Neue Zürcher Zeitung. Die App Telegram hat sich in der Krise als Schaltzentrale der Unzufriedenen erwiesen. Eine NZZ-Analyse zeigt, wie die Corona-kritischen Kreise der Schweiz ticken.
Am Ende seiner Sprachnachricht wird der Mann besonders eindringlich: «Stellen Sie mich bitte nicht in eine Ecke mit den Verschwörungstheoretikern», fordert er, «ich könnte das, was ich über Corona weiss, auch für mich behalten. Doch irgendwie sind mir meine Mitmenschen mehr wert.»
Das sagt der Nutzer mit dem Pseudonym WDChur. Der Mann betreibt auf Telegram eine der aktivsten Corona-kritischen Plattformen der Schweiz. WDChur spricht und schreibt von einem Gefühlschaos, das er täglich im Internet, im Austausch mit anderen Menschen, erlebe. Viele suchten Antworten darauf, was in der Welt passiere. «Etwas stimmt hier nicht», sagt der Mann mit dem sympathischen Bündner-Dialekt, «das wissen wir alle.»
Unsicherheit, Unmut, Sorge, Angst: Die sozialen Netzwerke waren immer schon ein Sammelbecken der Gefühle. Das hat sich in der Pandemie nochmals verstärkt. Gerade auf Telegram.
Telegram, das ist ein Messenger-Dienst, der lange Zeit vor allem bei politischen Aktivisten beliebt war. Bei Regime-Gegnern in Iran etwa – oder erst kürzlich bei den Organisatoren der Proteste gegen den weissrussischen Präsidenten Lukaschenko. Der Grund ist einfach. Die App bietet einerseits geheime Chats, wo sich Mitglieder ungestört von Geheimdiensten oder der Polizei austauschen können.
Andererseits gibt es auch offene Chats, bei denen jeder Mitglied werden kann. Und drittens existieren öffentliche Foren, sogenannte Channels. Jeder Telegram-Nutzer kann einen solchen Kanal erstellen und anderen Nutzern Zugang gewähren – oder sie wieder rauswerfen. In den Channels wird weniger diskutiert als in den privaten und offenen Gruppen. Es geht vielmehr um Reichweite, um Informationen zu spezifischen Themen. Der grösste Telegram-Channel widmet sich beispielsweise Hindu-Spielfilmen und hat knapp 6 Millionen Mitglieder. Weltweit zählt der 2013 von zwei russischen Brüdern ins Leben gerufene Dienst Telegram heute eine halbe Milliarde Nutzerinnen und Nutzer.
Doch die App ist umstritten. Denn nicht nur Hindu-Film-Fans oder Aktivisten aus Weissrussland nutzen den Dienst. Auch Rechtsextreme oder Pädokriminelle tauschen sich hier aus und vernetzen sich. Ihre rechtswidrigen Inhalte werden nur selten gelöscht. Als Facebook und Twitter letztes Jahr immer rigider Inhalte zu zensieren begannen – Stichwort Falschmeldungen zu Corona, Stichwort US-Wahlen –, fanden deshalb viele bei Telegram eine neue digitale Heimat. Darunter auch zahlreiche Schweizerinnen und Schweizer, die mit den Corona-Massnahmen ihre liebe Mühe hatten und teilweise gar zur Ansicht gelangten, dass es Corona gar nicht gebe. Unterwandert werden diese Gruppierungen auch von Rechtsextremen.
21 Kanäle, 217 000 Meldungen, 450 000 Abonnenten
Es ist allerdings schwierig, sich ein Bild der vielen Menschen zu machen, die hier mit Bildmontagen, Videos oder Blog-Beiträgen zum Protest gegen die Corona-Massnahmen aufrufen. Bei Telegram wird Anonymität grossgeschrieben, grösser als bei Facebook oder Twitter. Um diesem Paralleluniversum dennoch näher zu kommen, hat die NZZ von Januar 2020 bis Januar 2021 insgesamt 20 besonders aktive, öffentlich zugängliche Telegram-Channels und einen Gruppen-Chat analysiert.
Die Inhalte sind allesamt Corona-kritisch. Die Kanäle werden von Personen betrieben, die nach eigenen Angaben in der Schweiz leben. Auch ein grosser Teil der Kanal-Abonnenten sind Schweizerinnen und Schweizer. Mit ihren Inhalten erreichen sie nicht nur ein Nischenpublikum. Im Gegenteil, insgesamt verschicken sie ihre Inhalte an rund 450 000 Abonnenten. Zum Vergleich: Auf Twitter erreicht «20 Minuten» als grösste Zeitung der Schweiz mit 414 000 Nutzern weniger Follower. Bei den untersuchten Telegram-Abonnenten sind allerdings auch viele Doppelzählungen dabei.
Insgesamt hat die NZZ 217 000 Mitteilungen ausgewertet. Dabei ist eine Liste der 10 lautesten Schweizer Corona-Skeptiker auf Telegram entstanden. Die Analyse zeigt, zu welcher Tageszeit sie aktiv sind, welche Quellen sie am meisten konsultieren und welche Inhalte die beliebtesten sind. In Gesprächen sowie aus ihren Datenspuren lässt sich nachzeichnen, was diese Menschen antreibt, Tag und Nacht das Internet zu durchkämmen – und ihre Leserschaft in hoher Kadenz mit Zeitungsschnipseln oder zweifelhaften Informationen zu versorgen.
So sind die Steckbriefe der Telegram-Nutzer zu lesen
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1. Alexis. Die digitale Türsteherin
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Das aktivste Profil der untersuchten Netzwerke gehört keinem Menschen, sondern einem Bot: Alexis. Ein Bot ist eine Software, die programmiert wurde, um im Hintergrund Aufgaben zu erledigen. Sie wird von Channel-Administratoren eingesetzt, um bei deren Verwaltung zu helfen: Ordnung in den Kanälen und Gruppen-Chats zu halten und Inhalte zu zensieren.
Dabei geht Alexis ziemlich unzimperlich vor. In einem Chat kommentierte sie den Rauswurf eines Nutzers so: «Ich mag Personen nicht, die Gruppen mit Nachrichten fluten. Kick!» In einem anderen heisst es: «Benutzer mit arabischen Schriftzeichen werden daran gehindert, diese Gruppe zu betreten.» Alexis bringt sich jedoch je nach Stichwort auch in Debatten ein. Schreibt jemand vom Bundesrat, antwortet der Bot: «Wohl eher BundesVERrat.» Während der untersuchten Zeitspanne hat Alexis 10 277 Mal eingegriffen. Nur in 21 Fällen verbreitete sie auch eigene Inhalte.
Damit Alexis automatisch Einträge löschen kann, führen die Administratoren von Kanälen und Chats offenbar eine schwarze Liste mit verbotenen Wörtern. Der Bot wird also wohl von unterschiedlichen Personen eingesetzt. Am aktivsten ist er abends bis ein Uhr morgens.
2. WDChur. Bündner, um die fünfzig, männlich
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Der aktivste Mensch in den untersuchten Telegram-Channels ist der Nutzer WDChur. «Herzlich willkommen», steht dort zur Begrüssung, «auf diesem Kanal teile ich Beiträge, die bei Youtube gelöscht oder im Mainstream nicht gefunden werden.» Bereits 12 000 Abonnenten zählt WDChur. Zu Spitzenzeiten werden die Videos, die er aufstöbert, von bis zu 10 000 seiner Abonnenten gesehen. Auch diese Information kann man aus Telegram herauslesen. Inhaltlich beschäftigt sich WDChur vor allem mit Impfen und Microsoft-Gründer Bill Gates.
Um die fünfzig, männlich, wohnhaft in der Nähe von Chur – so viel verrät uns der Mann auf Nachfrage zu seiner Person. Er habe schlechte Erfahrungen mit den Medien gemacht. Deshalb wolle er nicht mehr sagen.
Warum er Telegram nutze? Die App biete mehr Spielraum. Hier sei etwa die Limite der Gruppengrösse weniger eingeschränkt. Zudem könnten grössere Videos versendet werden als bei Konkurrenzdiensten wie Whatsapp. Ein weiterer Aspekt: «Auf Youtube wird unterdessen alles, was nicht in der offiziellen Presse gebracht wird, gelöscht.» Dass er mit seinen Videos einen Nerv treffe, habe er nach der Gründung seines Channels WDChur am 1. Mai letzten Jahres schnell gemerkt.
Warum er den klassischen Medien nicht mehr traue? Für WDChur scheuten sie «harte Fragen», wie etwa zu Bill Gates. Harte Fragen? Der Bündner gibt ein Beispiel: «Wie viel hat die Gates-Stiftung direkt oder indirekt an Swissmedic, die Schweizer Arzneimittelzulassungsstelle, überwiesen?» Es ist tatsächlich so, dass die Bill & Melinda Gates Foundation der Swissmedic im letzten Jahr Geld gespendet hat. Sogar das Schweizer Parlament hat sich in einer Interpellation des Walliser SVP-Nationalrats Jean-Luc Addor damit auseinandergesetzt. Es handelt sich um 900 000 Franken, die Swissmedic laut dem Abkommen mit der Stiftung für die Impf-Entwicklungsarbeit einsetzen muss. «Aber stimmt das wirklich?», fragt WDChur.
Um seine Skepsis zu untermauern, teilt der Bündner während unseres Austauschs auf Telegram ein Video. Dazu schreibt er: «Es wäre mir ein Anliegen, wenn Sie vor den nächsten Fragen folgenden Beitrag ansehen würden.» Produziert ist der knapp 30-minütige Beitrag angeblich von Checkmatenews, einer englischsprachigen Gruppierung von Corona-Kritikern, und Qlobal Change, einem deutschen Ableger der Verschwörungsmythen von QAnon.
Das Video ist schwer verdaulich. Es zeigt unter anderem Bilder von gelähmten Kindern in Indien oder dem Sudan. Dazu läuft seichte Musik, und eine Frauenstimme erdichtet zusammengefasst Folgendes: Bill Gates, der ehemals reichste Mann der Welt, wolle noch reicher werden, indem er die Weltbevölkerung mit Impfungen kontrolliere. Dabei habe schon seine Polio-Impfung in Indien eine halbe Million Kinder gelähmt, so die Behauptung. Damit sein Vorhaben unentdeckt bleibe, besteche er Politiker. Warum sollte Bill Gates so etwas tun? WDChur schreibt: «Ich weiss es nicht, aber bei mir läuten die Alarmglocken.» Denn jetzt treibe Gates die Coronavirus-Impfung voran.
Am Ende des Austausches übermittelt der Bündner eine längere Sprachnachricht. «Auf Telegram finden Sie keine Verbrecher», sagt er, «sondern das ganz normale Fussvolk, das gerne wissen möchte, was los ist. Und es ist Ihr Job als Journalist, herauszufinden, was.» Und worin sieht WDChur seinen Job? Fragen stellen, aufrütteln, wach bleiben – und: Er wolle mehr Menschlichkeit in eine Welt bringen, die er und so viele andere Menschen zunehmend vermissen würden.
3. Ignaz Bearth. Der rechtsextreme Pnos-Politiker
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Ignaz Bearth geht es weniger um Menschlichkeit als um seine rechtsextreme Politik. Bearth ist der Nutzer mit der drittgrössten Aktivität in den untersuchten Channels. Die vergangenen Jahre verbrachte er damit, im Kanton St. Gallen die Direktdemokratische Partei Schweiz zu gründen, auf Pegida-Demonstrationen in Deutschland aufzutreten oder die Aufmerksamkeit der Bundesanwaltschaft auf sich zu ziehen. Als 2017 seine Facebook-Konten gesperrt wurden, war der heutige Politiker der Rechtsaussen-Partei National orientierter Schweizer (Pnos) auf der Suche nach neuen Propaganda-Kanälen. Einen davon scheint er nun bei Telegram gefunden zu haben. Dort hat er mittlerweile rund 28 000 Abonnenten.
Heute nennt sich Bearth Journalist und postet auf Telegram nebst Videos auch gerne einmal einen Strafbefehl gegen ihn – wegen Verstosses gegen die Covid-19-Verordnung. Er hatte sich im Mai letzten Jahres an einer unbewilligten Demonstration aufgehalten. Bereits im März wurde Bearth in der Türkei verhaftet, als er in der Nähe eines Flüchtlingscamps an der Grenze zu Griechenland Beamte beleidigt haben soll.
In seinem Telegram-Channel dominiert immer das gleiche Bild: Wenn Bearth nicht gerade Inhalte aus anderen Kanälen weiterleitet, dann postet er seine selbstgemachten Videos. Viele der Youtube-Links, die der St. Galler veröffentlicht hat, funktionieren jedoch nicht mehr. Die Inhalte wurden entfernt, weil sie gegen die Richtlinien der Plattform verstossen haben. Findet man indes ein noch funktionierendes Filmchen, sieht man Bearth, wie er mit verspiegelter Sonnenbrille seine politischen Ansichten verbreitet.
Auf Telegram muss der 36-Jährige keine grosse Zensur befürchten. Hier werden keine seiner Inhalte gelöscht. Dies ist wohl auch ein Grund dafür, dass er die App immer häufiger nutzt – am liebsten morgens. Bearth kennt keine Wochenendpausen. Im Gegenteil, am Samstag postet er am fleissigsten. In seinem Telegram-Channel dominiert vor allem die Kritik an der Corona-Politik. So teilt er etwa Inhalte, in denen beschrieben wird, wie Menschen angeblich gezwungen worden seien, sich impfen zu lassen. Oder er leitet Bilder weiter, die angeblich zeigen sollen, wie Rentner oder Kinder von Polizisten verprügelt werden.
Klassische Medien interessieren Bearth nicht sonderlich, abgesehen von der deutschsprachigen Ausgabe des russischen Nachrichtensenders «RT» sowie der «Epochtimes», einer exilchinesischen Publikation aus New York, die sich kritisch gegenüber der Regierung in der Heimat äussert und in Deutschland bei Pegida-Anhängern beliebt ist.
4. Uncut-News.ch. Gegen Impfen, gegen Gates
NZZ / jok.
Auf Uncut-News.ch ist Verlass. Der Administrator dieses Accounts postet täglich zwischen 15 und 20 Meldungen. Ausser am Samstag und Sonntag. Dann ist Wochenende und das Konto weniger aktiv. Doch unter der Woche kann man beinahe die Uhr nach ihm stellen. Um 7 Uhr geht es los, und um 17 Uhr erscheint meist der letzte Post. Danach ist Feierabend.
Der Telegram-Channel funktioniert als Werbetrommel für die Artikel auf der Website uncut-news.ch. Den rund 32 000 Followern werden meist reisserische Beiträge präsentiert. Das klingt dann etwa so: «Ist ein globaler Versuch im Gange, die Menschheit zu reduzieren?» – oder so: «Mercks Gardasil-Impfstoff verkrüppelte einen jungen Mann – eine anhaltende medizinische Tragödie, die gestoppt werden muss #Gesundheit #Heilmethoden #AlternativeMedizin #Ernährung ➡➡➡». Hinweise auf klassische Medien oder andere Blogs gibt es keine.
Inhaltlich befasst sich der Administrator vor allem mit Bill Gates und dem Impfen – zwei Themen, die für ihn zweifellos zusammengehören. Das Narrativ: Bill Gates will die Welt mit Impf-Kampagnen unterjochen. Doch auch für andere Kuriositäten ist Bill Gates angeblich der Schuldige, etwa für ein Projekt, das die Sonne blockieren soll. Auf Anfrage der NZZ wollte der Betreiber des Uncut-News.ch-Channels keine Fragen beantworten.
5. Baselwach2020. Der Kommentarspalten-Schreiber
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Dieser Kanal zählt mit seinen knapp 350 Nutzerinnen und Nutzern zu den kleinsten, die wir ausgewertet haben. Der Betreiber gehört aber zu den fleissigsten Schreibern. Er liest sehr breit, und er verweist auffällig häufig auf Inhalte von klassischen Medien – häufiger sogar als auf Beiträge aus den sozialen Netzwerken. Am meisten mag man bei Baselwach2020 das Tech-Magazin «Heise», es folgen «Fokus» und die «Welt». Nebst dem «Tages-Anzeiger» und «20 Minuten» gehört auch die NZZ zu den frequentierten Schweizer Medien. Oft fordert der Betreiber dieses Kanals bei den geposteten Artikeln seine Abonnenten auf, Kommentare auf den klassischen Newsportalen zu schreiben.
Der Nutzer hinter dem Channel Baselwach2020 nennt sich Mandorla. Er beschäftigt sich am intensivsten mit dem Impfen. Einträge wie folgende sind häufig anzutreffen: «🙏💚FAST 100 JAHRE ALT UND NICHT BEREIT SICH IMPFEN ZU LASSEN. Diese alte Dame ist noch sehr fit im Kopf und hat – wie wohl alle anderen in den Pflegeheimen auch – grosse Probleme, mit den drakonischen Massnahmen klar zu kommen . . . Grossen Dank an diese tolle Frau!!😊»
Die Person hinter dem Pseudonym Mandorla steigert derzeit ihre Aktivität im Channel BaselWach2020 von Tag zu Tag. Und praktisch von Monat zu Monat. Während Mandorla im Juni und Juli noch täglich im Schnitt rund 10 Mitteilungen verfasste, waren es im Januar 2021 bereits weit über 20 Meldungen pro Tag. Warum tut sie das? Mandorla schreibt als Antwort: «Mehr Menschlichkeit, weniger Macht, Ideologie und Dogmatismus.» Wieder fällt der Begriff der Menschlichkeit, wie beim eingangs erwähnten WDChur. Es f0lgt ein Zitat des berühmten deutschen Tischlers Hugo Kükelhaus, dem Verbindungen zu den Nationalsozialisten nachgesagt werden: «Die Wahrheit setzt sich nicht durch, sie klingt durch.»
6. Bittel TV. Ein Bitcoin-Spezialist auf Abwegen
NZZ / jok.
Roger Bittel gehört zu den bekannteren Gesichtern in der deutschsprachigen Corona-kritischen Szene. Sein Werdegang ist alles andere als gradlinig. Laut einem Porträt, das auf der Homepage des Kaufmännischen Verbandes zu finden ist, lässt sich der KV-Absolvent aus dem Wallis erst zum Wirtschaftsinformatiker ausbilden. Auf Youtube tritt er dann als Spezialist von digitalem Geld auf und erklärt in seinem Kanal unter anderem, was die Online-Währungen Bitcoin und Blockchain bedeuten. Doch schon bald tauchen dort die ersten Videos über Corona auf.
Zu Beginn der Pandemie bietet Bittel seinen Zuschauern noch Kontakte zu Maskenproduzenten in China an. Das Blatt wendet sich allerdings rasch, und die Videos tragen Namen wie «Wir sind das Volk» oder «Das Volk steht auf!!!». Im September 2020 ruft der Bitcoin-Fachmann auf Youtube seinen Kanal «Bittel TV» ins Leben – und kann damit seine Anhängerschaft innert kürzester Zeit fast verfünffachen. Doch wie bei anderen Exponenten der Szene werden auch hier die meisten Videos von Youtube gelöscht. Derzeit sind nur ein paar Filmchen aus Sansibar zu sehen, wo sich Bittel offenbar gerade aufhält. Eine Anfrage der NZZ für ein Gespräch schlägt er aus. Er habe «aktuell keine Zeit».
Auf Telegram ging es für den im Kanton Zürich wohnhaften Walliser im vergangenen Jahr steil bergauf. Vor allem in Deutschland erfreut sich sein Kanal grosser Beliebtheit. Das erklärt auch seine hohe Abonnenten-Zahl von über 80 000. Inhaltlich gleicht das Konto Uncut-News.ch oder Baselwach2020. Auch hier ist Impfen das dominierende Thema – es folgen Warnungen vor Bill Gates. Kontinuierlich steigert sich auch das Interesse am Thema 5G. Bittel teilt auf seinem Kanal praktisch ausschliesslich Inhalte aus den sozialen Netzwerken. Beiträge von klassischen Medien sucht man hier vergebens.
7. Luitpold von Zähringen. Der Ausrufezeichen-Setzer
NZZ / jok.
Luitpold ist der aktivste Nutzer in unserer Auswertung, der keinen eigenen Telegram-Kanal betreibt. Er ist montags jeweils am aktivsten, über die Woche hinweg lässt sein Agieren jeweils etwas nach. Der 23. Januar 2021 scheint ihn sehr umgetrieben zu haben. An diesem Tag veröffentlichte er 72 Beiträge und enervierte sich besonders darüber, dass in der vom Bund veröffentlichten Verordnung nicht klarer hervorgehe, ob man zum Nicht-Tragen einer Maske ein ärztliches Attest brauche oder nicht.
Das teilweise unüberschaubare Dickicht an Massnahmen und Verordnungen des Bundes ärgern Luitpold am meisten. Und auch das, was Corona mit der gegenwärtigen Gesetzgebung mache. Am 22. Januar weist er beispielsweise auf einen Artikel der «Handelszeitung» hin: «Die Impfkampagne gegen Corona wirft neue arbeitsrechtliche Fragen auf.» Oder am 17. Januar: «Da schau her, was gerade ans Licht der Öffentlichkeit gelangt: Das ist ein Mega-Skandal!‼️ Geleakte E-Mails: So setzt die EU-Kommission die Arzneimittelbehörde EMA bei der Impfstoff-Zulassung unter Druck‼️»
Doch im Grunde beschäftigen Luitpold gewissermassen alle kursierenden Verschwörungserzählungen rund um Corona. Am 27. Juni fällt er erstmals mit folgendem Kommentar auf: «Hier sprechen die echten Anonymous! Die echten Anonymous sind gegen Gates, Deep-State, Clinton, Obama, Merkel, WHO, Pfizer, Merck, Soros, Rockefeller uvm.» Seit diesem Votum hat Luitpold 2300 Meldungen verfasst. Er schätzt an Telegram vor allem eines: dass er in den Chats und Kanälen anonym bleiben kann. Keine Überraschung also, dass er auf die Anfrage der NZZ nicht reagiert hat.
8. Mäse. Der umtriebige Kommentator
NZZ / jok.
Nebst Luitpold gehört in der NZZ-Auswertung auch Mäse zu den fleissigsten Telegram-Nutzern ohne eigenen Kanal. Abgesehen von einer Pause Anfang November und geringer Aktivität im Juli ist Mäse ein umtriebiger Nutzer in mehreren Kanälen. Und er ist ein Frühaufsteher. Ab 6 Uhr morgens legt er bereits los. Nach Feierabend ist von ihm aber nicht mehr viel zu lesen. Am Mittwoch ist Mäse am aktivsten. Dann treiben ihn Themen wie die Corona-Impfung oder Bill Gates um. Der Microsoft-Gründer wolle Mensch und Natur vollkommen unter seine Kontrolle bringen, meint er.
Im Juli schreibt Mäse dazu: «Wider die Natur: Bill Gates unterstützt Entwicklung von künstlicher Muttermilch. Je mehr man über Bill Gates in Erfahrung bringt, umso perverser erscheint sein kriminelles Treiben.» Auch die Schweizer Regierung soll mit dem ehemals reichsten Mann der Welt unter einer Decke stecken. Zum Beweis postet er ein Video mit angeblichen Verstrickungen des Bundes mit der Bill & Melinda Gates Foundation. Das Filmchen wurde mittlerweile von Youtube gelöscht.
9. Corona-Rebellen-Schweiz. Offizieller Kanal mit wenig Inhalt
NZZ / jok.
Corona-Rebellen-Schweiz, in diesem Kanal war auch schon einmal mehr los. Im Sommer 2020 war hier noch ein buntes Gemisch an Themen zusammengetragen worden. 5G, Gates, Wuhan oder QAnon, über alle aktuellen Verschwörungsgeschichten wurde fleissig diskutiert. Mittlerweile tauchen nur noch Einträge zum Impfen auf. Während im Juli teilweise bis zu 40 Mitteilungen pro Tag gepostet wurden, erscheinen nun bloss noch eine Handvoll Meldungen. Ein grosser Einbruch ist seit Dezember zu verzeichnen. Weshalb, wollte der Administrator des Telegram-Kanals der NZZ nicht beantworten.
Die Person wollte nur so viel preisgeben: Am meisten Sorge mache ihr, dass sowohl Impfungen als auch 5G nicht sicher seien. Zur Schädlichkeit von 5G gebe es massenhaft Studien – und zur mRNA-Impftechnologie viel zu wenige Studien, als dass man beides ohne weitere objektive Abklärungen auf Mensch, Tier und Natur loslassen sollte.
10. «Verbindung». Der aus dem Nichts kam
NZZ / jok.
Dieser Telegram-Nutzer taucht aus dem Nichts auf. Wie Luitpold und Mäse handelt es sich hier um eine Person ohne eigenen Channel. Auf einen Kontaktversuch der NZZ reagierte «Verbindung» nicht direkt, sondern entrüstete sich in einem öffentlichen Chat über die Anfrage – unter einigem Beifall. Im November war «Verbindung» plötzlich da und hat dann eine Weile lang täglich Dutzende, manchmal sogar bis zu 60 Meldungen veröffentlicht. Doch kurz vor Neujahr bricht die Nutzung wieder ein. Heute veröffentlicht der Kontoinhaber noch ein paar wenige Meldungen täglich.
Impfen und Bill Gates, das sind auch bei «Verbindung» die Themen der Wahl. Am 26. Dezember etwa veröffentlichte der Nutzer einen gefälschten Beipackzettel des Pfizer-Impfstoffs.
Fazit: Ausrufezeichen, Grossbuchstaben und eine aggressive Sprache
Corona-Skeptiker und Verschwörungsanhängerinnen, das ist keine homogene Gruppierung. Sie ist divers, von alt bis jung, von linken Esoterikerinnen bis apolitischen Impfgegnern, von vermeintlichen Freiheitskämpfern bis hin zu Rechtsextremen ist alles dabei. Was sie eint, ist ihr Ziel: die Corona-Massnahmen der Regierung auszuhebeln, um wieder «frei» zu sein, die Impfkampagne zu stoppen – und Bill Gates als Bösewicht zu entlarven.
Auf Telegram tauschen sie sich erstaunlicherweise nicht nach Feierabend am häufigsten aus. Die meisten Nachrichten werden tagsüber gepostet, zu normalen Bürozeiten also. Dies deutet auf eine gewisse Professionalisierung hin. Zumindest scheinen die meisten Nutzer die Channels neben der Arbeit bewirtschaften zu können. Manchmal ersetzt sie sie vielleicht sogar. Und einige sind genau darum aktiv geworden, weil die Pandemie sie arbeitslos gemacht hat.
Ihre Argumente unterlegen Corona-Skeptiker mit Abertausenden von Links. Sie führen auf Podcasts, Videos – aber auch auf Inhalte der als «Mainstream-Medien» kritisierten klassischen Newsportale. Vom «Frutigländer» aus dem Berner Oberland bis zur «New York Times» ist alles zu finden.
Am meisten geteilt werden Videos. Entsprechend oft wird Youtube zitiert. Zu den beliebtesten Beiträgen in den untersuchten Kanälen gehört ein Interview mit dem umstrittenen Schweizer Historiker Daniele Ganser, geführt von einer Journalistin von Russia-Today-Deutschland. Auch ein semiprofessionelles Musikvideo einer Hippie-Musikerin, die sich gegen die Maskenpflicht auflehnt, wurde fleissig geteilt.
Auf Platz 2 in Sachen Mediennutzung folgen Beiträge, die aus anderen Telegram-Kanälen weitergeleitet wurden. Die beliebteste Quelle der klassischen Medien ist «20 Minuten». Getoppt wird das Pendlerblatt jedoch von einer Plattform mit dem Namen corona-transition.org. Im Impressum wird ein Verein mit dem Namen «Corona-Reset» als Herausgeber aufgeführt. Hinter «Corona-Reset» steht Christoph Pfluger, ein 66-jähriger Journalist aus Solothurn, der auch die Zeitschrift «Zeitpunkt» herausgibt – «für intelligente Optimistinnen und konstruktive Skeptiker», so der Werbespruch. Pfluger selbst polarisiert laut «Solothurner Zeitung» gerne mit umstrittenen Aussagen zu Corona und bezeichnete die Massnahmen gegen das Virus als «11. September für die Menschheit».
Die am meisten zitierten Medien und Plattformen in den Mitteilungen
Für die Beliebtheit des Mediums Video gibt es mehrere Gründe: Bewegtbilder sind emotionaler als trockene Texte. Dies zeigt auch das Video über Bill Gates, das uns WDChur ans Herz gelegt hat. An ihm lässt sich die Gefühlsbewirtschaftung gut nachzeichnen. In rascher Abfolge zeigt der Beitrag abwechslungsweise Bilder von Gates und Fotos von missgebildeten indischen Kindern. Dazwischen werden Web-Artikel eingeblendet, die unter anderem folgende Behauptung stützen sollen: Eine halbe Million Kinder sei in Indien zwischen den Jahren 2000 und 2017 an Polio erkrankt, nachdem Gates ihnen die Impfung verabreicht habe.
Tatsächlich hat sich die Bill & Melinda Gates Foundation über Jahre für Polio-Impfungen weltweit engagiert; und tatsächlich ist es auch zu Lähmungen von Kindern nach einer Impfung gekommen. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) führt darüber in einer öffentlich zugänglichen Datenbank minuziös Buch. Daraus kann man entnehmen, dass es in den Jahren 2009 und 2010 nach einer Polio-Impfung zu Lähmungen von Kindern gekommen ist – allerdings nicht in 500 000 Fällen, sondern in 17.
Mithilfe der Bild-Nachverfolgungsfunktion der Google-Suche lässt sich zudem prüfen, woher die Bilder stammen, die im Video-Beitrag verwendet wurden. Grösstenteils sind sie ohne Quellenangabe mit Copy-Paste ins Video eingefügt worden. So zeigt sich, dass es sich bei den deformierten Kindern um solche handelt, die nicht rechtzeitig gegen Polio geimpft worden waren – und nicht um Opfer der Impfung (siehe Bildvergleich).
Bilder angeblich von der Polio-Impfung deformierter Kinder
Im Video heisst es, diese Kinder seien erst nach der Impfung gelähmt gewesen.
NZZ / bsk.
In unseren Gesprächen mit Corona-Skeptikern haben wir auf Ungereimtheiten wie diese hingewiesen. Die Kritik wird allerdings mit einer Tirade von Gegenfragen abgewehrt. Sind dies die einzigen Bilder, die nicht stimmen? Wird der Verlauf der Pandemie nicht künstlich hochgehalten? Und wo steht geschrieben, dass die Corona-Impfung nicht zu mehr Toten führt als das Virus selbst?
Tatsächlich haben die Video-Macher alle Bilder aus dem Internet kopiert. Und auch der Pandemie-Verlauf wird nicht künstlich hoch gehalten. Seit Beginn der Pandemie mögen die Schweizer Behörden Mühe haben, die Daten der positiven Corona-Test-Ergebnisse zu verarbeiten. Das hat teilweise zu Verzerrungen der Zahlen von Neuinfektionen geführt. Dies ist allerdings der mangelnden Digitalisierung des Bundes geschuldet und nicht dem Willen, falsche Zahlen zu melden.
Die einzige Frage, die nicht klar beantwortet werden kann, betrifft die Entscheidungen der Regierung. Sie waren je nach Perspektive tatsächlich nicht immer nachvollziehbar, wie die Maskenproblematik gezeigt hat. Und tatsächlich lässt sich viel über Sinn und Unsinn von einzelnen Massnahmen diskutieren. Doch in den untersuchten Telegram-Kanälen reicht ein kleines Fünkchen Wahrheit, um alles infrage zu stellen. Aufgestaute Emotionen sind stärker als jeder Fakten-Check.
Telegram hat sich in der Krise als Schaltzentrale der Unzufriedenen erwiesen. Während in einigen Chats durchaus diskutiert wird und das bessere Argument zählt, ist der Ton in vielen Kanälen aggressiv. Es findet sich viel Wirres, viel Geschrei. Wer durch Kanäle mit Namen wie «Unzensiert», «Freie Medien» oder «Verschwörungen» scrollt, den befällt schon bald ein beklemmendes Gefühl. Der Tenor: Nichts ist, wie es scheint. Gar nichts. Die Regierung? Eine Diktatur. Impfungen? Macht Menschen zu Laborratten. Das Virus? Eine chinesische Biowaffe – oder eine Lüge, je nach Auslegung.
Angesichts der zahlreichen Kanäle, die den Corona-Frust bewirtschaften, erstaunt, dass eigentlich nur wenige Nutzer aktiv sind, nur wenige Videos produzieren und Inhalte herstellen. Der grösste Teil liest, was wenige posten. Das bestätigt Josef Holnburger. Der deutsche Politikwissenschafter beschäftigt sich schon seit längerem mit Verschwörungsinhalten auf Telegram. Er sagt: «Für soziale Netzwerke gilt generell: Neunzig Prozent sind stille Mitleser. Neun Prozent schreiben ab und zu etwas. Die meisten Inhalte postet also nur ein Prozent aller Nutzerinnen und Nutzer.» Diese sind dafür besonders fleissig. Einige schreiben laut Holnburger täglich 200 Nachrichten.
Was Menschen antreibt, quasi in Endlosschlaufe Mitteilungen zu posten, weiss Pia Lamberty. Die deutsche Sozialpsychologin forscht zu Verschwörungsideologien und zählt in einer Studie, die im November 2020 erschienen ist, drei Gründe auf, warum Menschen kruden Theorien verfallen: Zum Ersten schüren gesellschaftliche Krisen das Gefühl, keine Kontrolle zu haben, sich ohnmächtig zu fühlen. Verschwörungserzählungen (Lamberty weigert sich, von Theorien zu reden, da Theorien wissenschaftlich begründet sein müssten) sind da ein einfaches Mittel, die Welt zu ordnen.
Zweitens können Verschwörungen das Selbstwertgefühl stärken: Wer die Wahrheit kennt, hat den Unwissenden etwas voraus. Dies ist vor allem bei Menschen der Fall, die denken, sie seien einzigartig, etwas Besonderes. Drittens kann auch das Streben nach Verstehen dazu führen, dass Menschen Verschwörungserzählungen mehr Glauben schenken als der komplizierten Realität.
Das Spezielle an Telegram ist: Einzelpersonen können vom Sofa aus zu Hause in Uzwil, Basel oder Chur in völliger Anonymität virtuelle Räume mit teilweise massiven Reichweiten aufbauen, um für ihre Sache zu werben.
Häufiger geworden sind die Wortmeldungen in den untersuchten Kanälen nicht. Die Frequenz der Posts hat im letzten Jahr in den untersuchten Kanälen nicht zugenommen.
Heute werden täglich zwischen 500 und 1000 Mitteilungen in den ausgesuchten Kanälen veröffentlicht
Wie aggressiv die Sprache ist, lässt sich schwierig messen. Eine einfache Stichwortsuche hat allerdings ergeben, dass Begriffe wie «Kampf», «Gewalt», «Protest» und «Widerstand» heute nicht häufiger verwendet werden als noch zu Beginn der Pandemie. Was diese Analyse aber auch zeigt, ist: Der Frust scheint ungebrochen hoch zu sein. Im untersuchten Zeitraum ging es in 4899 der 217 000 untersuchten Mitteilungen explizit um einen der erwähnten Begriffe. Das ist immerhin jede 50. Meldung.
Die offensichtlichen Aufrufe zu Gewalt oder Protest haben nicht zugenommen
Zugenommen hat im letzten Jahr allerdings die Zahl der Drohungen und Nötigungen gegenüber Bundesräten und Politikerinnen des Parlaments, wie das Bundesamt für Polizei (Fedpol) mitteilt. Die Dynamik auf Telegram und ähnlichen digitalen Diensten habe sich verschärft, Hass im virtuellen Raum könne durchaus zu Gewalt im analogen Leben führen. So haben Unbekannte erst kürzlich in Uttigen BE eine 5G-Antenne zerstört und die Swisscom, Sunrise und Salt in einem Erpresserschreiben dazu aufgefordert, sieben Millionen Franken an Kinderwerke zu zahlen – sonst würden weitere Aktionen folgen.
Ob die Straftat in Uttigen auf Telegram ihren Anfang genommen hat, ist nicht bekannt. Doch es sind Zutaten von Verschwörungsmythen vorhanden, die man auch in den Channels antrifft: 5G sei schädlich; gierige Grossfirmen machten Riesen-Profite; und am Ende trügen die Schwächsten den Schaden, die Kinder eben.
Verfolgt die Polizei, was sich da auf Telegram zusammenbraut? Eine generelle Überwachung von Telegram-Kanälen gibt es weder beim Fedpol noch bei den Kantonen. Und beim Nachrichtendienst des Bundes (NDB) heisst es, die Szene der Corona-Skeptiker falle nicht in deren Zuständigkeit. Das bedeutet: Das meiste, was in den Kanälen geschrieben und gepostet wird, läuft unter dem Radar der Behörden. Reagiert wird in der Regel nur dann, wenn jemand eine Drohung meldet. Polizisten konfrontieren solche Nutzer persönlich. Sie machen ihnen klar, dass ihr Verhalten strafrechtliche Konsequenzen haben kann. Wie oft das im Fall von Telegram vorkommt, dazu gibt es keine öffentlichen Zahlen.
Was bleibt, ist der grosse Widerspruch: Viele Kanal-Betreiber geben vor, aus den besten Motiven zu handeln. Sie wollen die Menschlichkeit fördern, den Frieden bewahren. Doch schaut man sich die Inhalte an, dominieren Ausrufezeichen, Grossbuchstaben – und eine aggressive, oftmals beleidigende Sprache. Wissenschafter werden als Verbrecher oder Volksverräter verunglimpft, Politiker als Lügner, Pädophile oder noch Schlimmeres. Konsequenzen müssen solche Nutzer meist nicht befürchten. Administratoren einschlägiger Kanäle dulden dies – und sehen es gar als Teil der freien Meinungsäusserung.