulen betreiben wollen, unbegreiflich ist vielmehr, dass die kantonalen Schuldepartemente dafür eine Bewilligung erteilen. Denn dies sind letztlich Bewilligungen zur Indoktrinierung von Kindern mit gefährlichem Gedankengut.
Ein Vergleich: In der Schweiz werden zu Recht viele Massnahmen ergriffen, um die Radikalisierung von jungen Muslimen in Moscheen oder islamistischen Gruppierungen zu verhindern, doch wenn rechte staatsfeindliche Bewegungen eigene Schulen gründen, bekommen sie den Segen des Staates.
Die St.Galler Behörden gaben der WOZ zu Protokoll, aus dem Schulkonzept sei keine Verbindung zu Anastasia hervorgegangen. Ausserdem hätten die Gesuchsteller einen religiösen oder ideologischen Hintergrund verneint.
Da kann man nur fragen: Wie naiv dürfen Beamte eines Schuldepartementes sein?
Bei dieser fahrlässigen Toleranz muss man sich nicht wundern, dass die Schweiz ein ideales Biotop für Sekten ist.
Eine kurze Internetrecherche hätte gereicht, um die Behauptung der Gesuchsteller zu entlarven. In Flyern bekennt sich die neue Schule offen zu der von der Anastasia-Sekte propagierten Schetinin-Pädagogik. Und diese ist definitiv inkompatibel mit den Grundwerten unserer Volksschule.
Die St.Galler können sich höchstens damit trösten, dass auch ihre Zürcher Kollegen ähnlich blauäugig waren.
Diese Beispiele zeigen einmal mehr, dass die Schweiz ein gutes Pflaster für Sekten ist. Scientology zum Beispiel betreibt schon seit Jahrzehnten Privatschulen, die die Kinder nach den kruden pädagogischen Ideen des Sektengründers Ron Hubbard unterrichten.
Bewilligung für Informationsstände auf öffentlichen Plätzen
Sie erhalten auch in vielen Städten jährlich unzählige Bewilligungen, um auf öffentlichen Plätzen Informationsstände zu betreiben und neue Mitglieder anzuwerben. Und auf Bahnhöfen dürfen sie Plakate aufhängen.
Die scientologischen «Geistlichen» werden sogar vom Militärdienst befreit. Die Hubbard-Kolonnen interpretieren dieses Privileg als offizielle Anerkennung.
Die Sekte wörtlich:
«Bereits seit 1989 haben hauptamtliche Seelsorger der Scientology Kirche in der Schweiz die Möglichkeit, die Befreiung vom Militärdienst zu beantragen. Die Geistlichen der Scientology Kirche sind damit den Seelsorgern aller anderen anerkannten Religionen in der Schweiz gleichgestellt und haben diese Möglichkeit auch immer wieder wahrgenommen.
Bundesrat war nicht bereit, Forderungen umzusetzen
Es kommt noch schlimmer. Als Mitte der 1990er-Jahre das Sektenmassaker der Sonnentempler 74 Todesopfer forderte, beschäftigte sich die Geschäftsprüfungskommission des Nationalrats zwei Jahre lang mit dem Sektenproblem. Resultat: Ein 150-seitiger Bericht mit einem langen Forderungskatalog zuhanden des Bundesrates. Dieser setzte aber nicht eine dieser Forderungen um und schob den schwarzen Peter an die Kantone weiter.
Bei dieser fahrlässigen Toleranz muss man sich nicht wundern, dass die Schweiz ein ideales Biotop für Sekten ist. Bei uns tummeln sich rund 1000 problematische Bewegungen und Gruppierungen. Gemessen an der Bevölkerungszahl sind wir wohl weltweit einsame Spitze.