Neue Zürcher Zeitung. Die Polizei hat sechs mutmassliche Rechtsextreme verhaftet. Unter ihnen befindet sich auch ein junger Winterthurer. Er steht für eine neue Neonazi-Generation.
Fremdenhass und Waffen führen die Polizei zu sechs jungen Männern. Es ist Mittwochmorgen, als die Einsatzkräfte bei den Schweizern an die Tür klopfen. Sie verhaften die mutmasslichen Neonazis, alle zwischen 18 und 20 Jahre jung, durchsuchen ihre Wohnungen in den Kantonen Zürich und Luzern. Es ist eine gezielte Aktion gegen das rechtsextreme Milieu.
Die Männer erschienen bereits vor längerer Zeit auf dem Radar der Behörden. Den Ermittlern fiel die Verbreitung von rassendiskriminierenden Inhalten auf. Hinter ihren Haustüren treffen sie aber nicht nur auf die Verdächtigen. Sie finden auch mehrere Waffen und weiteres Beweismaterial, wie es in einer Mitteilung von Kantonspolizei und Staatsanwaltschaft Zürich heisst.
Die Aktion gegen das Neonazi-Milieu legt ein Muster offen. Ein Muster, das immer wieder zu beobachten ist – und von Experten und Behörden zunehmend mit Sorge zur Kenntnis genommen wird: die Bewaffnung der rechtsextremen Szene. Bereits im August stellte die Zürcher Kantonspolizei bei zwei Hausdurchsuchungen in Winterthur mehrere Waffen sicher. Das ist kein Zufall. Das Nazi-Milieu rüstet sich für «den Ernstfall», wie es die Extremisten nennen. Nichts Geringeres als der Umsturz des bestehenden Systems ist damit gemeint, ein Ziel, das man notfalls auch mit Waffengewalt erreichen will.
Gegen Juden gehetzt
Die jungen Männer sind bereits am Mittwochnachmittag von der Polizei einvernommen worden. Ob die Staatsanwaltschaft Untersuchungshaft beantragt, ist noch ungewiss. Vorgeworfen wird den Neonazis nicht nur der möglicherweise illegale Waffenbesitz, sondern auch Rassendiskriminierung. Sie sollen auf einschlägigen Portalen unter anderem gegen Juden gehetzt haben.
Wie aus Sicherheitskreisen zu entnehmen ist, gehören zu den Verhafteten auch zwei Männer aus Winterthur. Bei einem von ihnen handelt es sich um einen 20-jährigen ehemaligen Studenten der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK). Die Hochschule hatte ihn ausgeschlossen, nachdem öffentlich bekanntgeworden war, dass er eine zentrale Figur in einer rechtsextremen Gruppe namens Eisenjugend war, die inzwischen als aufgelöst gilt.
Nach Bekanntwerden der rechtsextremen Verbindungen hatten Kommilitonen den Rauswurf des Studenten gefordert. Knapp 2000 Personen unterschrieben eine Petition. Man fühle sich bedroht, «wenn sich ein Mensch mit einer solch menschenverachtenden, rassistischen, sexistischen und antisemitischen Geisteshaltung an der Hochschule frei bewegen kann», hiess es darin.
Die Gruppe verbreitete laut «Tages-Anzeiger» unter anderem über einen Telegram-Kanal Terrorpropaganda und rassistische Hassbotschaften. Die Rechtsextremen gerieten deshalb auch ins Visier des Nachrichtendienstes. Der junge Mann hatte nicht nur auf einschlägigen Portalen gehetzt, sondern wurde laut gut unterrichteten Quellen auch dabei beobachtet, wie er an einer Demonstration von Rechtsextremen in Ostdeutschland teilnahm.
Carmen Surber, Sprecherin der Kantonspolizei Zürich, will sich auf Anfrage nicht zur Identität der Männer äussern. Sie bestätigt aber: «Gemäss dem jetzigen Erkenntnisstand der Strafverfolgungsbehörden sind einzelne Verhaftete der Gruppierung Eisenjugend zuzurechnen.»
Hasserfüllte Botschaften in Hashtags verpackt
Der Fall der sechs Rechtsextremisten zeigt: Populär ist das radikale Gedankengut nicht nur bei abgehängten Ewiggestrigen. Vermehrt tritt eine jüngere Garde an die Öffentlichkeit, mit eigenen Symbolen und eigenen Propagandamitteln. Vor allem auf Social Media versucht die Szene Anhänger und Einfluss zu gewinnen. Doch auf den herkömmlichen Kanälen bläst ihnen zuweilen ein eisiger Wind entgegen. Immer wieder werden ihre Konten auf Plattformen wie Facebook oder Instagram gesperrt.
Nicht zuletzt deshalb versuchen die Agitatoren, sich via alternative Kanäle an ihr Publikum zu wenden – so etwa über Telegram, den in Verruf geratenen Messengerdienst. Laut Kritikern ist die Plattform nicht nur bei Rechtsextremen, sondern auch bei Pädokriminellen oder Verschwörungstheoretikern äusserst beliebt, weil dort fast keine Inhalte gelöscht werden.
Auf Telegram verbreitete nicht nur die Eisenjugend ihre hasserfüllten Botschaften und ihr krudes Weltbild von einer Vorherrschaft der Weissen. Es finden sich auch andere rechtsextreme Gruppierungen aus der Schweiz. Beispielsweise die Nationale Aktionsfront (NAF), die mit den Neonazis aus Winterthur verbandelt ist.
In ihrem offenen Kanal zeigt sie sich ihren rund 500 Abonnenten meist von einer martialischen Seite. Durchtrainierte Boxer präsentieren ihr Sixpack vor der Kamera. Oder man postet Fotos von Fackelmärschen. Der Kanal der Jugendabteilung der NAF gibt sich moderner. Und hat mit 3700 Abonnenten die weitaus grössere Fangemeinde. Hier werden kurze Filmchen gepostet, die schon fast professionell zusammengeschnitten wirken. Es sind Videos wie dieses: Ein junger Mann blättert durch die bei Suhrkamp erschienene Ausgabe von Max Frischs «Biedermann und die Brandstifter». Im Hintergrund ist eine proper angerichtete Vesperplatte zu sehen.
Der Mann spricht auf Zürichdeutsch eine Buchempfehlung für das bekannte Theaterstück aus. Es zeige, was passiere, wenn falsche Toleranz gelebt werde, sagt er. Man könne das Buch auch «Der Gutmensch und die Brandstifter» nennen, so die Stimme. Das Gesicht des Sprechers ist nicht zu sehen, nur der akkurat gekämmte Scheitel und seine biedere Kleidung, auf deren Hemdkragen die Aufschrift «Nationale Aktionsfront» prangt.
In einem anderen Video ziehen junge, ebenso akkurat gescheitelte Männer durch Rapperswil, kratzen Sticker von Laternenpfählen und sammeln Müll ein. Die Saubermänner aus der rechten Ecke, so die Botschaft. In anderen Posts wird das eigene Merchandise beworben, Shirts und Sturmhauben mit dem eigenen Logo. Und natürlich Sticker. In einem weiteren Filmchen zeigen sich die Männer weit weniger unschuldig. Vor den Medienhäusern von SRF und Tamedia reissen sie Zeitungen auseinander und zertrümmern mit einem Vorschlaghammer einen Fernseher.
Man könnte dies als jugendlichen Fanatismus abtun, wenn die Ideologie nicht derart menschenverachtend wäre – und die Bewaffnung der Szene nicht so bedrohlich.
Auf die Gefahr der rechtsextremen Szene wird auch im jüngsten Bericht des Schweizer Nachrichtendienstes NDB hingewiesen. Dort heisst es: «Wichtig im Zusammenhang mit der Einschätzung des rechtsextremen Gewaltpotenzials bleibt aber der Hinweis auf das Training von Kampfsportarten und auf die Verfügbarkeit funktionstüchtiger Waffen.»
Laut Einschätzung des NDB ist derzeit zwar eher ein Rückzug von Rechtsextremen aus der Öffentlichkeit zu beobachten. Dies vor allem auch deshalb, weil Medien, Behörden und Linksextreme den Neonazis grosse Aufmerksamkeit widmeten. Für Rechtsextreme bedeute dies, dass, wenn sie als solche erkannt würden, sie mit persönlichen Konsequenzen rechnen müssten. «Deshalb dürfte für viele Szenemitglieder die Motivation, sich bedeckt zu halten, bestehen bleiben. Es ist wahrscheinlich, dass sich die Szene weiter konspirativ verhält», heisst es im Bericht.
Im Gegensatz zu Nachbarländern wie Deutschland beobachtet der NDB bis jetzt keine Zunahme von rechtsextremen Gewalttaten. Auch Anschläge blieben bisher aus. Attentate seien aber auch in der Schweiz möglich, so der Nachrichtendienst warnend. Vor allem von Einzeltätern, die ausserhalb der bekannten Neonazi-Strukturen agierten, gehe eine Gefahr aus. Eine zentrale Rolle spielten dabei die sozialen Netzwerke, über die sich Rechtsextreme vernetzen und radikalisieren könnten.
Ein Koch mit Kriegsmaterial unter dem Bett
Einer, der sich bewaffnet hat, ist Matthias M., ein ostdeutscher Koch mit rechtsextremer Gesinnung und ehemaligem Wohnsitz im Zürcher Oberland. Bei einer Durchsuchung in seiner Wohnung in Rüti im April 2019 treffen die Ermittler auf eigentliches Kriegsmaterial. Unter dem Bett finden sie ein Sturmgewehr und eine tschechische Maschinenpistole, im Schrank eine Pistole der Marke Walther PPK. Auch Munition sammelte M. nicht zu knapp. Rund 2000 Patronen versteckte er in seiner Wohnung.
Matthias M. steht für all jene Neonazis, die sich bedroht fühlen, die denken, der «Rassenkrieg» stehe vor der Tür, ein Angriff von anderen Völkern auf die eigene Kultur. Ein Feldzug, gegen den man sich in der kruden Ideologie der Rechtsextremen zur Wehr setzen muss – nötigenfalls auch mit Waffengewalt.
Das Horten der Waffen wurde M. aber schliesslich zum Verhängnis. Vergangenen Juni wurde ihm deswegen der Prozess gemacht. Vor dem Bezirksgericht Hinwil erschien der durchtrainierte Mann mit dem schmalen Oberlippenbart und dem kahlrasierten Kopf mit zwei stark tätowierten Gesinnungsgenossen. In braunen Skaterschuhen schritt er in Richtung Gerichtssaal, während er mit stechendem Blick die wartenden Anwesenden musterte.
Matthias M. ist kein Unbekannter. Im Gegenteil. Er ist einer der Mitorganisatoren eines der grössten Rechtsrock-Konzerte der letzten Jahrzehnte. Im toggenburgischen Unterwasser half er tatkräftig mit, dass 5000 «Sieg Heil» grölende Neonazis im beschaulichen Tal zu einschlägig bekannten Bands «abhitlern» konnten, wie es in der Szene heisst. In Bussen waren die rechtsextremen Fans aus ganz Europa herangekarrt worden – grösstenteils stammten sie aus Ostdeutschland. Die überforderten Behörden liessen sie gewähren.
Vor Gericht in Hinwil gab Matthias M. an jenem heissen Sommertag seinen Werdegang zu Protokoll: Realschule, Ausbildung als Koch, Geselle, neun Monate Bundeswehr. Ab 2008 wohnte er in der Schweiz. Unter dem Hemd verbarg er seine Tattoos mit rechtsextremen Motiven: Hakenkreuze, sogar das Konterfei eines Kriegsverbrechers.
Und die Waffen? Davon wollte er vor Gericht nichts wissen. Er verweigerte die Aussage. Dies, obwohl an den Gewehren und an der Walther PPK seine DNA gefunden wurde. «Mit über 2000 Schuss Munition kann man einen halben Krieg anfangen», sagte der Staatsanwalt. M. schwieg und lachte bloss verächtlich.
Auf Facebook nannte er sich «Rechtzman Skinboi»
Für den Staatsanwalt aber war der Fall klar: Dieser Mann, der sich auf Facebook «Rechtzman Skinboi» nannte, ist «der Obernazi». Von der Schweiz aus habe er seine unsägliche Hassideologie verbreitet, habe eines der grössten Nazi-Konzerte in Westeuropa veranstaltet. «Er wird hier in negativer Erinnerung bleiben.» Deshalb forderte der Staatsanwalt einen Landesverweis. «Die Staatsanwaltschaft weint ihm keine Träne nach», fügte er an.
Sein Anwalt bestätigte später den Waffenbesitz. Es sei ja nachgewiesen, dass der gebürtige Thüringer davon wusste. So sah es auch das Gericht. Es verurteilte den Mann zu einer Freiheitsstrafe von 16 Monaten bedingt. Vom Nebenanklagepunkt der Rassendiskriminierung sprach es ihn aber frei. Des Landes verwiesen wurde M. trotzdem. Diesem Teil des Urteils war der Ostdeutsche zuvorgekommen. Er zog zurück nach Thüringen. Den Hauptteil des Schuldspruchs hat er inzwischen offenbar akzeptiert. Vor Obergericht streitet sein Anwalt lediglich noch um eine Teilentschädigung für die Gerichtskosten.
Dass M. mit dem Rückzug in die Heimat seiner Ideologie abgeschworen hätte, kann nicht behauptet werden. Letztes Jahr stand er in ähnlicher Sache vor dem Landgericht Bayreuth. Es geht um ein Paket, das M. von der Schweiz aus nach Bayreuth geschickt hatte. Der Inhalt: Rechtsrock-CDs von Bands mit Namen wie Leibstandarte Adolf Hitler oder Blitzkrieg-Wolfenhords.