Neue Zürcher Zeitung. Im Zürcher Oberland sind Dutzende von Rechtsextremen zusammengekommen. Sie reservierten in Rüti eine Waldhütte unter falschen Angaben. Das hatten sie auch in der St. Galler Gemeinde Kaltbrunn gemacht.
Es muss sehr viel Alkohol geflossen und lärmig gewesen sein. Über 50 Rechtsextreme aus der Schweiz und aus Deutschland haben sich am Samstagabend in einer Waldhütte in Rüti im Zürcher Oberland getroffen. Dabei fielen sie mit Gegröle und lauter Musik auf. Eine Anwohnerin berichtet gegenüber «20 Minuten» von «Heil Hitler»-Rufen.
Von verschiedenen Seiten, auch von Privatpersonen, seien Meldungen bei der Polizei gemacht worden, dass in einem Gruppenhaus ein Treffen von Anhängern der rechtsextremen Szene im Gange sei und dort womöglich Straftaten begangen würden. So schilderte es am Sonntag Carmen Surber, die Mediensprecherin der Kantonspolizei Zürich.
Wegen Fahruntüchtigkeit keine Wegweisung
Erste Polizeipatrouillen rückten daraufhin aus, um sich an Ort und Stelle ein Bild der Situation zu verschaffen. Was die Einsatzkräfte dort antrafen, waren Dutzende von Neonazis im Alter zwischen 22 und 56 Jahren. Rasch war klar, dass die Personen die Waldhütte unter falschen Angaben gemietet haben. Welcher Vorwand dazu diente, das Gruppenhaus zu reservieren, sei nun Gegenstand der Ermittlungen, sagte Carmen Surber. Mutmasslich haben sich die Neonazis als Wandergruppe ausgegeben, um die Hütte mieten zu können.
Die Einsatzkräfte boten weitere Polizistinnen und Polizisten auf. Daraufhin kontrollierten sie die 55 bereits Anwesenden sowie weitere Eintreffende. Von allen wurden laut Carmen Surber die Personalien aufgenommen.
Die Polizei wies rund zwei Dutzend Rechtsextreme weg. Zirka 30 Personen konnten wegen ihrer Fahrunfähigkeit allerdings nicht weggewiesen werden, sie übernachteten vor Ort. Es sei viel Alkohol im Spiel gewesen, erläuterte Surber. Die Kantonspolizei überprüfte die Einhaltung von Ruhe und Ordnung während der Nacht mehrmals.
Wie viele der Rechtsextremen aus der Schweiz stammen und wie viele aus Deutschland anreisten, konnte Carmen Surber nicht sagen. Sie verneinte die Frage, ob Waffen beschlagnahmt oder Straftaten begangen worden seien.
Im Communiqué heisst es, dass die Grosskontrolle ohne Zwischenfälle verlaufen und kurz nach 0 Uhr 30 beendet worden sei. Über Treffen der rechtsextremen Szene in derselben Waldhütte bereits zu einem früheren Zeitpunkt ist nach Angaben von Carmen Surber nichts bekannt.
Immer wieder Vorfälle mit Rechtsradikalen
Dass die Neonazis aber ausgerechnet Rüti für ihre Zusammenkunft auswählten, ist dennoch kein Zufall. Im Zürcher Oberland kam es in den letzten Jahren bereits mehrfach zu Treffen von Rechtsextremen.
Im Jahr 2012 etwa waren bei einem Fackelzug 50 Neonazis durch Hombrechtikon marschiert. Und im Fall des grossen Neonazi-Konzerts von 2016 in Unterwasser führten die Spuren ebenfalls ins Zürcher Oberland. Den Mietvertrag für die Halle hatte ein aus Thüringen stammender Mann abgeschlossen, der damals in Rüti wohnte. Bei einer Durchsuchung seiner Wohnung im April 2019 fanden die Ermittler unter anderem ein Sturmgewehr, eine Maschinenpistole und 2000 Patronen. Der Ostdeutsche wurde des Landes verwiesen und zu einer Freiheitsstrafe von 16 Monaten verurteilt.
Ebenfalls in Rüti war der Sänger der rechtsextremen Band Amok wohnhaft. Er wurde wegen eines Angriffs auf einen orthodoxen Juden in Zürich Wiedikon im Jahr 2018 wegen Rassendiskriminierung und Tätlichkeit zu einer Freiheitsstrafe von 24 Monaten verurteilt.
In den letzten zwei Jahren hatten zudem Razzien gegen Neonazis in Winterthur für Schlagzeilen gesorgt. Unter den Verhafteten befanden sich Exponenten der rechtsextremen Gruppierung «Junge Tat». Die Organisation besteht aus mehrheitlich sehr jungen Männern. Die Mitglieder bedienen sich der sozialen Netzwerke, stellen Videos ins Netz oder posten Bilder von sich mit Sturmhauben. In ihrer Vorgehensweise ähnelt die «Junge Tat» der Identitären Bewegung, einem rechtsextremen Bündnis, das vor allem in Deutschland und Österreich aktiv ist. Dass die Gruppierung mit ihrer extremen Ideologie eine nicht gerade kleine Zahl von Sympathisanten anspricht, zeigt ihr offener Telegram-Kanal, der mehrere tausend Mitglieder zählt.
Ihr prominentester Agitator ist ein 21-jähriger früherer Kunststudent aus Winterthur. Wegen seiner extremistischen Gesinnung schloss ihn die Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) aus. Dies, nachdem die Polizei bei einer Razzia mehrere Waffen bei ihm beschlagnahmt hatte. Zudem hatte er zusammen mit anderen jungen Rechtsextremen mehrfach Zoom-Meetings der Hochschule mit rassistischen Sprüchen und Bildern gestört.
Wohl als Wandergruppe getarnt
Und wie haben die Rechtsextremen ihr Treffen in Rüti kaschiert? Die Polizei macht dazu keine Angaben, aber mutmasslich haben sie sich als Wandergruppe angemeldet. In der entsprechenden Waldhütte jedenfalls war eine solche von Freitag bis Sonntag angekündigt. Bei dem Gruppenhaus könnte es sich um das Pfadiheim von Rüti handeln. Im dortigen Belegungsplan ist vom 17. Juni bis am 19. Juni eine Wandergruppe eingetragen. Dazu passt, dass Mitglieder der «Jungen Tat» auf ihrem Telegram-Channel am späten Samstagnachmittag verpixelte Fotos von Wanderungen in den Schwyzer Alpen posteten. Auf einem Bild recken die jungen Männer demonstrativ ihre Fäuste in die Höhe. Es heisst: «Die Waden brennen, die Sonne lacht.»
Treffen derselben Gruppe in Kaltbrunn verboten
Rechtsextreme Vereinigungen reservieren für ihre Treffen oftmals mehrere Veranstaltungsorte, weil sie wissen, dass ihnen die Polizei auf der Spur ist. Wird die Zusammenkunft am einen Ort verhindert, können sie auf eine andere Lokalität ausweichen. So ist das mutmasslich auch am letzten Wochenende geschehen.
Hanspeter Krüsi, Medienchef der St. Galler Kantonspolizei, sagt, dass seine Einsatzkräfte am Freitag Wind von einem geplanten Treffen eines rechtsextremen Netzwerks mit Personen aus Deutschland und der Schweiz im Kanton St. Gallen bekommen hätten. Daraufhin telefonierte man sämtliche Veranstalter ab und stiess auf jenen in Kaltbrunn.
Der Vermieter habe sich kooperativ gezeigt, sagt Krüsi. Er war offenbar nicht darüber informiert, dass es sich bei den Mietern um Mitglieder einer extremistischen Vereinigung handelte. Er sei von dem rechtsradikalen Veranstalter, mit dem er den Mietvertrag abgeschlossen habe, getäuscht worden. Dieser habe das Lokal zwar vermutlich unter seinem tatsächlichen Namen reserviert, aber unter einem anderen Vorwand. Was vorgeschoben wurde, sagt Krüsi aus ermittlungstaktischen Überlegungen nicht.
Dass womöglich auch ein Konzert vorgesehen gewesen sei, habe man in Zusammenarbeit mit den Ermittlern aus Deutschland herausgefunden. Laut Krüsi hatte es auch schon früher Zusammenkünfte von Neonazis in Kaltbrunn gegeben.
Der Mietvertrag in der St. Galler Gemeinde wurde sofort annulliert. Die Kantonspolizei sprach gegen den Veranstalter ein Veranstaltungsverbot im ganzen Kanton aus. Dabei wurde erstmals der Nachtrag zum Polizeigesetz angewendet, welcher es der Kantonspolizei St. Gallen ermöglicht, ein Veranstaltungsverbot auszusprechen, wenn die demokratische und rechtsstaatliche Grundordnung oder das Sicherheitsempfinden der Bevölkerung durch die Veranstaltung massgeblich beeinträchtigt wird.
Wahrscheinlich wichen die Neonazis dann auf die Waldhütte im nahe gelegenen Rüti aus, mutmasst der Medienchef.
Er rät Vermietern von Event-Lokalen, unbekannte Personen beim Abschluss des Vertrags zu überprüfen, etwa mit einer Ausweiskopie. Bei fadenscheinigen Gründen für den Anlass solle man genauer nachfragen und Rücksprache mit der Polizei nehmen.
Der Nachtrag zum Polizeigesetz trat im Jahr 2020 in Kraft. Er geht auf einen politischen Vorstoss zurück wegen des Neonazi-Konzerts in Unterwasser im Jahr 2016 mit über 5000 Rechtsradikalen sowie weiterer Rechtsrock-Anlässe. Das St. Galler Kantonsparlament stimmte dem Vorstoss zu. Man sei froh darüber, sagt Krüsi.