Neue Zürcher Zeitung. Der Rechtsextreme muss wegen Rassendiskriminierung ins Gefängnis. Auf die Spur brachte die Ermittler ein Handy.
Die Songtexte der Neonazi-Band Mordkommando strotzen vor Hass, sie sind an Radikalität und Abscheulichkeit kaum zu überbieten. Der Leadsänger hetzt dabei gegen homosexuelle Prominente wie Michael von der Heide oder Kurt Aeschbacher genauso wie gegen die Zürcher Stadtpräsidentin Corine Mauch oder Juden («Bomben auf Wiedikon»).
In den Liedzeilen beschreibt der Sänger explizit, wie er die Betroffenen umbringen will. «Mordgedanken vernebeln den Verstand», heisst es etwa im Lied über Corine Mauch. Primitive Folter- und Tötungsgelüste, hasserfüllte, antisemitische Parolen – begleitet von harten Metal-Riffs. «Du fühlst dich sicher, doch du bist längst im Visier», brüllt der Sänger in einem der Lieder.
Das 2014 veröffentlichte Album, Kalaschnikow auf schwarzem Cover, ist nicht nur innerhalb der rechtsextremen Szene verbreitet worden. Zwei der Lieder wurden auch auf die Videoplattform Youtube hochgeladen – blanker brauner Hass, zugänglich für alle. Die Band selbst blieb jedoch ein Phantom: Es sind keine Auftritte öffentlich geworden, die Mitglieder blieben anonym.
Eine Strafanzeige gegen die Band blieb deshalb folgenlos. Die Zürcher Staatsanwaltschaft stellte das Verfahren Ende 2018 ein. Es fanden sich zwar einige Hinweise darauf, wer hinter dem Projekt Mordkommando stecken könnte. Doch beweisen liess es sich nicht.
Bis jetzt. Bei einer Einvernahme der Staatsanwaltschaft hat Kevin G. zugegeben, Mitglied und Leadsänger der Neonazi-Band zu sein. Der Zürcher G. ist nicht nur innerhalb des Schweizer Rechtsextremen-Milieus eine bekannte Grösse. Auch seine vielfältigen Kontakte zu ausländischen Gesinnungsgenossen machen ihn zu einem wichtigen Bindeglied der Szene.
Kevin G. wuchs im Zürcher Oberland auf. Nach der Jahrtausendwende trat er erstmals mit seiner Band Amok in Erscheinung. Laut der Rechercheplattform Exif handelt es sich bei der Band um eine der einflussreichsten Musikgruppen der militanten Neonazi-Szene.
G. wurde schon länger auch mit dem Bandprojekt Mordkommando in Verbindung gebracht. Aufgrund des Geständnisses ist G. nun wegen öffentlicher Aufforderung zu Verbrechen oder zur Gewalttätigkeit sowie wegen Rassendiskriminierung verurteilt worden. Dies geht aus dem inzwischen rechtskräftig gewordenen Strafbefehl hervor, in den die NZZ Einsicht genommen hat.
Die Zürcher Staatsanwaltschaft hat den 33-Jährigen mit einer dreimonatigen Freiheitsstrafe belegt. Kevin G. muss die Freiheitsstrafe als Zusatzstrafe zu einem Urteil des Zürcher Obergerichts vom Februar 2019 absitzen. Der bereits mehrfach vorbestrafte Neonazi hatte im Juli 2014 einen orthodoxen Juden in Zürich Wiedikon auf offener Strasse als «Scheissjuden» beschimpft, ihn bespuckt und «Heil Hitler» gebrüllt, wofür ihn das Obergericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 12 Monaten wegen Rassendiskriminierung verurteilte.
Massgeblich an der Komposition der Lieder beteiligt
Zum Verhängnis geworden ist dem Rechtsextremen im Mordkommando-Verfahren sein Handy. Im Februar 2019 stellte die Staatsanwaltschaft im thüringischen Gera wegen Kevin G. ein Rechtshilfeersuchen in der Schweiz. Die deutschen Ermittler gingen nämlich davon aus, dass der Zürcher auch der Sänger von Erschiessungskommando ist. In einem 2016 erschienenen Album drohte die Band der Thüringer Landtagsabgeordneten Katharina König-Preuss mit Mord. Die linke Politikerin, die sich stark gegen Rechtsextremismus und Antisemitismus einsetzt, reichte daraufhin Strafanzeige ein.
Gestützt auf das Rechtshilfebegehren führte die Polizei im Kanton Zürich schliesslich eine Hausdurchsuchung bei Kevin G. durch. Dabei wurde ein schwarzes Samsung-Handy beschlagnahmt. Und dieses brachte den Ermittlern schliesslich den entscheidenden Hinweis – nicht im Fall Erschiessungskommando, sondern bei der Band Mordkommando.
Ausgewertet wurde das Handy nicht nur durch die Ermittler in Gera, sondern auch von Ermittlern in Zürich. Bei einer Einvernahme im April 2021 durch den zuständigen Staatsanwalt Stephan Walder gab G. schliesslich zu, Sänger und Mitglied der Band Mordkommando zu sein. Walder, der stellvertretende Leitende Staatsanwalt der Staatsanwaltschaft II und Leiter der Abteilung Cybercrime, ermittelte bereits seit Jahren gegen die Band.
Walder sagt: «Nur aufgrund des im deutschen Rechtshilfeverfahren sichergestellten Mobiltelefons konnten wir Indizien zur Identität des Sängers der Band Mordkommando gewinnen.» Kevin G. habe in der Einvernahme zugegeben, dass er massgeblich an der Komposition und der Entwicklung der Lieder beteiligt gewesen sei – und die Songtexte an mindestens einem Konzert der Neonazi-Szene auch aufgeführt habe.
Hetze als «freedom of speech» bezeichnet
Walder hatte das Verfahren gegen die Neonazi-Band bereits einmal geführt – und einstellen müssen. Denn die amerikanischen Behörden hatten ihm entscheidende Informationen verweigert. Um herauszufinden, wer die Lieder auf Youtube hochgeladen hatte, musste die Staatsanwaltschaft via Bundesamt für Justiz ein internationales Rechtshilfeersuchen an das amerikanische Department of Justice stellen. Die Amerikaner lehnten das Gesuch 2018 jedoch ab. Die Begründung: Die Texte seien durch das verfassungsmässige Recht auf Redefreiheit – «freedom of speech» genannt – als geschützt zu betrachten. Zudem gehe aus dem Ersuchen der Schweizer Strafverfolgungsbehörden nicht hervor, ob eine konkrete Gefahr für die in den Texten erwähnten Personen bestehe.
Walder zeigt sich nach wie vor befremdet darüber, dass das amerikanische Department of Justice 2018 ein Rechtshilfeersuchen in diesem Fall ablehnte. Er sagt: «Dass die krassen Aussagen von den Behörden in den USA für mit der Redefreiheit vereinbar gehalten werden, ist für mich nach wie vor nicht nachvollziehbar.» Und er fügt an: «Hätten die Amerikaner unserem Ersuchen entsprochen, hätten die Chancen gut gestanden, die Täter viel früher zu identifizieren.»
Am Anfang der ganzen Untersuchungen gegen die Mitglieder von Mordkommando steht Jonathan Kreutner. Im Oktober 2016, als das Album der Band einer breiten Öffentlichkeit bekannt wird, reichen er und andere Strafanzeige gegen die Bandmitglieder ein. Kreutner, heute Generalsekretär des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebunds (SIG), sagt, es überrasche ihn nicht, dass sich Kevin G. als Sänger entpuppe. Doch: «Es ist gut, dass er es endlich zugegeben hat und er für die üble Hetze und die gravierenden Morddrohungen, die nun Jahre zurückliegen, auch zur Rechenschaft gezogen werden kann.»
Der Fall zeige auch, dass die Behörden antisemitische Taten sehr ernst nähmen. «Die Staatsanwaltschaft Zürich blieb hartnäckig und unternahm alles, um den Täter zu überführen.» Kreutner selbst glaubte nicht mehr daran, dass der Fall noch gelöst werden kann. Umso erleichterter sei er nun, dass er doch noch zum Abschluss gebracht werden konnte.
In einem anderen Fall war die Staatsanwaltschaft weniger erfolgreich. Sie musste ein zweites Verfahren gegen Kevin G. einstellen. Dabei geht es um die erwähnte Band Amok. Im Dezember 2019 hat diese ein neues Album veröffentlicht – unter dem Namen «Teeren und Federn». Darauf befindet sich ein Lied, das die Attacke auf den orthodoxen Juden in Zürich Wiedikon verherrlicht.
Im Song mit dem Titel «Nilpferd-Jäger» wird laut einem Bericht der Tamedia-Zeitungen jener Tag im Juni glorifiziert, als G. zusammen mit anderen Neonazis einen Polterabend feierte. Auf Tour waren die Männer in einem roten Bus. Es singt eine Stimme: «Sie haben es gewagt und das am helllichten Tag. Sie spuckten, schubsten, grüssten rum, beinahe brachten sie ihn um.» Auf dem Albumcover ist gemäss dem Bericht ein Nilpferd mit jüdischen Schläfenlocken und schwarzem Hut abgebildet – und ein roter Bus, der das Nilpferd jagt. Demnach ist auch Kevin G. auf verschiedenen Bildern im Booklet zu sehen.
Der Schweizerische Israelitische Gemeindebund hatte deswegen Anzeige gegen Unbekannt erstattet. Jedoch ohne Erfolg. Die Staatsanwaltschaft Zürich hat die Ermittlungen in dem Fall eingestellt. Kevin G. verweigerte bei der Einvernahme zur Sache Ende März seine Aussage. Es bestanden zwar laut Einstellungsverfügung Hinweise auf die Täterschaft oder die Teilnahme des Amok-Sängers. Doch die Indizien reichten nicht aus für eine Anklage.
Dass die zweite Strafanzeige ohne Folgen bleibt, bedauert Kreutner zwar. Er sagt aber auch: «Wir müssen uns damit abfinden, dass nicht immer alle Fälle gelöst werden können.» Kevin G.s Anwalt möchte sich in Absprache mit seinem Mandanten nicht zu den Entscheiden äussern.
Staatsanwaltschaft Gera stellt Verfahren ein
Erfolglos blieben bisher auch die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Gera in Sachen Erschiessungskommando. Die Behörde teilt auf Anfrage der NZZ mit, man habe das Verfahren mittlerweile eingestellt. Zwar hat sie nach der Anzeige der Linken-Politikerin Katharina König-Preuss Ermittlungen gegen drei Beschuldigte aufgenommen – unter anderem gegen Kevin G. Ein hinreichender Tatverdacht gegen die Mitglieder der Band habe jedoch nicht erhärtet werden können.
Ob die Staatsanwaltschaft in Gera aufgrund des Zürcher Strafbefehls im Fall Mordkommando die Ermittlungen wieder aufnehmen wird, kann die Behörde noch nicht sagen. Die zuständigen Beamten würden dies nun prüfen.