Neue Zürcher Zeitung. Die Neonazi-Band Mordkommando drohte Schweizer Juden, Politikern und Prominenten auf Youtube mit Folter und Mord. Doch die Zürcher Strafverfolger sind machtlos. Die amerikanischen Behörden verweigern ihnen die entscheidenden Informationen.
Harte Schlagzeugschläge, brutale Metal-Riffs. So kommen die Songs der Neonazi-Band Mordkommando daher. Um ein Vielfaches grausamer aber sind die Texte dieser Songs. Sie sind gespickt mit primitiven Folter- und Mordphantasien und hasserfüllten, antisemitischen Parolen. Auf dem Album «Schwarze Liste» hat die Band 2014 acht Lieder veröffentlicht. In einigen der Songs hetzen die Rechtsextremen gegen Juden («Bomben auf Wiedikon») und Vertreter von Verbänden (Herbert Winter). In andern werden Schweizer Politikerinnen und Prominente zur Zielscheibe, unter ihnen die Zürcher Stadtpräsidentin Corine Mauch, der Musiker Michael von der Heide und der Talkmaster Kurt Aeschbacher. «Du fühlst dich sicher, doch du bist längst im Visier», brüllt der Sänger in einem der Lieder.
Blanker Hass – zugänglich für alle
Das Album mit der Kalaschnikow auf dem schwarzen Cover ist nicht nur innerhalb der rechtsextremen Szene verbreitet worden. Vielmehr wurden zwei der Lieder auch auf die Videoplattform Youtube hochgeladen – blanker brauner Hass, zugänglich für alle. Die Band selbst blieb jedoch ein Phantom: Es sind keine Auftritte öffentlich geworden, die Mitglieder bleiben anonym. Es finden sich zwar einige Hinweise darauf, wer hinter dem Projekt Mordkommando stecken könnte. So werden von Szenekennern etwa Bezüge zum Sänger der rechtsextremen Schweizer Gruppe Amok aus dem Zürcher Oberland hergestellt. Doch Beweise fehlen.
Nach dem Upload auf Youtube im November 2016 erstatteten der Schweizerische Israelitische Gemeindebund und mehrere weitere Betroffene Anzeige gegen Unbekannt. Der Vorwurf: Drohung und Rassendiskriminierung. Angesichts der Zeilen in den Songtexten schien der Fall eindeutig. Doch nun, rund zwei Jahre später, wird klar: Die Bandmitglieder von Mordkommando werden für ihre primitiven Phrasen nicht zur Rechenschaft gezogen. Die Zürcher Staatsanwaltschaft stellte die Untersuchung gegen Unbekannt am 10. Dezember 2018 ein, wie das Nachrichtenportal «Watson» meldete.
Gescheitert sind die Ermittler aber nicht am hiesigen Gesetz, sondern an den amerikanischen Behörden. Dies geht aus der inzwischen rechtskräftig gewordenen Einstellungsverfügung hervor, in welche die NZZ Einsicht hatte. Denn um herauszufinden, wer die Lieder auf Youtube hochgeladen hatte, musste die Staatsanwaltschaft via Bundesamt für Justiz ein internationales Rechtshilfeersuchen an das amerikanische Department of Justice stellen. Über ein halbes Jahr verging, bis die US-Behörde antwortete – mit einem ablehnenden Entscheid. Die Begründung: Die Texte seien durch das verfassungsmässige Recht auf Redefreiheit – «freedom of speech» genannt – als geschützt zu betrachten. Zudem gehe aus dem Ersuchen der Schweizer Strafverfolgungsbehörden nicht hervor, ob eine konkrete Gefahr für die in den Texten erwähnten Personen bestehe.
Das heisst, wenn die Band namentlich bezeichnete Personen in den Songs mit dem Tod bedroht, sie mit Stiefeltritten traktieren will, wenn die Gruppe über Foltergelüste und Hass grölt, dann fällt das laut dem amerikanischen Justizministerium unter Redefreiheit. Wenn ein Neonazi-Sänger schreit: «Synagogen sollen brennen wie einst in besten Tagen» und nachdoppelt: «Schweizer Bürger an die Waffen, die Schweine sollen bezahlen», dann ist das nicht verboten, sondern «freedom of speech».
Kritik an US-Behörde
Die Zürcher Staatsanwaltschaft wollte im Sommer 2017 nach dem negativen Entscheid aus den USA die Untersuchung einstellen. Für sie war klar, dass eine Identifikation der Täter ohne die IP-Daten der hochgeladenen Videos aussichtslos ist. Doch der Israelitische Gemeindebund wollte das nicht auf sich sitzen lassen. Er konfrontierte Youtube direkt.
«Hätten die US-Behörden unserem Ersuchen entsprochen, hätten die Chancen gut gestanden, die Täter zu identifizieren.»
Tatsächlich erhielt der jüdische Verband vom Konzern Google, zu dem Youtube gehört, die Zusicherung, dass die geforderten Daten freiwillig herausgegeben würden. Mit einer Einschränkung: Es sei nicht möglich, die IP-Adresse direkt den Schweizer Ermittlern zu übergeben. Dazu brauche man erst ein formelles Ersuchen einer amerikanischen Behörde – obwohl dies laut einem Übereinkommen verschiedener Staaten gegen Cyberkriminalität gar nicht nötig wäre.
Und so kam es, dass auch der erneute Weg über das amerikanische Justizministerium zum Scheitern verurteilt war. Eine freiwillige Herausgabe der Daten sei nur in Notfällen zulässig, liess die Justizbehörde verlauten. Und sowieso, die Redefreiheit überwiege hier. Der Zürcher Staatsanwaltschaft blieb schliesslich nichts anderes übrig, als das Verfahren einzustellen.
Der Israelitische Gemeindebund bedauert dies. «Es ist sehr unbefriedigend, dass in diesem Fall niemand zur Rechenschaft gezogen werden kann», sagt Generalsekretär Jonathan Kreutner. Die Mordkommando-Texte seien ein besonders abstossendes Beispiel für antisemitischen und homophoben Hass. Mehr noch: «Es ist ein sehr direkter Mordaufruf gegen mehrere Personen.» Entsprechend schwer sei der Entscheid der amerikanischen Behörden nachvollziehbar. Der Zürcher Staatsanwaltschaft könne man hingegen keinen Vorwurf machen. Diese habe alles unternommen, um an die Daten zu kommen.
Die Verfahrenseinstellung ärgert auch Stephan Walder. Der stellvertretende Leitende Staatsanwalt der Staatsanwaltschaft II und Leiter der Abteilung Cybercrime bei der Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich sagt: «Dass die krassen Aussagen von den US-Behörden für mit der Redefreiheit vereinbar gehalten werden, ist nicht nachvollziehbar.» Und er fügt an: «Hätten die US-Behörden unserem Ersuchen entsprochen, hätten die Chancen gut gestanden, die Täter zu identifizieren.» Mit anderen Ländern gibt es laut Walder in dieser Hinsicht viel weniger Probleme. Stossend sei zudem, dass Plattformen wie Google oder Facebook selbst entscheiden würden, welche Inhalte sie den Strafverfolgungsbehörden freiwillig lieferten.
«Auch wenn wir mit Google grundsätzlich gute Erfahrungen machen, besteht in diesem Bereich doch dringender Handlungsbedarf.»
Walder hofft, in künftigen Fällen nicht mehr über die Rechtshilfe gehen zu müssen. Seit März 2018 ist das geänderte Bundesgesetz über die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs in Kraft, und im März 2019 läuft die Übergangsfrist ab. Danach müssen alle Anbieter von sogenannter abgeleiteter Kommunikation ihre Randdaten speichern. Dazu könnte man auch Anbieter wie Google oder Facebook mit ihrem Sitz in der Schweiz zählen. Walder erklärt: «Meiner Ansicht nach sind die Unternehmen verpflichtet, Randdaten zu speichern und sie den schweizerischen Strafverfolgungsbehörden zur Verfügung zu stellen.» Der Staatsanwalt erhofft sich dazu möglichst bald eine gerichtliche Beurteilung.
«Dringender Handlungsbedarf»
Generell stellt der Israelitische Gemeindebund auf Plattformen wie Facebook und Twitter eine steigende Zahl von antisemitischen Hassbotschaften fest. Bei gravierenden Ausfällen erstattet der Verband Anzeige. Es handle sich um ein Grundproblem von Social Media, sagt Generalsekretär Jonathan Kreutner. «Auch wenn wir mit Google grundsätzlich gute Erfahrungen machen, besteht in diesem Bereich doch dringender Handlungsbedarf.»
Google Schweiz will sich zum Fall nur allgemein äussern. Man gebe Strafverfolgungsbehörden alle relevanten Daten bekannt, wenn der Rechtsweg eingehalten worden sei, heisst es in einer Stellungnahme. In den Nutzungsbedingungen seien alle Inhalte untersagt, die Hassbotschaften gegen bestimmte Gruppen, Volksverhetzung, Gewaltverherrlichung, Pornografie oder andere unzulässige Inhalte aufwiesen. Die amerikanische Botschaft in Bern will Entscheide des Justizministeriums nicht kommentieren.
Den Betroffenen des Albums «Schwarze Liste» bleibt nun nur noch eine kleine Hoffnung. Was zu ihr Anlass gibt, ist ganz am Ende der Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft zu lesen: Sollten sich neue Hinweise ergeben, heisst es dort, würde die Untersuchung neu aufgenommen. Es ist ein geringer Trost.